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Setzen Ägypter auf Wandel oder Stabilität?

Von WZ-Korrespondentin Iris Mostegel

Politik

Erste Runde der Präsidentschaftswahl ist vorbei.| Vertreter des alten Regimes, Islamisten und liberale Reformer stehen zur Wahl.


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Kairo. Das Ganze erinnert ein wenig an ein Roulettespiel. Auf wen und was in den ersten freien Präsidentschaftswahlen Ägyptens setzen? Schlangen vor den Wahllokalen: Alte und Junge, Analphabeten wie Gebildete, Muslime und Christen stellen sich auch am zweiten und letzten Wahltag geduldig an, um ihr Votum abzugeben, mit dem sie eine entscheidende Weiche für ihr Land in den kommenden Jahren stellen werden. In der 7000-jährigen Geschichte Ägyptens hat die Stimme des Einzelnen erstmals einen Wert. Man ist stolz, aufgeregt, jedoch auch ein wenig verunsichert: Wählt man den Richtigen? Ideologien stehen im Hintergrund, für viele ist die entscheidende Frage: Wer ist der Geeignetste, um für unsere Probleme Antworten zu finden? Oft wird nicht nach Überzeugung sondern aus Taktik gewählt.


"Es ist ein wenig so", erklärt der Politologe Beshir Abdelfattah, "wie wenn man eine bescheidene Summe Geld zur Verfügung hat und sicherstellen will, dass man es auf das richtige Pferd setzt." Pferde gibt es aus drei Lagern - Vertreter des alten Regimes, Islamisten sowie liberale Reformer. Drei Lager, aber letztlich nur eine Frage: Setzt man mit seinem Votum auf Stabilität oder setzt man auf Wandel?

In die Stabilitäts-Variante fallen die Vertreter des alten Regimes, so wie Amr Mussa, der ehemalige Generalsekretär der Arabischen Liga und einer der Favoriten auf das höchste Amt. Von jemandem wie ihm wird erwartet, dass er Sicherheit und Ordnung herstellt, aber: einen grundsätzlichen Wandel, und das ist jedem klar, den würde es in Ägypten dann nicht geben. Version Altes Regime light. In die Variante Wandel fallen die Kandidaten der Islamisten und liberalen Reformer. Vorteil: Vor allem letztere fühlen sich den Werten der Revolution verpflichtet und von beiden sind in innenpolitisch wichtigen Agenden Reformen zu erwarten. Risikofaktor: wenig politische Erfahrung sowie ein ungleich größeres Potenzial für Konfrontationen und Polarisierung, innen- wie außenpolitisch.

Konsenskandidat Futuh weckt Misstrauen

Als einziger Konsenskandidat gilt der Ex-Muslimbruder Abdel Moneim Abulm Futuh, der die Unterstützung wichtiger Strömungen aus dem gesamten politischen Spektrum hinter sich hat, auch die von liberalen Tahrir-Kräften. Dennoch ist er kein klarer Favorit: Oft gibt es da diesen Schuss Skepsis, ob sich hinter seinen weltoffenen Anschauungen nicht doch ein verkappter Muslimbruder mit einschlägiger Agenda versteckt. Und über all dem thront nach wie vor der mächtige Militärrat, der zwar das Versprechen abgegeben hat, nach den Wahlen seine Exekutivmacht abzugeben, sich wohl aber dennoch nicht auf die Schnelle aus der Arena zurückdrängen lassen wird - ganz gleich, wer der neue erste Mann Ägyptens sein wird.

Das Rennen ist völlig offen. Nur eines ist klar: Wie auch immer es ausgehen mag - nichts ist in Stein gemeißelt. Gibt der künftige Präsident nichts her, wird er von der Straße rasch zur Rechenschaft gezogen werden. Angewandtes Demokratietraining in Ägypten: ausprobieren und schauen, gegebenenfalls modifizieren.