Haben Sie es neulich mal mit der Stellung "Reiten auf dem Heiligen Johannes" versucht? Oder mit einigen ausgesuchten sadomasochistischen Praktiken, ganz wie Sie es in einer dieser neuen Frauenzeitschriften gelesen haben? Oder haben Sie sich einen Porno ausgeliehen, um Ihrem erlahmenden Sexualleben neuen Schwung zu verleihen? Na, dann können Sie diesen Text ja seelenruhig ignorieren und gleich weiterblättern. Wie, Sie waren mit den Ergebnissen ihrer sexuellen Kunststücke doch nicht zufrieden? Der Kick des Neuen hielt nicht lange vor und Sie litten erneut unter sexueller Unlust?
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Es ist schon seltsam: Tag für Tag nimmt irgendwo im privaten Fernsehen eine hübsche Moderatorin im kurzen Röckchen auf einem Studiosofa Platz, um uns allen mit Rat und Tat aus der sexuellen Klemme zu helfen. Häufiger noch werden entsprechende Ratgeberbücher verkauft und Kolumnen in Zeitungen und Zeitschriften gedruckt. Doch ein Erfolg von alledem ist nicht zu erkennen. Die Klagen über die sexuelle Unlust nehmen sogar zu und nicht ab. Aufklärung in Bezug auf die Sexualität tut also nach wie vor Not, zu populär sind viele Irrtümer.
Irrtum Nr. 1: Sexualität lässt sich so leidenschaftlich erhalten, wie sie zu Anfang war - wenn man nur genug dafür tut.
Die Abnahme des sexuellen Interesses aneinander ist normal. Das gilt zum einen in Bezug auf den Lebensverlauf des Menschen: Ein 50-Jähriger hat seltener Sexualität als ein 30-Jähriger. Und es gilt auch in Bezug auf die Dauer einer Beziehung: Paare, die erst zwei Jahre zusammen sind, haben häufiger Sex miteinander als Paare, die bereits seit 20 Jahren Tisch und Bett teilen. Wissenschaftliche Studien belegen diese Erkenntnis. Es gibt auch nicht eine einzige, aus der hervorgeht, dass gegen diesen Trend der Abnahme des sexuellen Interesses etwas auszurichten wäre.
Irrtum Nr. 2: Zwei Mal die Woche Sex muss sein.
Das hat bekanntlich schon Martin Luther empfohlen. Viele Sexualprobleme entstehen ganz schlicht aus unrealistischen Erwartungen. Zu denen tragen die Medien mit ihrer laufenden Berichterstattung über Sexualität ihren Teil bei: Österreicher werden immer lustloser. Jedes dritte Paar hat nur noch einmal in der Woche Sex. Ja was denn, das soll wenig sein? Manche Paare haben nur dreimal im Jahr Sex miteinander und sind trotzdem glücklich. Wer bestimmt hier eigentlich, was normal ist und was nicht?
Das Fatale: Je höher unsere Erwartungen an die Sexualität sind, desto mickriger fällt in unseren Augen das Erreichte aus. Und desto größer ist die sexuelle Lustlosigkeit. Leider sind bei vielen Menschen mittlerweile die Erwartungen an die Sexualität sehr, sehr hoch. Kein Wunder. Sind wir doch heute regelrecht umzingelt von perfektem Sex. Beim Kinobesuch. In Talkshows. Beim Lesen der Ratgeberspalten in Zeitungen und Zeitschriften. Und von den Plakatwänden lachen jederzeit willige Frauen zu uns herab.
Irrtum Nr. 3: Sexualität funktioniert auch dann, wenn es in allen anderen Lebensbereichen nicht läuft.
Der Mensch ist nicht zu zerteilen in einen Teil, der einen unbefriedigenden Beruf hat, keine Freunde und keine Interessen, die ihn begeistern, und einen anderen Teil, der ein herrliches Sexualleben hat. Das Ergebnis der Forschung ist eindeutig: Diejenigen Männer und Frauen mit der größten Zufriedenheit in ihrem sonstigen Leben sind in ihren Partnerschaften ebenfalls am zufriedensten. Und genau dieselben Frauen und Männer sind wiederum auch mit ihrem Sexualleben am zufriedensten: Wer hat, dem wird gegeben.
Irrtum Nr. 4: Sex mit ein und demselben Partner wird im Laufe der Zeit langweilig.
Es gibt keine wissenschaftliche Untersuchung, die belegen würde, dass die Sexualität von Paaren im Laufe der Jahre langweilig werden muss. Das Begehren wird seltener - na und? Bei Paaren, die sich einander nahe fühlen, wird das körperliche Zusammensein dafür im Laufe der Zeit intensiver erlebt. Das Prickeln der Anfangszeit, als die Verliebtheit den Körper mit Hormonen überschüttete, lässt nach. Stattdessen wird Erotik inniger und intensiver. Dies gilt aber nur für Paare, die in einer glücklichen Beziehung leben.
Irrtum Nr. 5: Männer wollen immer mehr Sex als Frauen.
Das Klischee will es so: Männer sind immer die Drängler, wenn es um Sexualität geht. Er will immer, sie hat Kopfschmerzen oder ist müde. Stimmt das wirklich? Nein. Unter glücklich verheirateten Paaren hat etwa die Hälfte gleich starke sexuelle Wünsche. Bei einem Viertel ist der Mann interessierter. Bei einem weiteren Viertel die Frau. Von diesen Frauen, die öfter Lust auf Sex haben als ihre Männer, ist selten die Rede. Von den Männern, die seltener Lust haben als ihre Frauen, auch nicht. Sie passen wohl einfach nicht ins gängige Bild. Schade eigentlich. Mancher Mann, der zu dieser Gruppe gehört, hat große Probleme damit, dass er so "unmännlich" ist.
