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Barroso macht sich für umfassende Kontrolle stark. | AKW, die nicht bestehen, sollen nachgerüstet werden. | Brüssel. Kurz vor dem Treffen von Vertretern aller 27 EU-Atomsicherheitsbehörden (Ensreg) heute, Donnerstag, erhielt Energiekommissar Günther Oettinger Unterstützung von höchster Stelle. Die Stresstests für die 143 Kernkraftwerke in der Union müssten so strikt wie möglich sein und die weitesten Szenarien einschließen, ließ Kommissionspräsident José Manuel Barroso über seine Sprecherin ausrichten. | Große Gesten und Beruhigungspillen: Japan zwei Monate nach Katastrophe | Der Fächer ersetzt die Klimaanlage | Sehr schwer nachprüfbare Tschernobyl-Reminiszenzen
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Bereits seit Wochen ringt Oettinger mit der mächtigen Atomlobby um die konkreten Kriterien der Stresstests. Dabei will er auch die Widerstandsfähigkeit der Reaktoren gegen Flugzeugabstürze, Terroraschläge und menschliches Versagen prüfen lassen. Hinter sich weiß er dabei zumindest Deutschland, Österreich, Irland und Griechenland. Auf Konfrontationskurs geht der deutsche Kommissar mit der Vereinigung der Westdeutschen Atomaufsichtsbehörden (Wenra). Hier sind nur jene 14 EU-Länder vertreten, welche auch tatsächlich AKW betreiben. In einem Positionspapier schlägt die Wenra vor, die Meiler nur gegen Naturkatastrophen wie Erdbeben und Überflutungen sowie deren Folgen wie den Verlust von Stromversorgung und Schutzhülle testen zu lassen. Durchgeführt werden die Prüfungen von den rechtlich unabhängigen nationalen Atomaufsichtsbehörden.
Franzosen und Britensteigen auf die Bremse
Länder wie Frankreich und Großbritannien sollen weiter reichende Vorgaben verhindert haben. Sie berufen sich auf eine Passage in den EU-Gipfelbeschlüssen vom März, in der von Stresstests "im Lichte der Lektionen des Unfalls in Japan" die Rede ist. Das Kernkraftwerk in Fukushima hatte ein Erdbeben von der Stärke 8,9 auf der Richterskala überstanden, der darauffolgende Tsunami unterband dann aber die Stromversorgung. Die Folge war die schwerste nukleare Katastrophe seit dem verheerenden Unglück in Tschernobyl 1986 - als übrigens menschliches Versagen die Ursache war.
Energiekommissar Oettinger steht auf dem Standpunkt, dass in der EU nur die höchstmöglichen Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke ausreichend sind. Für neue Reaktoren gelten diese ohnehin bereits, jeder Bauplan wird von der EU-Kommission genau unter die Lupe genommen. Seit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 gehört zum Genehmigungsverfahren auch die Überprüfung auf Widerstandsfähigkeit gegen Flugzeugabstürze. Diese Empfehlungen der Kommission sind zwar nicht rechtlich verbindlich. Ohne Okay aus Brüssel gebe es aber keine Baufinanzierungen von Europäischer Investitionsbank oder sonst einem Kreditinstitut, sagte Oettingers Sprecherin. Etwa den Ausbau des AKW Mohovce in der Slowakei habe die Kommission mangels ausreichender Schutzhülle nur unter der Auflage von Nachrüstungen genehmigt.
De facto wolle die Kommission also die heute gültigen Sicherheitsstandards auf alle 143 AKW ausweiten, die zum Teil noch aus den 1960er Jahren stammten, hieß es. Der österreichische Umweltminister Nikolaus Berlakovich, der die Idee der Stresstests ursprünglich aufgebracht hat, will noch persönlich in Brüssel Überzeugungsarbeit für möglichst strenge Kriterien leisten. Womöglich versucht Oettinger Kriterien wie Flugzeugabstürze und Terrorangriffe auf freiwilliger Basis testen zu lassen. Über den Druck der Öffentlichkeit könnte es dadurch de facto verbindlich werden, so das Kalkül. Für Atomkraftwerksbetreiber wäre es schwierig zu erklären, warum gerade ein bestimmter Meiler weniger strikt getestet würde.
Christian Taillebois vom Europäischen Atomkraftverband Foratom hat wenig Verständnis für Oettingers Ansinnen: "Wir sind überrascht, dass der Energiekommissar etwa anderes verlangt, als die Staats- und Regierungschefs beschlossen haben", sagte er zur "Wiener Zeitung". "Die Stresstests wurden sehr rasch nach den Vorfällen in Japan beschlossen und sind eindeutig gegen große Bedrohungen aus der Natur gerichtet, wie sie in Fuku shima vorgefallen sind." Man dürfe nicht die Betriebssicherheit mit der Sicherung vor beabsichtigten Angriffen verwechseln. In die zweite Kategorie falle etwa der Schutz vor Terrorangriffen, welche eine Angelegenheit von Verteidigungs- und Innenministerium sei. Mit diesem Argument hat offenbar auch Frankreich die Aufnahme von Anschlägen abgelehnt. Man wolle Terroristen schließlich keine öffentliche Anleitung liefern, hieß es. Denn unstrittig ist die lückenlose Veröffentlichung der Stresstestergebnisse. Kraftwerke, welche die Tests nicht bestehen, sollten nachgerüstet oder geschlossen werden, wünscht sich die Kommission.