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Sichtbarer Flecktarn

Von Thomas Roithner

Gastkommentare
Thomas Roithner ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund (www.thomasroithner.at).
© privat

Corona bringt das Militär der Gesellschaft näher und budgetäre Höhenflüge. Anmerkungen zum militärischen Aufgabenstaubsauger nach einem Jahr Pandemie.


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Knapp 900 Soldaten hatte das Bundesheer Mitte März 2021 in einem Dutzend Auslandseinsätze. Der zahlenmäßig größte Einsatz - knapp 3.000 Soldaten - fand zur selben Zeit aber im Inland statt. Das Bundesheer erfüllte in den vergangenen Monaten Aufgaben wie Contact Tracing, Covid-Testungen, pandemiebedingten Objektschutz, Grenzkontrollen an Staats- und Bundesländergrenzen, Transportlogistik, Dekontamination oder Sanitätsbetreuung. Mehr als 8.500 Armeeangehörige waren im vergangenen Jahr in Spitzenzeiten im Corona-bedingten Inlandseinsatz. Über die Unterstützung durch Soldaten bei Post, Handelsketten oder im Pflegeheim wurde laufend berichtet. Noch sichtbarer war das Bundesheer in den vergangenen Dekaden wohl kaum. Wird der diensthabende Soldat im öffentlichen Raum gar zur "neuen Normalität"?

Aufgaben der inneren Sicherheit liegen grundsätzlich im Kompetenzbereich des Innenministeriums. Das Bundesheer kann jedoch - unter ganz klaren Regeln - "zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren" zur Assistenz und Unterstützung gerufen werden. Kleinere Kontingente von bis zu 100 Soldaten dürfen beispielsweise von Landesregierungen oder Bürgermeistern angefordert werden. Größere Kontingente brauchen eine Anforderung durch die Bundesregierung.

Versicherheitlichung

Das Militär - "die bewaffnete Macht", wie Generalstabschef Robert Brieger die Positionierung des Bundesheeres gerne sieht - fungiert offenbar als die strategische Reserve der Republik. Warum wird über die bessere finanzielle Ausstattung der Reserve gesprochen statt über die tagtäglich nötige und heute so fehlende Substanz? Die Entlohnung systemerhaltender Berufe oder überarbeitete und schlecht bezahlte Kräfte in Medizin und Pflege sind nur ein Ausschnitt. Die Zeit der Pandemie hat nicht den Mangel an militärischer Sicherheit offenbart, aber sehr wohl jenen der menschlichen Sicherheit ("human security").

Menschen, die ab 2015 vor Krieg und Armut geflüchtet sind, haben den Einsatz des Bundesheeres im Inneren breit wahrnehmbar gemacht. An die Armee an der Grenze gilt als normal. Vergleichsweise neu sind Soldaten gegen Bedrohungen von Botschaften, Schlepper oder Kriminalität im Internet, Militärfahrzeuge zum Transport von Häftlingen und Abschiebeflüge durch Militärflugzeuge. Das Militär sucht im Inland auch schon einmal nach gewöhnlichen Kriminellen.

In Krisen werden Herausforderungen zu besonderen Gefährdungen erklärt und damit Maßnahmen außerhalb des gewohnten Rahmens propagiert. Der Begriff Versicherheitlichung bedeutet, die klassischen Sicherheitsinstrumente - Militär, Rüstung oder Mauern - überproportional zu betonen. In der Folge verlieren zivile Ansätze in der Debatte und Umsetzung an Gewicht.

Grenzen des Militärs

Abschiebeflüge laufen - so der Rechnungshof im Bericht 38/2020 - den Grundprinzipien der Assistenz zuwider. Auch bei der Bewachung von Botschaften durch das Bundesheer ab August 2016 war laut dem Rechnungshof "die unabdingbare Notwendigkeit nicht erkennbar". Für Unterstützungsleistungen erfolgten im Assistenzeinsatz ab 2015 keine oder unzureichende Evaluierungen und es mangelte auch an zeitlichen Limitierungen. "Ein völlig unlimitiertes Abstützen auf militärische Assistenzleistungen würde somit die von der Rechtsordnung vorgesehene Verteilung staatlicher Aufgaben in überschießender Weise unterwandern", so die erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der Wehrgesetz-Novelle 2001.

