Kaum Wissen über Nichtwähler. | "Wiener Zeitung": Am Tag nach der Wahl des Bundespräsidenten dominiert ein Thema die Schlagzeilen: Die erschreckend niedrige Wahlbeteiligung von 49,2 Prozent. | Wolfgang C. Müller: Das kam ja nicht gänzlich unerwartet. Bei EU-Wahlen, wo es aus Sicht vieler Bürger auch nicht um sehr viel geht, war die Beteiligung zum Teil noch deutlich tiefer. Insofern kann man von dem Ergebnis nicht wirklich überrascht sein. | Volksbefragungs-Beteiligung für Herbst ausschlaggebend | Parteien-Hick-Hack um daheimgebliebene Wähler | Fischer wird von Briefwahl profitieren | Startschuss für Reform-Debatten | OSZE hält sich zu Wahl noch bedeckt
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Hinzu kam diesmal noch die Aufforderung zum Weiß-Wählen durch einige ÖVP-Politiker. Da kann man sich als Bürger schon fragen, warum man überhaupt zur Wahl gehen sollte.
Wie viel hätte denn eine Wahlempfehlung der ÖVP für Fischer an Wahlbeteiligung gebracht?
Die ÖVP-Kernwähler wären dann wohl eher zur Wahl gegangen, aber das ist natürlich höchst spekulativ. Erstaunlicherweise gibt es nur sehr wenige gesicherte Daten zur Gruppe der Nichtwähler und ihrer Motive. Die Forschung hat sich immer darauf konzentriert, ein Wahlergebnis zu erklären und hat deshalb die Nichtwähler weitgehend ausgeklammert. Das Wenige, das wir wissen, ist, dass sie in der Regel weniger politisch interessiert sind und über eine geringere Bildung verfügen. Und wir wissen um die Gefahr, dass, wer einmal nicht zur Wahl geht, zum Nichtwähler aus Gewohnheit mutiert.
Welche Rolle spielt hier das Wahlrecht?
Die sicherste Methode, die Wähler zur Urne zu bringen, ist natürlich, die Wahlpflicht wieder einzuführen und diese - wie etwa in Belgien - auch zu sanktionieren.
In welcher Form geschieht dies in Belgien?
Durch ein Strafmandat in durchaus spürbarer Höhe. Aber nicht, dass ich das empfehlen würde .. .
Warum nicht, wenn es funktioniert?
Natürlich verweisen die Befürworter auf die tatsächlich hohe Wahlbeteiligung in Belgien, aber ich persönlich bin eigentlich kein Freund staatlicher Zwänge in diesen Bereichen.
Und außer einer Rückkehr zur Wahlpflicht?
Da ist es mit Abstand am wirksamsten, wenn die Bürger spüren, dass es bei einer Wahl ein spannendes Rennen gibt, bei dem es auch um etwas geht.
Natürlich kann man auch sonst an einigen kleinen Rädchen drehen, etwa die Stärkung von Persönlichkeitselementen .. .
Ist ein Mehrheitswahlrecht eine Lösung?
Dessen Charme besteht darin, dass man bereits am Wahlabend weiß, wer gewonnen hat und künftig auch regieren wird. Aber selbst dafür gibt es keine Garantie. Entscheidend ist, diese Fragen systematisch in aller Ruhe zu diskutieren und Pro und Kontra abzuwägen. So wie ich Österreich kenne, wird aber bei solchen Debatten ohnehin nicht viel herauskommen. Wir müssen einfach anerkennen, dass wir in einer Zeit leben, deren Probleme immer komplexer werden und die aufgrund demographischer Trends schmerzhafte Entscheidungen erfordern. Niemand freut sich, länger zu arbeiten oder weniger Pension zu bekommen, da spielt das Wahlrecht keine große Rolle.
Bundespräsident Heinz Fischer fordert jetzt eine Verlängerung der Amtsperiode von sechs auf acht Jahre und dafür keine Wiederwahl. Ein vernünftiger Vorschlag?
In solchen Ländern, wo es bei Staatsoberhäuptern eine begrenzte Amtszeit ohne Wiederwahl gibt, geht es darum, die Einführung einer Art Wahlmonarchie durch die Hintertür zu verhindern. Diese Gefahr besteht in Österreich durch die Entwicklung hin zu einem vorwiegend repräsentativen Amt nicht. Dass es aber jemand gut gemacht hat und dann wiedergewählt wird, scheint mir kein gutes Argument für eine Beschränkung der Amtszeit zu sein.
Wie bewerten Sie generell das Verhältnis der Bürger zur Politik in Österreich?
Alle Indikatoren zeigen uns, dass das Vertrauen in Politiker und Parteien zurückgeht. Das ist aber ein gesamteuropäisches Phänomen. Entscheidend ist die Frage, ob wir diesbezüglich bereits ein die Demokratie gefährdendes Niveau erreicht haben.
Das, so glaube ich, ist noch nicht der Fall. In Österreich herrscht eher das Gefühl vor, dass die Politik allgemein sehr weit weg ist, einen nichts angeht und ohnehin alle Parteien im selben Boot sitzen.
Der Wunsch nach Veränderung wird aber dadurch konterkariert, dass stets die große Koalition als Wunschregierung genannt wird.
Auch die Akzeptanz der großen Koalition hat deutlich abgenommen. Das Problem ist, dass wenn über die Alternative kein Konsens besteht, dann erscheint Rot-Schwarz eben wieder als geringstes Übel.
Welche Politikebene verfügt über das größte Vertrauen der Bürger?
Sicher die lokale, je kleiner eine Gemeinde, desto größer das Vertrauen. Hier kann vieles noch direkt und ohne Umwege angegangen werden, auf allen anderen Ebenen muss man bereits den langen Weg über Gesetze einschlagen.
Wolfgang C. Müller, Jahrgang 1957, ist Professor für Politikwissenschaft am Institut für Staats- und Politikwissenschaft der Universität Wien.