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Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs machen sich in den ehemals kommunistischen EU-Beitrittsländern rechtsradikale Gruppierungen immer deutlicher bemerkbar. So etwa in Tschechien, wo die einschlägige Szene auf etwa 8.000 Aktivisten und doppelt so viele Sympathisanten geschätzt wird. Die Neonazis in den Reformländern eifern dabei ihren Vorbildern aus Deutschland und Österreich nicht nur in der Kleidung nach.
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Sie teilen die Bewunderung für NS-Vorbilder aus dem Dritten Reich, die Leugnung des Holocaust und den aggressiven Antisemitismus. Für die Vermittlung rassistischen Gedankenguts zunehmend wichtig sind CDs so genannter "Skin-Bands" mit denen neben Nazi-Devotionalien aller Art grenzübergreifend ein schwunghafter Handel in Gang gekommen ist. Überregionale Kontakte werden bei einschlägigen Konzerten geknüpft, die in Deutschland, Österreich aber auch in Tschechien, Ungarn und zunehmend in Slowenien stattfinden.
Der NS-Begeisterung vieler Jugendlicher in den EU-Kandidatenländern keinen Abbruch tut die Tatsache, dass etwa Slawen nach Hitlers Auffassung keineswegs der "Herrenrasse" zuzuordnen sind und eigentlich nach Kriegsende laut NS-Plan nach Sibirien deportiert hätten werden sollen: Man ist "stolz, Tscheche zu sein" und hebt den Arm zum deutschen Gruß. Was auch in Tschechien gesetzlich verboten ist. Als Feindbilder müssen jüdische Friedhöfe herhalten, die - so wie jüngst in der slowakischen Kleinstadt Puchov - geschändet werden. Übergriffe auf Angehörige der Roma-Minderheit, die nur zu oft tödlich enden, runden das Bild ab.
"Braune Verlinkung"
In Kontakt kommen Neonazis aller Herren Länder im 21. Jahrhundert vor allem über das Internet. Hier dienen verstärkt US-amerikanische Server als Medium des Austausches rassistischer, antisemitischer und menschenverachtender Inhalte. Die früher so beliebten Wehrsportübungen sind in brauen Kreisen derzeit weniger angesagt. "Volkstumspflege" wird im World Wide Web und über die Texte entsprechender CDs unter das Publikum gebracht. Den europaweit regelmäßig stattfindenden Skin-Konzerten kommt dabei laut österreichischem Verfassungsschutzbericht 2002 eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Diese Veranstaltungen stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl und dienen nebenbei dem Informationsaustausch und dem "Aufbau überregionaler Kontakte", so die Expertise.
Die zahlenmäßig recht überschaubare heimische Skin-Szene tauscht sich zwar vorwiegend mit Gleichgesinnten in Deutschland und der Schweiz aus, eine nicht unbedeutende Rolle spielen aber die Österreich benachbarten EU-Beitrittsländer: Diese dienen als Umschlagplatz für Skin-CDs und NS-Devotionalien aller Art. Die Reformstaaten sind nach Ansicht der deutschen, belgischen und schwedischen Polizeibehörden sogar zu einem der wichtigsten Treffpunkte von Skinheads aus ganz Europa und zu einem fast uneingeschränkten Marktplatz für Nazi-Literatur und CDs geworden. "Wir beobachten, dass diese Tonträger verstärkt etwa in Tschechien gebrannt und vertrieben werden", bestätigt Willi Lasek vom Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes den Befund. Ein "Refugium" für die Auftritte neonazistischer Skin-Bands ist laut Lasek in den letzten ein- bis eineinhalb Jahren Slowenien geworden.
"Türkenjäger" &Co
Das österreichische Innenministerium vermerkt im bereits erwähnten Verfassungsschutzbericht den Fall eines slowakischen Staatsbürgers, bei dem im April 2002 am Grenzübergang Kittsee 541 Original-CDs einer englischen Skin-Band gefunden wurden. Osteuropäische Extremismus-Experten weisen darauf hin, dass dieser Handel auch in die umgekehrte Richtung läuft: So sind viele tschechische Neonazis begeisterte Fans deutscher Skin-Bands, auch wenn sie aus sprachlichen Gründen die Inhalte der rassistischen Gesänge nicht verstehen. Deutsche und tschechische Medien berichteten wiederholt über Flohmärkte in Nordböhmen, auf denen rechtsradikales Propagandamaterial und CDs von Bands mit den bezeichnenden Namen wie "Landser", "Kraftschlag" und "Türkenjäger" an die deutsche wie heimische Klientel verkauft wird. Begehrt sind derzeit vor allem die Machwerke der britischen Nazi-Band "Blood and Honour", die über eine weit verzweigte Fangemeinde verfügt.
Tschechische Journalisten kritisieren, dass die Exekutive diesem Treiben oft teilnahmslos zusieht. Das ist auch der Hauptgrund dafür, dass deutsche wie österreichische Rechtsextreme verstärkt in die Reformländer ausgewichen sind. "Das in Österreich und Deutschland existierende NS-Verbotsgesetz gilt in Tschechien in dieser umfassenden Form meines Wissens nicht", so Gert Polli, Leiter des Verfassungsschutzes im Innenministerium, gegenüber der "Wiener Zeitung". "Es liegt auf der Hand, dass die rechtsradikale Szene dorthin abwandert, wo der geringste behördliche Druck zu erwarten ist."
In der EU und den Beitrittsländern hat man das Problem jedenfalls erkannt und will verstärkt dagegen vorgehen. So fand vergangenes Jahr in Berlin eine Tagung von Polizeivertretern aus EU- und den Nachbarstaaten statt, die sich mit dem Vertrieb von Tonträgern rassistischen Inhalts beschäftigte. Vereinbart wurde die EDV-Erfassung solcher Werke, was die Identifikation und grenzüberschreitende Bekämpfung der Ware erleichtern soll. Zusätzlich will man den Rechtsextremismus im Rahmen einer "Sicherheitspartnerschaft" eindämmen. Entsprechende Abkommen Österreichs mit Tschechien, Ungarn, Polen, Slowenien und der Slowakei wurden bereits getroffen.
Verbote wechselseitig
Diese Kooperation könnte sich bald auswirken: "In Ungarn wird derzeit überlegt, eine dort aktive rechtsextreme Gruppierung zu verbieten. Die wäre dann auch in Österreich zu untersagen, um ein Ausweichen der Organisation zu unterbinden", so Gert Polli vom Verfassungsschutz.