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Egal wie die Stichwahl in Ägypten ausgeht, ob der Kandidat der Moslembrüder, Mohammed Mursi, oder der Vertreter des alten Regimes, Ahmed Shafik gewinnt; dem Land am Nil stehen gewalttätige Zeiten bevor. Die Attacke auf die Wahlkampfzentrale Shafiks in der Nacht auf Dienstag war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.
Shafik, der in Hosni Mubarak ein politisches Vorbild sieht, wird von jenen Ägyptern gewählt, die Angst vor der eigenen Courage bekommen haben, von Revolution nichts mehr wissen wollen und einen starken Führer suchen, der die Ordnung wiederherstellt. In den Metropolen Kairo und Alexandria sind allerdings jene in der Mehrzahl, die Fortschritt wollen und versuchen, eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen um jeden Preis zu verhindern. Der Sturz Mubaraks im Februar 2011 sei keine Revolution gewesen, sagen sie, höchstens eine Rebellion. Der Umsturz stehe noch aus und müsse in einer zweiten Welle des Aufbegehrens erreicht werden.
Allerdings: Sollte Shafik die Stichwahl gewinnen, würde sein gewaltsamer Sturz durch jene, die die Revolution vollenden wollen, die Missachtung einer demokratischen Entscheidung bedeuten. Shafiks Gegner können jedoch argumentieren, dass der Ex-Premier gar nicht hätte antreten dürfen. In der Tat hat das von Islamisten dominierte Parlament eine Wahlverordnung verabschiedet, die Exponenten des alten Regimes den Kandidaten-Status verwehrt. Der herrschende Militärrat hat das Gesetz aber wohlweislich nicht unterschrieben, denn die Generäle brauchen Shafik, um ihre Interessen durchzusetzen.
Sollte Mursi die Präsidentenwahl gewinnen, würden die Generäle die Macht schon gar nicht abgeben und das Land langsam in eine Militärdiktatur verwandeln. Armee und Islamisten sind seit Jahrzehnten verfeindet, die eine Seite muss die Vernichtung durch die jeweils andere fürchten. Schon jetzt regieren die ägyptischen Militärs mit eiserner Faust, Demonstranten werden in Gruppen vor Militärgerichte gestellt, Verhaftete gefoltert, die Meinungsfreiheit ständig missachtet.
Sollte der Militärrat Mursi im Falle eines Sieges nicht akzeptieren oder ihm keine Machtbefugnisse geben, hätte auch das Massendemonstrationen zur Folge. Dass die Soldaten den Protestierenden dann wie beim Aufstand im Vorjahr wohlwollend zusehen würden, ist nicht anzunehmen.