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Französin bekam 2005 neues Gesicht transplantiert. | Erster Eingriff dieser Art laut Ärzten ein voller Erfolg. | Angewiesen auf Immunsuppressiva. | NewYork. (ap) Vor zwei Jahren versetzten französische Ärzte die Welt in Staunen: In Amiens pflanzten Chirurgen einer Frau ein neues Gesicht ein. Der übertragene Gewebeteil sehe nun aus und bewege sich wie das Antlitz, mit dem Isabelle Dinoire zur Welt kam, schrieben die Mediziner nun im "New England Journal of Medicine" und bescheinigen der Patientin eine großartige Entwicklung. "Sie ist perfekt", sagt der leitende Chirurg Jean-Michel Dubernard.
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Andere Mediziner bewerten die Entwicklung der Frau weniger euphorisch. Auch wenn die Genesung bemerkenswert verlief, unproblematisch war sie nicht. Nach der Operation häuften sich Komplikationen: Die Nieren versagten, das Immunsystem versuchte wiederholt, die neue Haut abzustoßen. Außerdem ist Isabelle Dinoire ihr Leben lang auf Immunsuppressiva angewiesen. Sollte sie die Medikamente absetzen, so könnte sich die Haut wieder lösen. "Das könnte in einer Katastrophe enden", sagt der plastische Chirurg Bohdan Pomahac vom Brigham and Women's Hospital in Boston.
Abstoßungsreaktionen
Als die Frau im Frühjahr 2005 nach der Einnahme einer Überdosis Schlaftabletten bewusstlos wurde, entstellte ihr Hund, ein Labrador, ihre untere Gesichtshälfte. Sie verlor beim dem Zwischenfall die Nasenspitze, die Lippen, das Kinn und Teile der Wangen. "Sie konnte danach weder sprechen noch essen", erzählt der leitende Chirurg Jean-Michel Dubernard. "Sie wurde über eine Magensonde ernährt."
Spender des neuen Gesichts war eine hirntote 46-jährige Frau. Die Ärzte trennten ihr nicht nur die Gesichtshaut ab, sondern entnahmen auch Zellen aus dem Knochenmark, die sie der damals 38 Jahre alten Isabelle Dinoire kurz nach der Transplantation injizierten. Da Hauttransplantate vom Körper stark abgewehrt werden, war absehbar, dass Dinoire große Mengen Immunsuppressiva einnehmen musste. Mit den Knochenmarkzellen wollten die behandelnden Ärzte die Abwehrreaktion zusätzlich dämpfen.
Dennoch kam es zu zwei akuten Abstoßungsreaktionen. Nach dem zweiten Vorfall im Juni 2006 bestrahlten die Ärzte ihre weißen Blutkörperchen, um die Immunreaktion zu schwächen. Unterdessen verschlechterte sich die Nierenfunktion. Erst nach dem Austausch eines Immunsuppressivums im Herbst 2006 besserte sich ihr Zustand.
Zwei weitere Operationen
Seit der ersten Gesichtstransplantation wurden zwei weitere ähnliche Eingriffe berichtet. Im Jahr 2006 erhielt ein chinesischer Landwirt nach dem Angriff eines Bären ein neues Antlitz. Im vergangenen Jänner gaben französische Ärzte einem Mann ein neues Gesicht, der durch eine Erbkrankheit schwer entstellt war.
Auch in den USA bereiten sich Mediziner auf Gesichtstransplantationen vor. Das Bostoner Brigham and Women's Hospital und die Cleveland Clinic dürfen solche Eingriffe vornehmen. Allerdings sollen dafür nur Patienten ausgewählt werden, die nicht nur körperlich auf das Transplantat angewiesen sind, sondern deren Psyche auch stabil genug ist, mit dem Gesicht eines anderen Menschen zu leben.
Nach diesem Kriterium wäre Isabelle Dinoire für eine solche Operation wohl kaum in Frage gekommen. Unklar ist, ob im Mai 2005 ein Suizidversuch der Grund für die Überdosis Schlaftabletten war. Die Frau sei eine "psychologisch fragwürdige Kandidatin" für eine Gesichtstransplantation, sagt die plastische Chirurgin Maria Siemionow von der Cleveland Clinic.
Dennoch: Dass die Frau nun essen, trinken, sprechen und lächeln kann und auch Berührungen des Gesichts spürt, sorgt bei vielen Ärzten für Bewunderung. Dazu zählt Andrew Lee, Leiter der plastischen Chirurgie an der Universitätsklinik Pittsburgh: "Das war eine sehr erfolgreiche chirurgische Übung."