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"Sie haben sich gedacht, es wird schon gutgehen"

Von Solmaz Khorsand

Politik

Der Geologe Josef Lueger sagt Katastrophen voraus. Er begutachtet den Lobautunnel und weiß, was alles schiefgehen kann, wenn man nicht auf ihn hört.


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Wien. Manche Menschen betrachten die Welt durch die rosarote Brille. Nicht Josef Lueger. Er sieht immer schwarz. Das ist sein Job. Der Geologe ist Gutachter. Mal soll er herausfinden, wie sich die Bohrungen ins Erdreich auf das Grundwasser auswirken, mal wie ein Gasrohr einfach so explodieren konnte.

Seine Expertise wurde bereits bei ÖBB-Projekten wie dem im Bau befindlichen Semmering Basistunnel oder dem mittlerweile fertigen Lainzer Tunnel zu Rate gezogen. Aktuell ist er im Auftrag der Umweltorganisation "Virus" mit dem Lobautunnel beschäftigt, jenen 8,2 Kilometer langen Herzstück der umstrittenen Wiener Nordostumfahrung (S1) zwischen dem Knoten Schwechat und Süßenbrunn. Seit September des Vorjahres prüft das Bundesverwaltungsgericht den positiven Umweltverträglichkeitsbescheid des Verkehrsministeriums für das Schnellstraßenprojekt unter dem Nationalpark. Am 8. November ist die Verhandlung dafür angesetzt.

Wiener Zeitung: In Ihrem Gutachten kritisieren Sie, dass die Asfinag bei der Planung des Lobautunnels den Grundwasserspiegel in ihren Modellen vernachlässigt. Was bedeutet das?Josef Lueger: Die Projektbetreiber nehmen einen bestimmten Wasserstand als fixen Wert an. Das bedeutet, dass der Tunnel nach ihren Berechnungen keine Auswirkungen auf Grundwasser haben wird, komme was wolle. Dabei zeigen die Wasserpegel im Großenzersdorfer Altarm starke Schwankungen, und zwar bis zu über einen Meter.

Was kann im schlimmsten Fall passieren, wenn das ignoriert wird?

Im schlimmsten Fall könnte der Grundwasserspiegel absinken, wodurch Fauna und Flora in der Lobau Schaden nehmen würden.

Im Fall des Götschkatunnels in Oberösterreich ist genau das passiert, obwohl die Gutachter auch hier davor warnten. Die Brunnen oberhalb des Tunnels versiegten, der Bach trocknete aus, Wald und Wiesen verdorrten. Droht dasselbe Szenario auch der Lobau?

So schlimm sicher nicht. Im Götschkatunnel ist ihnen tatsächlich der Grundwasserspiegel abgesackt und das hätten sie früher wissen können. Den Projektbetreibern war das aber wurscht. Sie haben sich gedacht, es wird schon gutgehen. In den meisten Fällen geht es auch gut oder lässt sich reparieren aber nicht immer. Im Fall des Götschkatunnels leider nicht.

Verantwortliche Gutachter machten dafür im Gespräch mit der Wiener Zeitung das "System Umweltverträglichkeitsprüfung" verantwortlich. Die Informationen für diese Prüfung müssen vom Projektbetreiber zur Verfügung gestellt werden. Doch oft fehlen dabei wichtige Daten. Was machen Gutachter dann?

Sachverständige können schon sagen, dass sie mehr Unterlagen brauchen. In Ausnahmefällen machen sie das auch. Aber die Projektbetreiber sehen das nicht gerne, weil das einen Mehraufwand für sie bedeutet. Und viele Gutachter tun es nicht.

Können sie denn überhaupt begutachten, ohne alle Infos zu haben?

Können sie schon, aber da müsste unter dem Strich herauskommen, dass das Projekt so nicht bewilligungsfähig ist. Und das tun die Gutachter so gut wie nie.

Warum nicht?

Weil die meisten nicht unabhängig sind. Die Amtssachverständigen sind Beamte jener Behörden, die darüber entscheiden, ob das Projekt bewilligt wird oder nicht. Wenn diese Beamten zu lästig sind, machen sie in ihren Behörden keine Karriere. Solche Fälle kenne ich. Rein formal sind sie unabhängig. Daher könnten sie auch Gutachten schreiben, die sie für richtig halten. Doch sie tun es häufig nicht und versuchen ihr Gutachten so hinzubiegen, dass die politisch erwünschte Entscheidung rauskommt.

