)
Sicherheit und Stabilität stehen auch im Bereich der internationalen Politik ganz oben auf jeder Wunschliste. Fragen nach ihrer Entstehung, Aufrechterhaltung und Gefährdung richten sich dabei gleichermaßen an Politiker wie Analytiker. Zu letzteren zählt Andrea K. Riemer, Dekan an der "International University Vienna" und Expertin für internationale Beziehungen. Anhand der Fallbeispiele Türkei und Balkan versucht sie, eine umfassendere Konzeption von Sicherheit in einer Zeit rasanter Veränderungen zu skizzieren, um so politischen Entscheidungsträgern ein schnelleres Reagieren in Krisensituationen zu ermöglichen. Dabei wird deutlich: Sicherheit, umfassend verstanden, ist eine vielschichtige Herausforderung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Menschen wie Staaten streben in letzter Konsequenz stets nach Sicherheit und Stabilität für sich selbst. Scheint beides ausreichend gesichert, kommt auch noch der Wunsch nach einigem Wohlstand hinzu. Die besonderen Rahmenbedingungen des Internationalen Systems - Stichwort "Anarchie", also die Unverbindlichkeit völkerrechtlicher Normen - führen jedoch dazu, dass Kriege und Konflikte als ständige und unberechenbare Gefahr drohen.
Vor diesem Hintergrund haben es sich die Theoretiker dieses Fachs zum Ziel gesetzt, zum einen zumindest etwas Licht in den zukünftigen Verlauf der Geschichte zu bringen, zum anderen zumindest die kurzfristigen Gefährdungen von Sicherheit und Stabilität zu bestimmen und Lösungs- bzw. Vermeidungsstrategien zu entwerfen.
Magere "Erfolgsbilanz" internationaler Theorien
Zumindest was die Prognosefähigkeit betrifft, fällt das gegenwärtige Urteil aber einigermaßen enttäuschend aus: Keiner der etablierten Theorieentwürfe hat auch nur ansatzweise die Umbrüche der letzten 15 Jahre - Zerfall der Sowjetunion, Ende des Kalten Krieges, Hegemonie der USA - vorher gesagt. Das ändert allerdings nichts daran, dass allein schon der Versuch eines gesamthaften Theorieansatzes wesentlich zu einem besseren Verständnis Internationaler Politik beigetragen hat.
Erfreulicher fällt demgegenüber die Bilanz bei dem um einiges realistischeren Ziel Konfliktvermeidung und -management aus. Durch die Konzentration auf einzelne Problemregionen besteht hier die Möglichkeit, im Nachhinein die komplexen Ursachen von Konflikten und Kriegen zu analysieren und - wenn auch in ihrer Reichweite beschränkte - Schlussfolgerungen für vergleichbare Krisensituationen zu ziehen.
Internationale Politik als Gesellschaftssystem
Mit dem Kalten Krieg endete auch eine lange Ära der Übersichtlichkeit und klaren Strukturierung im System der Internationalen Beziehungen. Insbesondere für Staaten an den Randlagen etablierter Machtzentren entstand so eine neue Situation mit mehr Handlungsfreiheit, damit einhergehend aber auch erheblich mehr Risiken für die eigene Stabilität und Sicherheit. Für diesen Bereich hat nun Riemer einen interessanten Forschungsansatz vorgelegt, der sein Augenmerk auf die Konzeption eines Internationalen Gesellschaftssystems legt.
Riemers Ansatz reduziert politisches Handeln nicht auf das Verhalten staatlicher Regierungen oder sonstiger einzelner nationaler Akteure, sondern bettet es ein in ein soziales "Netzwerk" komplexer Beziehungen zwischen zahlreichen Akteuren verschiedener Ebenen und Sektoren.
Darüber hinaus widmet die Arbeit dem Phänomen gesellschaftlicher Veränderungen in den für Sicherheit und Stabilität relevanten Bereichen besonderes Augenmerk. Indem hier in verschiedenen politischen, demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Bereichen Indikatoren nach Signalstärke geordnet aufgelistet werden, wird die dahinter stehende Theorie auch greifbar.
Riemer veranschaulicht die Praxisrelevanz ihres Ansatz anhand der konkreten Situation auf dem Balkan und in der Türkei während der 90er Jahre.
Ziel: Entscheidungshilfe in Krisensituationen
Auf diese Weise zeigt sie "Sicherheit" als soziale Herausforderung, die alle Bereiche einer Gesellschaft miteinschließen muss und sich nicht auf rein militärische und politische Fragen beschränken darf. Indem Riemer diese Herausforderung anhand konkreter Fallbeispiele anschaulich macht, leistet sie einen Beitrag, Entscheidungsträger auf scheinbar unaufhaltbare Entwicklungen, wie sie etwa mit dem völligen Verfall staatlicher Ordnung und ethnischen Säuberungen auf dem Balkan stattgefunden haben, zu sensibilisieren.
Den selbst gestellten Anspruch einer Verknüpfung von Theorie und Praxis erreicht sie, indem sie den Verantwortlichen konkrete Instrumente in die Hand gibt, wie in Zukunft besser und insbesondere rechtzeitig auf Krisen reagiert werden kann. Dies verlangt jedoch, wie die Studie eindrücklich vermittelt, die Fähigkeit, mit komplexen, nicht-linearen Situationen umzugehen.
Andrea K. Riemer: Semiperiphery States during the Post-cold-war Era - Theory meets Practice. Peter Lang, Frankfurt/Main 2002.