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Sesseltanz in Ankara

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare

"SofaGate": Wenn das diplomatische Protokoll als politische Waffe eingesetzt wird.


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Ein Jux-Foto vom hochrangigen Treffen in Ankara machte in Sozialen Netzwerken schnell die Runde unter EU-Beamten: Man sieht auf der Fotomontage den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan mit dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel auf ihren Prunkstühlen. Davor vollführt eine dürftig bekleidete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen traditionellen Bauchtanz. Eine Männerfantasie? "SofaGate" wurde das verunglückte Treffen in Ankara vorigen Dienstag genannt. Nur dem EU-Ratspräsidenten war ein Stuhl neben dem türkischen Präsidenten reserviert worden. Von der Leyen setzte sich mit einem lauten "Ähmm" auf ein in Respektabstand zu den hohen Herren aufgestelltes Sofa, gegenüber vom türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Dieser wies später die Kritik an der Herabsetzung der Kommissionspräsidentin zurück. Die EU-Vertretung in Ankara habe die Sitzordnung so gewünscht, hieß es. Doch ein Kommissionssprecher betonte, die Präsidentin hätte protokollarisch ebenbürtig "genau so sitzen müssen wie der Präsident des Europäischen Rates und der türkische Präsident". Genau das war 2015 bei einem Dreiertreffen in Ankara eingehalten worden. Auf einem Foto sieht man Erdogan, flankiert vom damaligen Ratspräsidenten Donald Tusk und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Die drei Männer saßen damals gleichrangig auf Stühlen.

Eine Mitschuld an dem Eklat kommt dem belgischen Politiker Michel zu. Er hätte als Gentleman von der Leyen seinen Stuhl anbieten und sich selber aufs Sofa setzen sollen. Das wäre auch eine elegante Geste gegenüber Erdogan gewesen. Dieser wäre dann neben einer Frau gesessen - auch eine Tachtel dafür, das Erdogan kurz zuvor die UN-Konvention zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen aufgekündigt hatte.

Das diplomatische Protokoll dient als gelinde Waffe der Außenpolitik, dazu gehört die strenge Sitzordnung bei Besuchen. Es muss daraus nicht gleich eine blutige Fehde entstehen, wie beim Londoner Kutschenstreit 1661. Damals hatten sich der französische und der spanische Botschafter um die Reihenfolge bei einem Festzug so heftig gestritten, dass es Tote und danach fast einen Krieg gab. Im Osmanischen Reich wurden lästige Diplomaten bei Audienzen auf die Estrade gesetzt. Wer dagegen protestierte, riskierte, von den Ordonanzoffizieren verprügelt oder gar in den "Saal der Diplomaten" im Gefängnis "Sieben Türme" eingesperrt zu werden. Fügsamere genossen die "Ehre des Sofas" oder bekamen einen Hocker, dessen Höhe und Armlehne variierte (Quelle: Harald Lacom in "Der Gefangene des Sultans", Österreichischer Milizverlag Nr. 41, 2016). In neuerer Zeit hat das türkische Protokoll selbst bittere Erfahrung mit Sitzordnungen gemacht. Als 2010 der türkische Botschafter in Israel auf einem Sofa, das deutlich niedriger war als der Sessel des damaligen Vizeaußenministers Danny Ayalon, platziert wurde, kam dies einer Beleidigung der gesamten Türkei gleich.

Putins Hund und "Katzentisch"

Frostig verlief auch der Besuch des damaligen deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in Ankara nach dem missglückten Militärputsch im November 2016. Der übliche rote Teppich fehlte ebenso wie die Halterung für die deutsche Fahne auf Steinmeiers Limousine. Und der türkische Außenminister Cavusoglu nannte Deutschland einen "sicheren Hafen für Terroristen".

Es gibt zahllose Beispiele für protokollarische Eklats: Erst vergangenen Sonntag wurde der Besuch des französischen Premierministers Jean Castex in Algerien abgesagt. Die Gastgeber werteten die Delegation mit vier Ministern und nur einem Besuchstag als Geringschätzung Algeriens. Anfang Februar kanzelte der russische Außenminister Sergej Lawrow in Moskau den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell und mit ihm gleich die ganze EU ab und warf gleich drei EU-Diplomaten aus dem Land. Bei einem Nato-Gipfel in Brüssel schubste der damalige US-Präsident Donald Trump Nordmazedoniens Regierungschef rüde zur Seite, um fürs Gruppenfoto im Mittelpunkt zu stehen. Russlands Präsident Wladimir Putin brachte 2007 seinen Hund zu einem Treffen mit Angela Merkel mit - obwohl bekannt ist, dass diese Angst vor Hunden hat. Im Jahr 2000 wurde Österreichs Kanzler Wolfgang Schüssel, gegen den seine 14 EU-Kollegen damals Sanktionen wegen seiner Koalition mit der FPÖ verhängt hatten, beim Abendessen des EU-Gipfeltreffens in Lissabon auf eine Art "Katzentisch" gesetzt.

Die beste Reaktion auf diplomatische Zurücksetzung erlebte ich selbst als Begleiter der damaligen EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner 2005 bei ihrer Visite in Israel und Palästina. In Ramallah wollte sie mit Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas sprechen, aber am selben Tag war Frankreichs damaliger Außenminister Michel Barnier dort. Die Palästinenserbehörde stufte den Franzosen höher ein als die EU-Vertreterin, obwohl die EU-Kommission zu den größten Geldgebern der Autonomiebehörde zählte.

Man wollte Österreichs ehemalige Außenministerin mit dem PLO-Außenbeauftragten abspeisen. Doch die frühere UN-Protokollchefin bemerkte sofort die Schlechterstellung und wehrte sich energisch. Sie betrat einfach den Speisesaal, in dem gerade die PLO-Spitze unter Abbas mit Barnier ein Arbeitsessen einnahm. Barnier bot irritiert Ferrero-Waldner einen Sitz am Tisch an. Doch Ferrero winkte ab: Sie müsse gleich zurück nach Israel zu wichtigen Terminen. Aber zuvor müsse sie mit Abbas konferieren. Sprach’s - und führte den Palästinenserpräsidenten eigenhändig aus dem Saal zu dessen Büro, wo sie mit ihm eine Stunde lang sprach. Den verdutzten Blick von Barnier, wie sein Gastgeber entführt wurde, werde ich nie vergessen.