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Sibirisches Tauwetter im Gas-Streit

Von Georg Friesenbichler / Christine Zeiner

Politik
Der freundliche Empfang durch Russland-Deutsche war für Angela Merkel in Tomsk nur ein Nebenaspekt. Im Mittelpunkt ihres Treffens mit Putin standen Wirtschaftsfragen. Auch Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann und Bahn-Chef Hartmut Mehdorn schlossen mit russischen Vertretern mehrere Abkommen. Foto: ap/Schreiber

Präsident gegen Ausgrenzung der Gazprom. | Staatskonzern will Gas auch im Westen selbst verteilen. | Tomsk. In Tomsk stand Beruhigung auf der Tagesordnung. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bekundete bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen in der sibirischen Stadt ihr Vertrauen, dass die seit 40 Jahren verlässlichen Beziehungen im Energiebereich weiter bestehen würden. Gastgeber Wladimir Putin wiederum versicherte, das Russland seine Gaslieferungen nach Europa nicht einschränken werde.


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Solche beschwichtigenden Worte waren notwendig geworden. Die Europäer sind aufgeschreckt, seit zur Jahreswende der russische Gas-Lieferungsstopp für die Ukraine auch die Versorgung in der EU kurzfristig beeinträchtigte. In März legten die EU-Kommissare Andris Piebalgs (Energie) und Nellie Kroes (Wettbewerb) ein Papier vor, dass die Energieabhängigkeit von Russland reduzieren sollte.

Der russische Energieriese Gazprom, der Zugriff auf 30 Prozent der globalen Gasreserven hat, hatte daraufhin dieser Tage gedroht, die Erdgas-Versorgung nach Europa zu drosseln, falls er nicht auch Zugang zum europäischen Markt bekommt. Tatsächlich legt Pipeline-Monopolist Transneft gerade den Grundstein für ein sibirisch-ostasiatische Pipeline. Die von Umweltschützern bekämpfte Trasse hat Putin per Dekret soeben um 40 Kilometer nach Norden verlegt, um das unter Unesco-Naturerbe-Gebiet am Baikal-See zu schützen. Bis 2011 sollen gleich zwei Pipelines Gas nach China liefern.

Putin nutzte in der sibirischen 500.000-Einwohner-Stadt, 3500km östlich von Moskau, die Gelegenheit, um für die russische Sicht der Dinge zu werben: "Wenn man täglich ein und dasselbe zu hören bekommt, begreift man das als eine Drohung, unseren Zugang zum Markt zu begrenzen. Dann fängt man an, sich nach anderen umzuschauen." Im Westen werde viel über Investitionen und Globalisierung geredet. "Wenn wir versuchen, da anzukommen, ist das auf einmal die Expansion russischer Firmen", sagte Putin. "Wir sollten uns auf einen gemeinsamen Maßstab verständigen."

Im Hintergrund der Präsidentenklage über den "unfairen Wettbewerb" steht die Anstrengung des Gazprom-Chefs und Putin-Vertrauten Alexej Miller, zukünftig nicht nur am Fördern, sondern auch am Verteilen des Erdgases an die Kunden verdienen. Deshalb denkt er zum Beispiel daran, den größten britischen Gasversorger, Centrica, zu kaufen. Beamte des Londoner Wirtschaftsministeriums hatten in Reaktion darauf vorgeschlagen, die Regeln für Firmenübernahmen zu verschärfen. Regierungschef Tony Blair ließ nun aber ausrichten, er denke nicht daran, eine Übernahme zu blockieren.

Gegenseitige Abhängigkeit

Im Gegenzug für die Öffnung der europäischen Märkte fordert EU-Kommissar Piebalgs allerdings Gleiches auch von Russland. Er fordert Moskau auf, endlich den internationalen Energieliefervertrag zu ratifizieren. Damit soll unter anderem jedem der freie Energie-Transfer durch Pipelines gewährleistet werden. Bisher ist er der Gazprom vorbehalten. Die Investitionen in den Pipeline-Bau ist freilich ein teure Angelegenheit. Energieexperten verweisen daher darauf, dass Russland hierbei auf finanzielle Unterstützung durch Partner aus dem Westen angewiesen ist.

Ein Beispiel für die Zusammenarbeit könnte das Abkommen sein, das der deutsche Chemiekonzern BASF in Tomsk unterzeichnet hat. BASF erhält damit eine 25-prozentige Beteiligung am westsibirischen Riesen-Gasfeld Juschno Russkoje (auch der Energiekonzern E.ON-Ruhrgas ist an einer Beteiligung interessiert). Damit darf BASF als erstes ausländisches Unternehmen das Gas aus den sibirischen Feldern auch selbst fördern und verkaufen. Dafür bekommt Gazprom aber weitere Anteile an dem Kasseler Unternehmen Wingas. Mit dieser Firma vertreiben Gazprom und BASF seit über zehn Jahren gemeinsam Gas in Europa.

Dies dürfte genau nach dem Geschmack der Gazprom-Manager sein. Denn ungeachtet ihrer scharfen Worte sind sie am europäischen Markt überaus interessiert. Zum einen finden sie hier stabile und zuverlässige Handelspartner. Diese tragen 65 Prozent zum Jahreseinkommen von Gazprom bei, gegenüber 30 Prozent am Heimmarkt, wo aber 60 Prozent des Gases vertrieben werden. Zum anderen führen 80 Prozent der russischen Pipelines Richtung Westen. Es würde lange brauchen, um die Infrastruktur für Lieferungen in die andere Himmelsrichtung bereitzustellen.

OMV: "Keine Angst vor irgendjemandem"

Dementsprechend gelassen gibt sich auch Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein: "Wenn es nicht funktioniert, wenn der Streit zu Gröberem führt, dann hat das nur eine Folge, nämlich dass die Russen pleite gehen, weil sie von den finanziellen Mitteln der Europäer in dieser Beziehung abhängen, und wir frieren". In den nächsten Tagen will er zusammen mit Piebalgs Gazprom eine entsprechende Antwort auf die Drohgebärden zukommen lassen. "Nüchtern" sieht die Angelegenheit auch die OMV. Thomas Huemer, Pressesprecher des österreichischen Öl- und Gaskonerns, vertraut auf die langfristigen Verträge mit Russland. Zum Ausbau der Versorgungssicherheit sei aber dennoch "Diversifizierung" notwendig. Deshalb investierte man in die "Nabucco"-Pipeline, die ab 2011 Gas vom Osten der Türkei nach Österreich bringen soll.

Vor einem etwaigen Vorstoß der Gazprom nach Westen schreckt sich die OMV nicht: "Wir haben keine Angst vor irgend jemandem".

Zweitgrößter Energiekonzern