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Sicherheit und Europa

Von Gerald Mader

Europaarchiv

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Kein Dialog, kein Verhandeln mit Terroristen erklären unisono der amerikanische und russische Präsident. Es gibt gegenüber der "Pest des 21. Jahrhunderts" nur eine Methode: Die militärische Vernichtung, auch wenn der Begriff Terrorismus sehr unterschiedlich interpretiert wird. Ist die militärische Bekämpfung wirklich die richtige Methode, den Terrorismus zu überwinden und ihm die Sympathisanten zu entziehen, fragen sich nicht nur Friedenswissenschaftler? Wer sich von den Denkkategorien Immanuel Kants leiten lässt, dessen 200. Todestag wir heuer begehen, weiß, dass man Frieden und Demokratie anderen Völkern nicht gewaltsam aufzwingen kann. Die geschichtlichen Erfahrungen, aber auch die Gegenwart in Afghanistan, Irak, Tschetschenien sprechen dagegen. Eine Politik, die versucht, anderen Völkern unsere westliche Demokratie mit Gewalt zu oktroyieren, muss scheitern. Sie trägt nicht zur weltweiten Verbreitung der Demokratie bei, sondern sie lässt im Gegenteil die Anziehungskraft der Demokratie schwinden. Demokratie ist ein Projekt, das nur durch Dialog, Kooperation und gemeinsame Lernprozesse vorangebracht werden kann.

Wir müssen uns auch fragen, warum führen die demokratischen Staaten, vor allem die USA so viele Kriege gegen nicht-demokratische Staaten? Empirisch ist, wie Wissenschaftler festgestellt haben, "die Behauptung nicht aufrecht zu erhalten, dass sich die Welt in friedensliebende demokratische Staaten und kriegslüsterne Autokratien unterteilen lässt", auch wenn es richtig ist, dass Demokratien untereinander keine Kriege führen. Hinzu kommt, dass die USA nur Kriege gegen schwächere nicht-demokratische Staaten führen. Es kann daher keine militärische Bedrohung sein, welche die USA zu militärischen Interventionen und zur permanenten militärischen Hochrüstung veranlassen. Interventionsgründe sind heute nicht mehr Eroberung, sondern Bestrafung, Machtdemonstration, schnelle Siege ohne Verlust, der Kampf gegen den Terror und vor allem geopolitische und wirtschaftliche, sogenannte nationale Interessen. Der Anti-Terrorkrieg, der Krieg gegen Diktatoren à la Saddam Hussein ist so sichtbar mit diesen nationalen Interessen verquickt, dass hierunter die Glaubwürdigkeit der westlichen Politik leidet. "Eine Politik, die die Förderung von Demokratie und Frieden propagiert und gleichzeitig Krieg führt und das Versprechen auf Demokratie nicht einlöst, riskiert nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit, sie diskreditiert die demokratische Idee und lädt andere Mächte ein, ihre Kriegs- und Gewaltpolitik ähnlich zynisch mit dem Argumente der Bedrohungsabwehr und Friedenssicherung zu rechtfertigen" (Lutz Schrader bei der State of Peace-Konferenz am 29. Jänner 2004 in Stadtschlaining).

Für die EU stellt sich die Frage, ob sie sich an Präventivkriegen gegen nicht-demokratische Staaten beteiligen und hierfür adäquate Militärstrukturen aufbauen soll. Soll mit der Zivilmacht Europas Schluss gemacht werden? Europe goes military. Oder soll sich Europa auf Militärstrukturen beschränken, die von einem Verzicht auf Angriffskriege ausgehen, sich für kooperative Konfliktlösung und Interessensdurchsetzung sowie für eine Politik engagieren, die politisches Vertrauen auch mit den nicht-demokratischen Staaten und Gesellschaften aufbauen will?

Die EU wird um diese Entscheidung, an dieser friedens- und weltpolitischen Weichenstellung nicht herumkommen. Heute steht im Vordergrund nicht die Sicherheit in Europa, sondern es geht um Sicherheit vor Europa. Denn es ist keine Macht in Sicht, die den Westen militärisch herausfordern könnte. Daher ist es lächerlich, eine militärische Aufrüstung der EU mit der Begründung zu fordern, dass Europa nicht zu einem wehrlosen Opfer eines außereuropäischen Usurpators werden darf, der nur darauf wartet, ein nicht modernst bewaffnetes Europa militärisch zu überfallen. Von Europa darf kein Krieg mehr ausgehen, war der Traum der Kriegsgeneration nach 1945. Europa als Zivilmacht entsprach diesem Traum, der durch eine Militarisierung gefährdet ist, die nicht der Verteidigung dient, sondern weltweite Interventionen ermöglichen soll.

Daher abschließend: Das militärische Instrument taugt wenig zur Bekämpfung des Terrorismus. Der Aufbau einer Militarisierung zur weltweiten Bekämpfung des Terrors mit Hilfe von Präventivkriegen oder Präemptivschlägen ist der falsche Weg für die EU. Nicht militärische Stärke und Drohung, sondern das Operieren mit "weicher Macht" ist die erfolgreiche europäische Methode, die ihre Anziehungskraft ausmacht. Diese gilt es zu erhalten und auszubauen. Die Verbreitung des demokratischen Friedens, der den Kant'schen Überlegungen in seiner Schrift "Zum Ewigen Frieden" zugrunde liegt, ist ein Ziel, mit dem sich Europa identifizieren kann. Der Übergang von nicht-demokratischen Staaten, die zwei Drittel der Welt ausmachen, zu demokratischen Staaten und Gesellschaften, kann aber nicht oktroyiert werden, sondern kann sich nur schrittweise vollziehen, wozu der Aufbau eines politischen Vertrauens gehört, das durch die Aufrüstung des ohnehin militärisch überlegenen Westens gestört wird. Die weltpolitische Chance der EU liegt daher darin, dass sie sich für den notwendigen Kurswechsel von der Gewaltpolitik zur Friedenspolitik engagiert und diesen glaubwürdig praktiziert.

Dr. Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK)