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Sex, Macht und T-Shirts

Von Ronald Schönhuber

Wirtschaft
Dov Charney im Kreise seiner Mitarbeiter. Diese sollen den Chef öfters nur in Unterhose erlebt haben.
© corbis

Die US-Modekette American Apparel galt einst als Shooting Star der Branche. Doch seit Wochen wird das Unternehmen von einer Sex-and-Crime-Geschichte rund um den promisken Firmengründer erschüttert.


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Los Angeles. Colleen B. Brown ist eine Frau. Das ist an und für sich noch kein besonders bemerkenswerter Umstand, selbst dann nicht, wenn es um die Besetzung eines Spitzenpostens in einem US-Unternehmen geht. Dass die 55-Jährige am Mittwoch als eines von vier neuen Mitgliedern in den Vorstand von American Apparel berufen wurde, ist allerdings dennoch erwähnenswert, denn die 1989 gegründete Bekleidungskette, die über mehr als 250 Geschäfte in knapp 20 Ländern verfügt, ist alles andere als ein normales Unternehmen.

Seit Wochen liefert der in Los-Angeles beheimatete Modehersteller den Schauplatz für eine Sex-and-Crime-Geschichte, in der es unter anderem um sexuelle Belästigung von weiblichen Angestellten, Nötigung und den Missbrauch von Firmengeldern geht. Im Mittelpunkt steht dabei American-Apparel-Gründer Dov Charney, der das Unternehmen in den Nuller-Jahren zum gefeierten Liebkind der "Made in America"-Bewegung gemacht hat: Keine Produktion in asiatischen Sweatshops, sondern amerikanische Arbeiter, die zu gerechten Löhnen ausschließlich am Heimatstandort schneidern. Untermalt wurde das alles mit dem breit ausgewalzten Gestus der "Political Correctness", der oft genauso grell daher kam wie die Stücke, die man in den American-Apparel-Geschäften kaufen kann.

Doch die Vorwürfe, mit denen sich Charney konfrontiert sieht, haben wenig mit "Political Correctness" zu tun. Bereits vor zehn Jahren soll der heute 45-Jährige bei einem Interview mit einer Wirtschaftsjournalistin onaniert haben - angeblich, weil er sich auf diese Weise besser entspannen konnte. Und auch sonst tat Charney so einiges, um zu zeigen, dass ein sexuell offensives Auftreten nicht nur zur Werbelinie von American Apparel gehört. Laut Mitarbeitern lief der gebürtige Kanadier des öfteren nur mit einer Unterhose am Leib durch seine Fabrik in Los Angeles, in einigen Fällen soll es sogar nur ein Socken gewesen sein, der die neuralgischen Stellen bedeckte. Seinen weiblichen Angestellten schenkte Charney Sexspielzeuge und erst vor zwei Monaten tauchte im Internet ein Video auf, das zeigt, wie der Firmenchef nackt vor zwei Mitarbeiterinnen tanzt.

Ein sinkender Stern

Wirklich in die Bredouille hat den American-Apparel-Gründer jedoch der Fall der Verkäuferin Irene Morales gebracht. Die 18-Jährige wurde laut eigener Aussage von Charney zum Sex genötigt, zu einer Anklage kam es aus Mangel an Beweisen aber nie. Allerdings tauchten im Internet später verfängliche Aufnahmen von Morales, die Charney zuvor Nacktbilder von sich geschickt hatte, auf. Ein Schiedsgericht verurteilte den 45-Jährigen daraufhin zu einer Geldstrafe von 700.000 Dollar.

Angesichts dieses Urteils zog der Aufsichtsrat schließlich die Notbremse und setzte Charney Mitte Juni vor die Türe. Im Kündigungsschreiben wurden neben den vielen Fällen von sexueller Belästigung auch die dem Unternehmen dadurch entstehenden Kosten angeführt. Viele Mitarbeiter seien nur durch üppige Boni von Klagen abgehalten worden, die Kosten für Rechtsschutzversicherungen hätten auf Grund zahlreicher trotzdem angestrengter Verfahren eklatant zugenommen. Zudem wollen offenbar viele Banken nicht mehr mit dem Schmuddel-Image von American Apparel in Verbindung gebracht werden und verlangen für Kredite hohe Aufschläge.

Doch der Porno-Habitus des Chefs dürfte nur eine Facette des Rauswurfs sein. Eine andere ist die wirtschaftliche Lage des an der Wall Street notierten Unternehmens. Von jener rasant wachsenden Modekette, die noch vor einigen Jahren die urbane Jugend Amerikas mit bunten Retrodesigns begeisterte und ihrem Gründer zahlreiche Auszeichnungen als Unternehmer des Jahres bescherte, ist heute nicht mehr viel übrig. In den vergangenen eineinhalb Jahren schrieb American Apparel fast ausschließlich Verluste, der Schuldenberg ist mittlerweile auf mehr als 250 Millionen Dollar angewachsen. Und dass es die Hipster-Generation heute gerne vielleicht ein bisschen weniger sexualisiert hätte, lässt sich auch am Aktienkurs ablesen. Waren die Papiere zu ihrer Hochblüte im Jahr 2007 noch 15 Dollar wert, so lagen sie zuletzt knapp über einem Dollar.

Dass der Unternehmensgründer sich seinem Rauswurf so einfach fügen wird, ist allerdings fraglich. Mit Hilfe des Hedgefonds Standard General, der American Apparel bereits mit einer 25-Millionen-Dollar-Kapitalspritze vor der Pleite bewahrt hat, hatte Charney zuletzt seine Anteile von 27 auf knapp 43 Prozent aufgestockt.

Eine faire Chance

Eine Rückkehr scheint aber nicht nur durch eine feindliche Übernahme möglich. Bis Mitte August bekommen die am Mittwoch berufenen Vorstandsmitglieder die Ergebnisse einer internen Untersuchung vorgelegt, die der Berater FTI Consulting im Fall Charney durchgeführt hat. Standard General, das nun viele Fäden im Unternehmen zieht und auch drei Mitglieder des neuen Vorstands stellt, hat jedenfalls schon angekündigt, dem Unternehmensgründer eine faire Chance geben zu wollen. Es scheint also nicht ausgeschlossen, dass die Sex-and-Crime-Geschichte um American Apparel schon bald ein weiteres Kapitel bekommt.