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Shinzo Abe rennt dem Sieg entgegen

Von WZ-Korrespondentin Sonja Blaschke

Politik

Japans Premier winkt nach Oberhaus-Wahl Mehrheit in beiden Parlamentskammern.


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Tokio. Sie rennen wieder. Denn japanische Politiker, die eine Wahl gewinnen wollen, müssen körperlichen Einsatz zeigen. Es genügt nicht, sich einfach nur für ein Wahlplakat ablichten zu lassen und gelegentlich eine Rede zu halten. Persönliche Präsenz ist gefragt.

Das Minimum sind Fahrten mit dem Lautsprecherwagen durch den Wahlkreis, immer mit einer weißbehandschuhten Hand winkend. Aber noch engagierter sollen sie wirken, wenn die Politiker fest in die Pedale tretend vor einem Wagen herradeln oder im Laufschritt auf potenzielle Wähler zueilen.

Ganz unjapanisch werden Hände geschüttelt

Der Wahlkampf ist dann auch die einzige Gelegenheit, zu der sich Politiker zur Begrüßung nicht verbeugen, sondern ganz unjapanisch jedem mit beiden Händen die Hand schütteln. Auch Premierminister Shinzo Abe, dessen Rücktritt wegen Magenproblemen 2007 unvergessen bleibt, rennt derzeit, Fitness demonstrierend, durchs ganze Land. Das Ziel des 58-Jährigen: der Sieg bei der Oberhaus-Wahl am 21. Juli.

Den Umfragen nach könnte Abe aber auch schlendern: Alles deutet auf einen haushohen Sieg seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) hin. Die Unterhauswahlen Ende 2012 hat die LDP bereits klar gewonnen. Erobert sie nun mit ihrem Koalitionspartner New Komeitoauch das Oberhaus dazu, kann die Opposition Vorhaben von Abe nicht mehr blockieren, er könnte sein als "Abenomics" bekanntes Wirtschaftsprogramm noch konsequenter durchziehen. Ein LDP-Wahlsieg würde den Weg freimachen für Reformen des Arbeitsmarkts sowie der Gesundheits- und Agrarpolitik, die eine konjunkturelle Wirkung zeigen sollen.

Dass die LDP in den Prognosen so weite vorne liegt, hat aber nur zum Teil mit ihrem Parteiprogramm zu tun. Der andere Grund ist, dass sich die Opposition im letzten Jahr quasi selbst zerstört hat. Der Politikwissenschaftler Gerald Curtis von der Universität Columbia spricht von einer "nie dagewesenen Schwäche der politischen Opposition".

Diese zeigt sich vor allem bei der Demokratischen Partei Japans (DPJ), die bis Mitte Dezember 2012 gut drei Jahre lang die Regierung stellte. Sie scheint nun dort zu sein, wo sich die LDP nach dem letzten dramatischen Regierungswechsel 2009 befand: am Ende. Die DPJ enttäuschte ihre Wähler mit der Handhabung der Atom-, Erdbeben- und Tsunamikatastrophe im März 2011 und gebrochenen Wahlversprechen. Selbst wenn sie handeln wollte, wurde sie von der LDP oder mächtigen Beamten blockiert.

Medien fassen Abe mit Samthandschuhen an

Auch die Medien spielten mit: Aus kleinen Verfehlungen der DPJ wurden riesige Skandale. Umgekehrt bemühen sich die einheimischen Medien seit Abes Amtsantritt darum, Positives zu berichten und über Negatives schnell den Mantel des Schweigens zu breiten. Der Politikwissenschaftler Koichi Nakano von der Tokioter Sophia Universität erklärt, dass in Japan mit zweierlei Maß gemessen wird: "Der LDP werden all ihre Lügen verziehen, aber der DPJ wird angekreidet, dass sie nicht liefern konnte, was sie versprochen hat." Dafür bekommt die DPJ jetzt die Quittung. Politische Beobachter wie Hiroshi Hoshi, Kommentator von Japans zweitgrößter Zeitung "Asahi Shimbun", vermuten, dass die DPJ im Oberhaus von ihren 44 Sitzen, die zur Wahl stehen, mindestens die Hälfte verlieren wird. Das wäre das schlechteste Resultat in 15 Jahren Parteigeschichte.

Bei den Oberhauswahlen steht je die Hälfte der 242 Sitze alle drei Jahre zur Wahl. 73 von ihnen werden aus den 47 Präfekturen per Mehrheitswahl bestimmt, 48 über eine landesweite Liste durch Proportionalwahl - ein kompliziertes System, das von mehreren Gerichten für nicht verfassungskonform erklärt wurde, was am Wahlergebnis nie etwas änderte.

Im jetzigen System sind die Wahlbezirke ungleich aufgeteilt. Davon profitieren ländliche Gegenden, wo viele LDP-nahe Landwirte und Ältere wohnen. Die Städte hingegen haben relativ wenig Einfluss. Änderungsvorschläge der LDP dazu waren bisher recht halbherzig, zumal ihr das System nützt. Ihr kommt auch zugute, dass immer weniger, und wenn, dann vor allem Japaner im Seniorenalter wählen gehen.

Zudem fehlt es derzeit - nicht nur in der DPJ - an Gegenkandidaten. Lang als möglicher Premier gehandelt, ist "Schatten-Shogun" Ichiro Ozawa mit seiner Partei des Lebens völlig aus dem Rennen. Er sagte kürzlich, dass die Zersplitterung der Opposition der LDP freie Bahn verschaffe. Auch die Restaurationspartei, die anfangs als möglicher LDP-Koalitionspartner galt, ist nach umstrittenen Aussagen eines der Parteiführer nur mehr ein Schatten ihrer selbst.

Premier zeigt sich mit Baby auf Arm im Internet

Abe rennt aber trotzdem weiter. Zwischendurch findet er auch Zeit für Twitter und Facebook, die in diesem Wahlkampf erstmals erlaubt sind. Am Dienstag ließ er sich auf Okinawa, einer der am härtesten umkämpften Präfekturen, mit einem Baby auf dem Arm ablichten, wie sein Facebook-Konto zeigt. Auf den meisten anderen Bildern steht er mit LDP-Kandidaten auf zu Rednerpulten umgebauten Minibussen. Ihre Arme sind nach oben gestreckt - in vorweg genommener Siegespose.