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"We got him" (Wir haben ihn) verkündete der Chef der US-Zivilverwaltung im Irak, Paul Bremer, Sonntag Nachmittag in Bagdad. Wie wir heute wissen, hatte er 14 Stunden Zeit zur Vorbereitung seines Auftritts. In enger Zusammenarbeit zwischen Pentagon und Weißem Haus wurde eine perfekte Präsentation der guten Nachricht inszeniert, die ja auch zu einem sehr genehmen Zeitpunkt kam.
George W. Bushs Beliebtheitskurve näherte sich wie jene seines engsten Verbündeten Tony Blair bedenklichen Tiefstwerten. Das Pentagon kam der Ex-Firma des Vizepräsidenten gerade drauf, dass sie sich mit überhöhten Rechnungen für Treibstoff ein schönes Körberlgeld machte - für fette Wahlkampfspenden? Mit der umstrittenen Auftragsvergabe des irakischen Wiederaufbaus und dem Ausschluss der einstigen Kriegsgegner entstand gerade wieder eine internationale Streitfrage und ein Zwist zwischen Hardlinern im Pentagon und den Diplomaten des Außenministeriums. Und der tägliche Blutzoll im Irak ließ immer mehr Amerikaner am Sinn des Waffengangs zweifeln.
Da war es schon eine Erleichterung, den grausamen Ex-Diktator vorzuführen, dessen man endlich habhaft geworden war. Die Bilder des Massenmörders, der einst im Prunk von Tausendundeiner Nacht residiert hatte und von dem nun der frühere CIA-Chef James Woolsey sagen konnte, er sei "neben anderen Ratten in einem Erdloch gefunden worden", können von all dem Ungemach der letzten Wochen und Monate ablenken.
Saddam Hussein soll für seine Taten büßen. Und in erster Linie steht es dem irakischen Volk zu, über ihn zu richten. Von dem, was uns seine derzeitigen amerikanischen Bewacher mitteilen, wissen wir, dass er nicht gerade kooperativ und einsichtig sein soll.
Die wirklichen Probleme im Irak sind aber mit der Festnahme Saddam Husseins keineswegs gelöst. Die neuen Anschläge vom Montag zeigen, dass der Widerstand und Terror gegen die Besatzer und ihre irakischen Verbündeten weitergehen wird. Den Besatzungskräften ist es auch acht Monate nach der Einnahme Bagdads nicht gelungen, die primitivste Infrastruktur in der irakischen Hauptstadt wiederherzustellen, Wasser- und Stromversorgung funktionieren nicht, die Sicherheitslage im ganzen Land ist katastrophal.
Der Nahostexperte und Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Udo Steinbach, meinte Montag im ORF-Mittagsjournal, dass die irakische Staatlichkeit zur Disposition stehe, dass der Irak - ähnlich wie das frühere Jugoslawien- ein gescheiterter Staat sei. Nur durch ein starkes Zentrum sei der Irak - ein künstliches Staatsgebilde - zusammengehalten worden. Das hatte auch den Vater des derzeitigen US-Präsidenten, George Bush sen., im ersten Golfkrieg davor zurückgehalten, seine Truppen nach Bagdad marschieren zu lassen. Experten hatten auch Bush jun. gewarnt, dass ein Zerfall des Irak die ganze Region destabilisieren würde. Die Erfahrungen der letzten Monate deuten auch in diese Richtung.
Die weltweit begrüßte Festnahme Saddam Husseins kann den Blick auf diese Problematik vielleicht kurzfristig verdecken und Bush und seinen Verbündeten eine Atempause verschaffen, vielleicht auch bei den Wahlen helfen. Die Probleme der irakischen Zukunft löst sie nicht, und die Tatsache, dass sich viele Araber durch die Videobilder Saddams gedemütigt fühlen, verheißt nichts Gutes für die ganze instabile Region.