Die parlamentarischen Erläuterungen zum Wehrgesetz betrachten Hilfeleistungen des Bundesheeres als "Ultima Ratio" und als "auch in Zukunft nur dann zulässig (...), wenn die in der zugrunde liegenden Angelegenheit originär zuständigen staatlichen Einrichtungen eine konkrete Aufgabe weder mit eigenen Mitteln noch unter Heranziehung kurzfristig aufgebotener Unterstützungen (etwa im Wege der Anmietung gewerblicher oder gemeinnütziger Hilfs- oder Rettungskräfte) bewältigen können". Ohne unabdingbare Notwendigkeit wird dies "wie bisher nicht rechtmäßig sein".

Katastrophenschutz

Katastrophenhilfe und Vorsorge liegen in Österreich hauptsächlich in den Händen der Bundesländer. Das Bundesheer wirbt für seine Unterstützung ziviler Einsatzkräfte bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen. Das wird auch als Argument für bessere budgetäre Heeresausstattung gebraucht. Allein bei der Feuerwehr standen etwa im Jahr 2017 rund 340.000 Menschen in mehr als 4.800 Feuerwehren (davon knapp 4.500 Freiwillige Feuerwehren) in mehr als 270.000 Einsätzen zur Verfügung. Neben den Feuerwehren sind auch das Rote Kreuz, der Arbeiter-Samariter-Bund, Bergrettung, Johanniter, Malteser oder die Wasserrettung zu nennen.

Auch für Österreich sollte das deutsche Modell des Technisches Hilfswerkes (THW) unter Einbeziehung bestehender ziviler Einrichtungen geprüft werden. Dieses THW untersteht nicht dem Militär. Einzelne Stimmen, die aufgrund der öffentlichen Präsenz des Heeres eine stärkere Zurechnung des Katastrophenschutzes zur Armee wünschen, riskieren nicht nur die Militarisierung ziviler Politikbereiche, sondern gefährden auch den wichtigen sozialen Kitt, den Freiwilligendienste in Österreich ausfüllen.

Ohne Geld keine Musik

Die Finanzierung von Freiwilligenorganisationen basiert auch auf Spendensammlungen oder Feuerwehrfesten. Corona hat dies stark eingeschränkt, und um die Zeltfeste ist es still. Im selben Zeitraum stiegen Budgets für Militär und Rüstung massiv an. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI - der mehrjährige Trend bestätigt die Steigerung des abgelaufenen Jahres - weist für Österreich mit offiziellen Zahlen von 2015 bis 2019 eine Steigerung der Militärausgaben von 20,3 Prozent nach. Die European Defence Agency stützt sich ebenfalls auf diese Daten.

Laut der hochaktuellen "Military Balance 2021" des International Institute for Strategic Studies (IISS) erhöhte Österreich sein Militärbudget von 2019 auf 2020 um knapp 5 Prozent. Im Rahmen des EU-Rüstungsfonds wurden 2020 zahlreiche Projekte angestoßen. Was ein neues europäisches Kampfflugzeug oder ein neuer Panzer gegen das Virus ausrichten kann, ist rasch beantwortet.

Achtsamkeit ist geboten

Der Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU - Josep Borrell - stellt fest: "Gesundheit ist jetzt ein Sicherheitsproblem." Sein Ansatz für Corona: Militärische Kerneuropa-Projekte und der EU-Rüstungsfonds "können dabei helfen, und wir werden untersuchen, wie diese Initiativen genutzt werden können, um künftig besser für ähnliche Krisen ausgerüstet zu sein".

Pandemiebedingte Finanzierungsengpässe ziviler Einrichtungen dürfen aus demokratiepolitischen Gründen nicht zum militärischen Aufgabenstaubsauger werden. Achtsamkeit ist geboten, dass die Assistenzfunktion der Armee nicht schleichend zu vermehrter Verantwortlichkeit umetikettiert wird. Pandemie oder Migration verlangen keine Ausweitung von Einsatzspielräumen fürs Heer, sondern die Frage, warum Gesundheit oder Pflege über viele Jahre erfolglos auf Finanzierungslücken hinweisen mussten. Weil in einer Demokratie der Zweck nicht alle Mittel heiligt.