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Menschenleben oder Umweltschutz? Vor diese Wahl stellt ein Killer-Virus New York und wohl bald auch andere Städte in den USA. Sechs Todesopfer hatte das aus Afrika eingeschleppte und von Gelsen übertragene West-Nil-Virus im Herbst 1999 gefordert. Um weiteren Fällen vorzubeugen, fahren Tanklastwagen Nacht für Nacht durch die Straßenschluchten und sprühen Pestizide in die Luft. Auch Boston erwägt den Einsatz der Insektenvernichtungsmittel. Doch Umweltschützer fürchten um den Erhalt labiler Ökosysteme.
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Sie machen die Pestizide für das mysteriöse Hummersterben im Long Island Sound verantwortlich, einer großen Bucht im Osten New Yorks. Dort verendeten seit dem Herbst nach offizieller Schätzung elf Millionen Hummer. Nach Überzeugung der örtlichen Hummerfischer setzte der Schwund der geschätzten Krustentiere erst nach dem Einsatz dieser Insektenvernichtungsmittel ein. Andere Viren, Bakterien oder Pilze kommen ihrer Einschätzung nach nicht in Frage.
Der Veterinärpathologe Richard French von der Universität Connecticut und etliche Kollegen vermuten, dass die bereits im vergangenen Herbst gesprühten Insektizide durch schwere Regenfälle in die Bucht gespült wurden. Dort hätten sie sich mit Chlor und anderen Chemikalien aus dem Überlauf von Wasseraufarbeitungsanlagen zu einem giftigen Cocktail vermischt. Dieser dürfte das Immunsystem der Hummer stark gestört haben. Daraufhin könnten ihnen weit verbreitete Mikroorganismen der Gattung Paramoeba, die seit langem im Long Island Sound beheimatet sind, zum Verhängnis geworden sein.
Besonders betroffen von dem Verlust sind Hunderte Fischer, die mit den Hummern ihren Lebensunterhalt verlieren. Der Long Island Sound beherbergte nach Maine und Massachusetts die drittgrößte Hummer-Population der USA und warf jährlich einen Umsatz von 45 Mill. Dollar (48,6 Mill. Euro/668 Mill. Schilling) ab. Während die anderen Staaten im Norden keine Einbußen ihres Hummerbestands verzeichneten, reduzierte sich der in der in der Bucht vor New York in einem Jahr um mehr als 90 Prozent.
Besorgt über die langfristigen Auswirkungen der Sprühaktion sind aber auch Mediziner und die Bevölkerung. Frauen mit Brustkrebs oder einem früheren Mammakarzinom protestierten im Stadtbezirk Staten Island gegen den "übertriebenen Einsatz von Pestiziden".
New Yorks Bürgermeister Rudolph Giuliani betrachtet seine Strategie ungeachtet des wachsenden Protests bisher als Erfolg. Tatsächlich gelang es, die Welle der Infektionen zu stoppen. Waren im vergangenen Herbst noch sechs Menschen dem Virus erlegen und weitere 62 schwer an ihm erkrankt, gab es im Jahr 2000 in New York noch nicht einen einzigen Fall. Lediglich in toten Krähen identifizieren die Gesundheitsbeamten noch den Erreger.