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"Sie bekommen nur meine Leiche"

Von Ines Scholz

Politik

Viele Fälle schaffen es nicht in die Schlagzeilen. | Angst vor neuerlicher Folter. | Selbstmord aus Verzweiflung. | Wien. Der Fall der achtjährigen Zwillinge aus dem Kosovo, die von der Fremdenpolizei um sieben Uhr Früh aus dem Bett geholt, in Schubhaft genommen und mit dem Vater in den Kosovo abgeschoben wurden, oder der Fall der armenischen Schülerin haben die Öffentlichkeit schockiert.


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Aber es gibt viele andere Flüchtlingsschicksale, die es nicht in die Schlagzeilen schaffen - obgleich sie ebenso tragisch sind. Oft noch tragischer: Denn bei manchen Asylwerbern hängt vom Asylbescheid ihr Überleben ab - die meisten werden dennoch aus Österreich abgeschoben.

Arslan Duschiew entkam seiner Todesangst, indem er sich das Leben nahm. "Mich bekommen sie nicht noch einmal, nur meine Leiche", war einer der letzten Sätze, die der Tschetschene, der in seiner Heimat schwer gefoltert worden war, seiner Frau Madina sagte. Die Familie sollte nach Polen abgeschoben werden. Arslans Angst war nachvollziehbar: Polen schickt viele Tschetschenen nach Russland zurück.

Als Arslan im Abschiebe-Heim Reichenau (NÖ), wo die Familie einquartiert war, sah, wie die Fremdenpolizei mehrere Flüchtlinge abholte, geriet er in Panik. Er lief mit dem Kopf gegen die Wand, ging die ganze Nacht im Gang schweißgebadet auf und ab. Schließlich brachte ihn seine Frau auf die Psychiatrie nach Neunkirchen. Dort erhängte sich Arslan mit seinem Gürtel. Er hinterließ eine eineinhalbjährige Tochter.

Der Tschetschene besaß ein russisches Dokument, das offiziell bestätigte, dass er von Mitgliedern des Geheimdienstes FSB entführt und zwölf Monate an einem geheimen Ort festgehalten worden war. Seine schweren Kopfverletzungen stammten aus dieser Zeit. Auch seine Aussage, dass er in Tschetschenien später in die Fänge der Sicherheitskräfte des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow geriet, war glaubhaft. Die Asylbehörden kannten keine Gnade.

Kein Erbarmen

Rechtlich ist deren Vorgehen gedeckt - die Zauberformel heißt "Dublin II". 2005 ist in Österreich zudem ein Gesetz in Kraft getreten, wonach auch schwer traumatisierte Folteropfer in jenes EU-Land zurückgeschoben werden dürfen, aus dem sie eingereist sind. In Arslans Fall war das Polen. Allein zwischen Juni und August wurden zwölf tschetschenische Familien von Österreich an Polen und von dort direkt an die Russen übergeben. Moskau händigte sie Kadyrow aus - für den sind sie Freiwild.

Vaha Banjaev war 2004 über die Slowakei nach Österreich gekommen. Auch er ein Folteropfer. Obwohl den österreichischen Behörden bewusst war, dass die Anerkennungsrate für tschetschenische Flüchtlinge damals quasi null Prozent betrug und die Abschiebung widerrechtlich ist, wurde der Menschenrechtsaktivist und Leiter einer NGO für tschetschenische Folteropfer dreimal zurückgeschickt.

Erbarmen hatten die Asylbehörden auch nicht mit Samrail Mustapajew und seinen vier kleinen Kindern. Deportation nach Russland, hieß es für sie. Sechs Jahre hatten sie in Österreich auf Asyl gehofft. Doch auf dem Weg zum angesetzten Asyl-Interview kam die Fremdenpolizei und nahm Samrail und die Kinder in Schubhaft. Dort legte ein "Flüchtlingsberater" dem Vater nahe, sein Asylgesuch zurückzuziehen, um seiner Abschiebung nach Russland zu entgehen. Samrail fiel auf den Trick hinein: Er unterschrieb, widerrief aber gleich wieder. Es half nichts mehr. Die Kinder leben mittlerweile zu Hause, ihren Vater sehen sie nie: Er lebt ständig auf der Flucht vor Kadyrows Schergen.