Wäre die Lösung, ausschließlich nicht-amtliche Sachverständige zu bestellen?

Die sind auch problematisch. Weil es sich in Österreich um eine kleine Clique von 15 bis 20 Büros handelt. Das sind größtenteils Haus- und Hofgutachter, von denen man weiß, was bei ihnen am Ende rauskommt. Manchmal beschäftigt das Bundesverwaltungsgericht sogar Gutachter, die nicht einmal eine Berufsberechtigung haben, man könnte auch sagen "Pfuscher".

Sie selbst sind auch ein nicht-amtlicher Sachverständiger.

Ich bin gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, aber ich werde nicht von Behörden und Verwaltungsgerichten herangezogen, weil sie bei mir nie wissen, was rauskommt. Ich werde häufig von ordentlichen Gerichten bestellt, weil es da keine politische Komponente gibt. Manchmal fragen mich Gemeinden an, wenn es um politisch weniger spannende Dinge geht, wie zum Beispiel Deponien. Wenn man sich bei Politikern nicht so beliebt macht, kriegt man aber auch normale Aufträge eher selten.

Wurden Sie diesbezüglich schon einmal eingeschüchtert?

Ja, der behördlich bestellte UVP-Koordinator zum Semmering-Basistunnel hat mir mit Strafverfolgung gedroht, wenn ich die Befangenheit von Gutachtern thematisiere. Natürlich habe ich nichts verbrochen, aber es hat ihm halt nicht gepasst, dass ich Finger in die Wunde lege. Die Politiker drohen mir nicht, aber sie sagen mir schon offen, dass ich von den entsprechenden Gebietskörperschaften keine Aufträge kriege. Mir ist das egal, ich habe meine Kunden und ich bin 62 Jahre alt. In drei Jahren gehe ich in Pension. Aber für junge Gutachter ist dieser Zustand ein Problem. Sie dürfen nicht das Maul zu weit aufreißen.

Friedrich Rollwagen, einstiger Präsident des Hauptverbandes der allgemein beeideten gerichtlichen Sachverständigen Österreichs, hat 1987 in einer Rede kritisiert, dass Politiker die Sachverständigen für ihre Zwecke missbrauchen würden. Sie würden Entscheidungen an sie abwälzen und sich dann an ihnen abputzen. Außerdem würden sie sich nur die Rosinen in einem Gutachten aussuchen, Kritik würde meistens ignoriert werden. Ist das noch immer so?

Da hat sich nichts verändert. Was mich und andere traurig stimmt, ist, dass sich auch mit den Verwaltungsgerichten, die es seit 2013 gibt, nichts verändert hat. Wir haben uns mit ihnen eine unabhängige Instanz erhofft, die unbeeinflusst ihre Entscheidungen fällen kann, wenn Missstände auftreten und Beschwerde eingereicht wird. Das ist in der Praxis aber nicht der Fall. Die Richter werden so ausgewählt, dass man dort politisch zuverlässige Leute bestellt, von denen man weiß, dass sie politisch erwünschte Entscheidungen fällen.

Inwiefern?

Es werden Richter bestellt, die in Ministerbüros oder sogar Parteisekretariaten gearbeitet haben. Die sind es gewöhnt, dass sie Befehle ausführen, und so agieren sie auch als Richter.

Können Sie das konkretisieren?

Beim Semmering-Basistunnel beispielsweise war der Senat eingeschworen auf den Tunnel und hat sich dafür entschieden. Dabei wurden schwere juristische Fehler gemacht. Man hat zum Beispiel Gutachten vollkommen ignoriert und sie nicht einmal bei der Urteilsbegründung erwähnt. Das ist ein juristisches No-go. Die Gegner sind dann zum Verwaltungsgerichtshof gegangen, um Beschwerde einzulegen. Dort sind sie abgeblitzt, weil behauptet wurde, dass es sich um keine Rechtsfrage von grundlegender Bedeutung handelt.

