Zum Hauptinhalt springen

Sicherheitscharta und KSE stehen an

Von Hermine Schreiberhuber

Politik

Wien · Mit gedämpften Erwartungen gehen die Delegationen der 54 OSZE-Mitgliedsstaaten in die Beratungen des Istanbuler Gipfels. Die Schlusserklärung, in der die Grundzüge der künftigen Aktivitäten | dargelegt werden und auch auf aktuelle Krisen eingegangen wird, dürfte milder ausfallen als vielleicht notwendig wäre.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Denn zu harte Kritik an der Tschetschenien-Politik Moskaus könnte Russland veranlassen, gegen den neuen Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) ein Veto einzulegen und

die ohnehin mühsamst erarbeitete Europäische Sicherheitscharta zu verhindern.

Trotz der Schatten des Tschetschenien-Feldzugs, die sich schon über die Vorbereitungssitzungen in der Bosporus-Metropole legten, steht das Bemühen um Kompromisse im Vordergrund. Die westlichen

Staaten, die die massive russische Militäroperation kritisieren, wollen Russland in Istanbul auffordern, einer politischen Lösung zuzustimmen und einen detaillierten Rückzugsplan aus Tschetschenien

vorzulegen. Die Moskauer Führung dürfte sich auf ihre Position zurückzuziehen versuchen, dass Tschetschenien eine innere Angelegenheit Russlands sei.

Kurz vor dem Gipfel ging Moskau voll auf Konfrontationskurs zum Westen: Russland vernichte nur "Terroristen auf seinem Territorium", daher habe der Westen kein Recht, seinen Partner auf die

Anklagebank zu setzen, verkündete Präsident Boris Jelzin in aller Schärfe. Außenminister Igor Iwanow sprach offen aus, was westliche OSZE-Diplomaten am meisten fürchten, nämlich dass Russland anderen

Gipfel-Beschlüssen die Zustimmung verweigern könnte, sollte der Tschetschenien-Konflikt beim OSZE-Gipfel thematisiert werden.

Das Sicherheitsdokument, das in Istanbul endlich verabschiedet werden soll, ist das Ergebnis einer langwierigen Diskussion um das europäische Sicherheitsmodell. Schon 1996 hatte sich die Schweizer

OSZE-Präsidentschaft an der Sicherheitscharta die Zähne ausgebissen, heißt es in Bern. Russland wollte ursprünglich als Gegengewicht zu einer erweiterten NATO der OSZE eine sicherheitspolitische

Dachfunktion verschaffen. Daraus wurde nichts.

OSZE-Experten-Pool

als Minimalkonsens

In der Plattform für kooperative Sicherheit der Charta wird der OSZE keine Möglichkeit eingeräumt, die Tätigkeit anderer Organisationen wie Europarat, NATO oder EU zu koordinieren. Ein

konkret neues Element der Charta dürfte die Schaffung eines Experten-Pools (REACT) sein, den auch Österreich unterstützt. Mit zivilen "Stand-by-Aktivitäten" könnten im akuten Krisenfall rasch

umfangreiche OSZE-Missionen zusammengestellt werden, um die Lage vor drohenden Zusammenstößen zu entschärfen.

Kernpunkt "KSE-neu"

Ein Teil der Staats- und Regierungschefs wird in Istanbul die Neufassung des KSE-Vertrages unterschreiben, der mit dem Abgehen von der Block-Struktur den neuen militärischen

Kräfteverhältnissen in Europa Rechnung trägt. Künftig sollen die Höchstzahlen von Panzern und anderem schweren Kriegsgerät nach Ländern, also in territorialen Obergrenzen, festgelegt werden. In der

ursprünglichen Fassung von 1990, die noch von den Staaten des Warschauer Paktes und der NATO unterzeichnet wurde, ging man vom Gleichgewicht zwischen den beiden Blöcken aus.

Der adaptierte KSE-Vertrag sieht eine beträchtliche Verringerung von Kampfpanzern, Artillerie und Flugzeugen vor. Russland hat die KSE-Vereinbarungen, auch das künftige Flankenregime, klar verletzt.

Nach den neuen Obergrenzen darf die Russische Föderation künftig nur noch 6.350 Kampfpanzer unterhalten, gegenüber 13.150 im ersten KSE-Vertrag (der damaligen Sowjetunion waren im alten KSE-Vertrag

insgesamt 20.725 Kampfpanzer zugestanden worden). Das vereinigte Deutschland muss rund 1.500 Waffensysteme außer Dienst stellen, darunter Kampfpanzer und Kampfflugzeuge.

Ein Novum des neuen KSE-Vertrages: Er bietet Nicht-Signatarstaaten eine individuelle Beitrittsmöglichkeit an, d.h. auch Staaten wie die Schweiz und Österreich könnten beitreten. Einen ersten Schritt

in Richtung europäische Verteidigungsintegration hat Österreich gerade im EU-Rahmen mit der Ankündigung getan, bis zu 2.500 Mann für eine rasche Eingreiftruppe stellen zu können.