Jerusalem - Der alte Haudegen Ariel Sharon hat sich zur Flucht nach vorn entschieden: Mit vorgezogenen Neuwahlen im Februar werden die Karten in der israelischen Regierungspolitik neu gemischt. Der Wahlkampf begann unmittelbar nach der überraschenden Entscheidung - damit scheinen auch die internationalen Bemühungen um neue Anstöße im Friedensprozess auf Monate hinaus blockiert.
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Auf einer hastig einberufenen Pressekonferenz teilte Sharon nach links wie nach rechts aus.Der Arbeiterpartei warf er vor, die Koalition der "Nationalen Einheit" um kleinlicher Interessen willen nach 20-monatiger Regierungszeit in den Abgrund gerissen zu haben. Der größte Zorn galt aber der am rechten Rand des Parteienspektrums angesiedelten "Nationalen Union Israel Beiteinu" (Unser Haus Israel), die Sharon weit reichende Bedingungen für einen Eintritt in die Regierung stellte, darunter ein noch härterer Kurs im Konflikt mit den Palästinensern.
"Wahlen sind das Letzte, was dieses Land gerade jetzt braucht", sagte Sharon. Aber noch schlimmer wäre es gewesen, wenn er sich der politischen Erpressung gebeugt hätte. So hob Sharon die Schützengräben seiner Regierung aus: "Ich habe klar gemacht, dass ich weder die Richtlinien ändern werde noch die Verpflichtungen, die ich in meinen Gesprächen mit dem Weißen Haus auf mich genommen habe. Und vom Haushalt werde ich auch nicht abweichen." Der Streit um umgerechnet 145 Millionen Euro im neuen Haushalt hat die Koalition in der vergangenen Woche platzen lassen. Verteidigungsminister und Arbeiterparteichef Benjamin Ben-Eliezer wollte diesen Betrag nicht für die Unterstützung jüdischer Siedlungen in den besetzten Gebieten ausgegeben wissen, sondern für Sozialprogramme wie die Studentenförderung. "Die Regierung ist gestürzt, weil Sie kein Herz für die Armen haben", schleuderte Ben-Eliezer Sharon am Dienstag entgegen.
Viele kritische Köpfe sind aber überzeugt, dass Ben-Eliezer mit dieser Haltung nur seine eigenen Chancen bei der innerparteilichen Wahl des Ministerpräsidentenkandidaten am 19. November verbessern wollte. Unter dem Eindruck seines harten Kurses im Konflikt mit den Palästinensern liegt Ben-Eliezer bis zu zwölf Prozentpunkten hinter zwei Gegenkandidaten aus dem Lager der "Tauben" in der Arbeiterpartei, Amram Mizna und Haim Ramon.
Aber auch Sharon hatte im Umgang mit der Regierungskrise die innerparteilichen Verhältnisse vor Augen. Er musste befürchten, von Benjamin Netanyahu im Kampf um die Macht ausgetrickst zu werden, auch wenn er im Likud-Block zuletzt einen Vorsprung von zwölf Prozent vor dem früheren Ministerpräsidenten hatte. Den Eintritt in die Regierung als Außenminister machte Netanyahu von der Forderung nach Neuwahlen abhängig. Indem Sharon jetzt darauf eingegangen ist, hat er den Rivalen für die nächsten Monate in sein Kabinett eingebunden.
Für den Friedensprozess bedeutet das nichts Gutes. Netanyahu tritt für die Vertreibung von Präsident Yasser Arafat ein, dem er Terrorismus vorwirft. Sein Vorgänger im Außenministerium, Friedensnobelpreisträger Shimon Peres von der Arbeiterpartei, bot hingegen die Gewähr für die Priorität der Diplomatie. Die Bemühungen um eine Zustimmung Israels zum Dreistufenplan der USA, der EU, Russlands und der Vereinten Nationen (Nahost-"Quartett") werden bis zu den Wahlen kaum vorankommen.
Nicht zuletzt wirft der Verlauf der Regierungskrise aber auch ein Schlaglicht auf die wachsende Instabilität des politischen Systems Israels. Seit den 80er Jahren hat keine Regierung mehr ihre volle Amtszeit erfüllt, und in den letzten sieben Jahren gab es fünf Ministerpräsidenten. Nach den letzten Umfragen vor der Entscheidung für Neuwahlen konnte Likud damit rechnen, die Arbeiterpartei zu überrunden und einen Vorsprung von mindestens acht Mandaten zu erzielen.