Irrtum Nr. 6: Mit ein paar Tricks lässt sich eine erlahmte Sexualität beleben.
Die Wahrheit ist: Es gibt keinen - absolut keinen - Trick, mit dem Sie Ihrem Sexualleben zu neuen Höhenflügen verhelfen können. Dies gilt auch dann, wenn sie diese Behauptung in Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung gelesen haben, in einem bekannten Nachrichtenmagazin oder in dem Buch eines renommierten Sexualtherapeuten.
"Unmöglich", werden Sie da vielleicht einwerfen. "Warum liest man solche Ratschläge denn dann immer wieder, wenn sie in Wahrheit gar nicht helfen?" Der Grund ist ganz einfach: Sexualität als Thema zahlt sich für die Medien aus. Sex sells. Denn zwei Dinge fesseln die Aufmerksamkeit von Menschen ganz besonders. Das eine ist Gewalt. Deshalb nimmt die Darstellung von Gewalt in den Medien - vor allem im Fernsehen - seit Jahren schon zu. Und das andere ist eben Sexualität. Einerlei, ob die Kronenzeitung sexuellen Rat erteilt, RTL oder eine Frauenzeitschrift - sie alle wollen vor allem eines - unsere Aufmerksamkeit. Ob uns das, was sie uns empfehlen auch hilft, das interessiert sie nicht.
Meistens hilft es nicht, denn den üblichen Vorschlägen zur Verbesserung der Sexualität liegt die Vorstellung zu Grunde, dass die menschliche Erotik unabhängig von unseren Gefühlen existiert. Doch anders als bei den Tieren ist die Sexualität beim Menschen untrennbar mit dem Gefühlsleben verknüpft. Flauen die Gefühle in der Partnerschaft ab, so gibt es nur einen Erfolg versprechenden Weg, dem zu begegnen: Wir müssen unsere Zufriedenheit miteinander verbessern. Denn in Wahrheit kann die Sexualität in einer Partnerschaft aus tausend und einem Grund lahmen:
Erstens: Es kann daran liegen, dass Sie beide im ehelichen Alltag zu selbstverständlich davon ausgehen, dass Ihre Partnerschaft Bestand hat. Eine liebevolle Pflege halten Sie nicht für nötig. Weder finden ruhige Abendessen beim Italiener statt so wie früher, noch gibt es lange, vertrauensvolle Gespräche. Sie leben nebeneinander her, ohne allzu viel vom anderen mit zu bekommen.
Zweitens: Es kann daran liegen, dass sie sich mit der Kindererziehung alleingelassen fühlt und das ihrem Partner unbewusst verübelt. Sie hatte sich mehr Unterstützung durch ihn erhofft, gerade jetzt, wo der Älteste ins Gymnasium gewechselt ist. Genau jetzt hat er ein großes Projekt übertragen bekommen, das ihn völlig absorbiert. Nun ist sie enttäuscht und braucht eine Weile, um sich diese Enttäuschung auch selbst einzugestehen.
Drittens: Es kann aber auch daran liegen, dass er schon lange mit seinem anstrengenden Beruf hadert und viel lieber etwas ganz anderes machen würde. Er traut sich nur nicht, sich selbst und Ihnen das einzugestehen.
Das waren jetzt gerade einmal drei Möglichkeiten, warum der Sex eines Paares uninteressant und lustlos werden kann. Diese Liste lässt sich problemlos fortsetzen. So unterschiedlich wie Menschen sind, so unterschiedlich sind die Gründe, die zu einer sexuellen Flaute beitragen können. Es könnte zum Beispiel auch daran liegen, dass in Ihrer Partnerschaft die Hausarbeit unfair verteilt ist. Wissenschaftliche Studien belegen: In Ehen, in denen die Frau den Eindruck hat, dass sein Anteil an der Hausarbeit zu gering ist, berichten sowohl sie als auch er, dass ihr Sex weniger befriedigend ist. Umgekehrt gilt: Hat die Frau den Eindruck, dass der Mann seinen Anteil leistet, dann sind beide mit ihrem Sexualleben zufriedener.
Das gleiche gilt für eine unfaire Machtverteilung in der Partnerschaft. Hat der Mann ausschließlich das Sagen, erlahmt die Sexualität eines Paares. Dieses Muster findet sich bei Paaren weltweit. Länder, in denen das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen groß war, schnitten in einer internationalen Vergleichsstudie über die Zufriedenheit mit der ehelichen Sexualität allesamt schlecht ab. In vielen islamischen Ländern zeigten sich Ehepaare ganz und gar nicht angetan von ihrem Sexualleben. Nur 25 Prozent der Türkinnen etwa waren zufrieden. In vielen asiatischen Ländern sah es genau so enttäuschend aus. Am schlimmsten traf es die Japaner, wo gerade einmal 18 Prozent der Männer und zehn Prozent der Frauen Spaß im Bett haben. Und Österreich? Österreich eroberte souverän den ersten Platz. Vor den angeblich so heißblütigen Italienern. Vor den charmanten Franzosen.
Das alles hat ein berühmter österreichischer Tiefenpsychologe schon vor über 80 Jahren vorausgesehen. Immer wieder kritisierte er die dominierende Stellung des Mannes in der Partnerschaft und sagte voraus, dass eine ausgewogene Machtbalance zwischen Mann und Frau der Zufriedenheit in Beziehungen zu Gute kommen und am Ende auch die Sexualität beflügeln werde. Der Name des Mannes: Alfred Adler.