Zum Hauptinhalt springen

Showdown in der Wüste

Von Birgit Svensson, Kairo

Analysen

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

An Dramatik ist die Situation kaum zu überbieten. Plötzlich sieht man Menschen durch die Wüste rennen und sich in die Arme von Soldaten werfen. Es sollen fast 40 Algerier gewesen sein, die zuerst die Flucht ergriffen. Dadurch ermutigt, entkommen kurz darauf auch 15 Ausländer ihren Häschern. Dass die algerische Armee das Gasfeld in der Wüste nahe der Grenze zu Libyen umstellt hat, scheint sich wie ein Lauffeuer unter den Geiseln herumgesprochen zu haben. Die Mutigen rennen los. Wie viele zurückbleiben, ist in dem Chaos, das danach herrscht, nicht mehr auszumachen. Denn etwa zeitgleich mit der Selbstbefreiung einiger Geiseln setzt die algerische Armee Hubschrauber ein, die das Lager von Osten her angreifen. Es wird scharf geschossen. 35 Geiseln werden getötet und 15 Geiselnehmer.

Als 20 Männer am Tag zuvor gewaltsam auf das Gelände der Gasförderunternehmen eingedrungen waren, erschossen sie bereits einen britischen und einen algerischen Mitarbeiter. Schwer bewaffnet nahmen sie alle anderen Anwesenden als Geiseln – von bis zu 150 Personen ist zeitweise die Rede. Unter den Gekidnappten soll auch ein 36-jähriger Niederösterreicher sein, der in Algerien für eine Ölfirma arbeitet. Die Kidnapper sollen in drei Fahrzeugen angereist sein und zunächst einen Bus ins Visier genommen haben, der zum nächst liegenden Flughafen aufbrechen wollte. Auf dem Tigantourine Gasfeld, das etwa 40 Kilometer südwestlich von In Amenas liegt und zu einem der größten Gasfelder Algeriens zählt, arbeiten Experten aus Europa, den USA und natürlich Algerier. Ein Japaner soll sich ebenfalls auf der Anlage befunden haben. Die britische BP, die norwegische Statoil und der algerische Staatskonzern Sonatrach fördern dort seit Ende der 90er Jahre Flüssiggas, das vor allem nach Europa exportiert wird.

Der algerische Innenminister, Dahou Ould Kabila, hatte bereits vor einem derartigen Ausgang gewarnt. Seine Regierung sei nicht willens auf die Forderungen der Geiselnehmer einzugehen, sagte er am Mittwochabend im französischen Nachrichtensender France 24: "Wenn sie ihre Meinung nicht ändern, könnte das Geschehen eine andere Wendung nehmen." Für den Überfall hatte sich eine Einheit der Al-Kaida im islamischen Maghreb verantwortlich bekannt. Es handele sich um eine von drei Gruppen, gegen die Frankreich im benachbarten Mali kämpft. Sie hatte Vergeltung für die französische Offensive angedroht. Vor allem sei der Angriff die Rache dafür, dass Algerien Frankreich für den Militäreinsatz im benachbarten Mali Überflugrechte gewährte. Außerdem sollten einige der inhaftierten Kämpfer der Truppe freigepresst werden. Da das Innenministerium in Algier befürchtete, die Kidnapper könnten mit ihren Geiseln über die Grenze nach Libyen fliehen, wurden die Grenzkontrollen verstärkt und der Übergang vorübergehend geschlossen.

Mit dem Blutbad in der Wüste ist der schmutzige Krieg nach Algerien zurückgekehrt. 130.000 Menschenleben haben die bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und militanten Islamisten in den zehn Jahren von 1993 an gekostet. Danach ist es weitgehend ruhig geblieben. Tausende von Mitgliedern der islamischen Heilsfront FIS oder der "Bewaffneten Islamischen Armee" (GIA) wurden getötet oder landeten in Gefängnissen. Ein Großteil schwor dort dem Terror ab und wurde frühzeitig entlassen. Andere allerdings gingen ins Ausland oder in den Untergrund. Es steht also zu befürchten, dass diese "schlafenden Zellen" durch die jetzige Situation in der Region zu neuem Leben erweckt werden. Dafür dient Mali als Anlass und Anstoß. Denn dass dieser Angriff auf die Gasförderanlage von langer Hand vorbereitet wurde, ist nicht von der Hand zu weisen. Zum einen befindet sich die Anlage fast 2000 Kilometer von der malischen Grenze entfernt, auf der anderen Seite des riesigen Landes. Es ist also sehr unwahrscheinlich, dass die Terroristen von dort nach Algerien eindrangen, um die Tat zu verüben. Wahrscheinlicher ist, dass sie eine passende Gelegenheit abwarteten um zuzuschlagen. Zum anderen trägt der Überfall unmissverständlich die Handschrift von Al-Kaida oder einer mit ihr assoziierten Gruppen. Das Muster des Angriffs ist nur allzu gut aus den Erfahrungen im Irak bekannt. Die Erstürmung der syrisch-katholischen Kirche kurz vor Weihnachten 2010 in Bagdad lief vergleichbar ab, die Forderungen waren ebenfalls politischer Natur, einhergehend mit dem Befreiungsversuch einiger Gesinnungsgenossen. Auch in Bagdad endete das Geiseldrama blutig.

Auch wenn die Regierung in Algier seit dem Ende des Bürgerkriegs 2003 immer wieder betont, man wolle die Vergangenheit zurücklassen und nach vorne schauen, scheint das Zurückliegende doch nicht in Vergessenheit geraten zu wollen. Auslöser der blutigen Konfrontationen war der fulminante Sieg der Islamisten-Partei FIS im ersten Durchgang der Parlamentswahlen 1992 und der Entscheidung der Armee, den Wahlgang abzubrechen und die Partei zu verbieten. Der Terror erhielt dadurch seinen Nährboden.