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Sicherheitspolitik im neuen Europa ohne Tricks

Von Erwin Lanc

Politik

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Gleich zweimal beschäftigt sich der österreichische Nationalrat im Herbst mit der Sicherheit Österreichs im neuen Europa. Der Artikel 23f des Bundesverfassungsgesetzes muss im Rahmen der Ratifizierung der Verträge von Nizza verändert werden; dort wird noch auf den Vertrag von Amsterdam Bezug genommen. Dazu ist dem Nationalrat eine Petition von Bürgern zugegangen. Sie verlangen die Rücknahme der Ermächtigung an Bundeskanzler und Außenminister, ohne UNO-Mandat das österreichische Bundesheer zur bewaffneten Friedenserzwingung im Rahmen der sogenannten Petersberger Aufgaben heranzuziehen. Völkerrechtlich ist das aber schlicht ein Krieg und eine Teilnahme Österreichs daher neutralitätswidrig; abgesehen davon, dass eine Regierung, die keine Zweidrittelmehrheit im Parlament hat, auf diese (Un)Art und Weise das Neutralitätsstammgesetz unterlaufen könnte. Unsere Soldaten sind aber auch zu schade, um das Risiko einer noch immer unausgegorenen europäischen Sicherheitspolitik und dem, was eine Regierung mit einfacher Mehrheit darunter verstehen will, zu tragen. Es muss also zu einem verfassungskonformen Konsens im Parlament kommen. Dass die Opposition diese "Korrekturchance" des Art. 23f nicht nützt, ist schwer vorstellbar, auch wenn sich die Sozialdemokraten von ihrem eigenen seinerzeitigen Kompromiss mit der ÖVP distanzieren müssen. Aber es ist ja nicht verboten, klüger zu werden.

Es geht aber um mehr als nur um zeitgemäß angewandte österreichische Neutralität. Es geht außenpolitisch um die gerade für kleinere Staaten wichtige Bewahrung des Völkerrechts gegenüber dem Faustrecht der jeweils militärisch Mächtigsten, um die Wahrung des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen. Absprachen für UN-Einsätze und die dafür notwendigen Sicherheitsratsbeschlüsse werden irgendwo in NATO-Europa getroffen, dann erst wird das UN-Generalsekretariat damit befasst, besser gesagt mit der Durchführung beauftragt. Dieser Art von Willensbildung in der Völkerfamilie muss man entgegentreten.

Der Klubobmann der drittstärksten Partei setzt Termine für eine Entscheidung des Nationalrates über eine neue Sicherheitsdoktrin Österreichs. Die Bundesregierung hat aber noch keinen verbindlichen Text für eine solche vorgelegt. Sie übermittelte dem Nationalrat lediglich einen Entwurf eines von ihr eingesetzten Expertenkomitees für eine Analyse zu einer neuen Sicherheitsdoktrin Österreichs. Schriftliche Schlussfolgerungen daraus gibt es keine. Dieses teilweise durchaus seriöse Papier kommt aber zu Wertungen, die in ihrer Konsequenz zu einer Politik der Teilnahme Österreichs an nicht UN-mandadierten Kriegen führen müsste. Über die Presse lässt der Klubobmann der drittstärksten Partei noch dem Parlament ausrichten: keine Sicherheitsdoktrin ohne NATO-Option. Das bedeutet aber Zulässigkeit des Eintritts in ein Militärbündnis, das heißt Aufgabe der immerwährenden Neutralität Österreichs.

Soweit will offenbar nicht einmal die zweitstärkste Parlamentspartei gehen.

Es zeigt von mangelnder Selbstachtung des Parlaments, vor allem der Regierungsfraktionen, sich mit einem verteidigungspolitischen "Nonpaper" zu befassen. Denn die Absicht der Regierung ist klar: Wir Regierungsparteien konnten uns auf keinen Entwurf für eine Sicherheitsdoktrin einigen, also lassen wir das Parlament an dem für uns unverbindlichen Analyseentwurf herumbasteln. Da solcherart, noch dazu unter Zeitdruck, nichts herauskommen kann, ist die Opposition schuld. So wie der Analyseentwurf im stillen Kämmerlein regierungsnaher Experten ausgearbeitet wurde, kann dann dort die Gesamtdoktrin fertiggestellt, vor allem die Schlussfolgerungen gezogen werden. Der Unterausschuss des Verteidigungsausschusses hätte dann dazu das demokratiepolitische Feigenblatt geliefert. Es sei denn es findet sich dort eine Mehrheit für eine wirklich umfassende, nicht allein militärzentrierte Debatte über Österreichs Sicherheit im 21. Jahrhundert unter Heranziehung auch von wirklich unabhängigen Experten.

Bundesminister a.D. Erwin Lanc ist Präsident des International Institute for Peace (IIP) und Mitglied einer prominent besetzten Bürgerinitiative, die sich zur Aufgabe gemacht hat, die immerwährende Neutralität Österreichs zu retten und am Freitag der Vorwoche ihre Anliegen der Öffentlichkeit präsentiert hat.