Frei nach der Devise: Wenn die Politik will, wird jedes Projekt durchgedrückt, egal wie viel Protest und Gegengutachten es gibt?

Ja.

Gibt es gar keine Möglichkeit, ein Projekt zu kippen?

Doch, eine: die Öffentlichkeit. Wenn die Öffentlichkeit davon Wind bekommt, entsteht politischer Druck. Aber es ist schwer, solche Themen in den Medien zu platzieren, weil sie entweder zu komplex sind oder andere Themen für die breite Masse spannender sind.

2008 gab es in Hietzing zwei massive Wasserrohrbrüche. Sie haben bereits 1998 bei der Planung des Lainzer Tunnels vor solchen Konsequenzen gewarnt. Fühlt man sich dann als Kassandrarufer?

Der Zusammenhang wurde damals von den Projektbetreibern abgestritten, weil man gesagt hat, dass es alte Rohre waren, die für diesen Schaden verantwortlich waren. Doch wenn es die Bodenbewegungen durch den Tunnel nicht gegeben hätte, dann würden diese alten Rohre noch heute da drinnen liegen und funktionieren. Natürlich fühlt man sich in solchen Fällen manchmal als Kassandrarufer. Aber ich verzweifele trotzdem nicht, weil man trotzdem einiges verbessern kann.

Zum Beispiel?

Beim Lobautunnel haben wir bewirkt, dass die Bauarbeiten im Erdreich höher ansetzen, womit der Bau weniger Auswirkungen auf die Gewässer in der Lobau hat. Beim Semmering Basistunnel zum Beispiel ist es uns gelungen, dass die Auflagen zu Fauna und Flora präzisiert wurde. Anfangs waren die sehr nebulös formuliert worden. Da hängt es natürlich noch davon ab, ob die Einhaltung kontrolliert wurde. Ob die Behörden darauf drängen, steht freilich auf einem anderen Blatt. Dennoch: Das sind alles kleine Erfolge. Natürlich reicht es nicht aus. Aber es ist immerhin schon gut, wenn ein bisschen weniger passiert, als ursprünglich geplant. Man wird bescheiden mit der Zeit.

Wissen

Bei öffentlichen wie privaten Projekten, etwa im Bereich Infrastruktur, Energie - und Wasserwirtschaft, muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) gemacht werden. Dieses Verfahren beginnt mit der Vorlage einer Umweltverträglichkeitserklärung, in welcher der Projektbetreiber alle Unterlagen und Daten zum Projekt zusammentragen muss. Sobald diese vollständig sind, werden sie aufgelegt und sind der Öffentlichkeit zugänglich. Diese kann dann Einwände erheben. Sachverständige der Behörde (zumeist sind das Landesregierungen der Bundesländer, in denen die Projekte ausgeführt werden, in manchen Fällen aber auch das Verkehrsministerium) prüfen die Daten der Projektbetreiber unter Berücksichtigung der öffentlichen Einwände. Auf Basis ihrer Prüfung erfolgt dann ein UVP-Bescheid der Behörde. Passt Projektgegnern dieser Bescheid nicht, können sie beim Bundesverwaltungsgericht Berufung einlegen. Halten Projektgegner auch diese Entscheidung für ungerechtfertigt, bleibt ihnen als dritte Instanz nur mehr der Verwaltungsgerichtshof. Jedoch kommt dieser nur dann zum Zug, wenn beim Verfahren juristische Mängel aufgetreten sind. Der positive UVP-Bescheid zum Lobautunnel wird seit knapp zwei Jahren vom Bundesverwaltungsgericht geprüft und ab 8. November öffentlich verhandelt.

Zur Person

Josef Lueger

ist Geologe, Dozent und Erfinder zweier Verfahren zur Boden- und Gesteinsabdichtung. Seit 1982 hat er sein eigenes Ingenieurbüro für Technische Geologie. Seine Arbeit wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Konrad-Lorenz-Staatspreis für Umweltschutz.

Zum Thema siehe auch: Im Sand verlaufen: Versiegter Bach, trockene Brunnen. Ein Tunnelbau löste in OÖ eine Katastrophe aus. Gutachten hatten gewarnt.