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"Sie kaufen Stücke meiner Stadt weg"

Von Bernd Vasari

Die US-Soziologin Saskia Sassen warnt im Interview vor dem schleichenden Ausverkauf von Städten wie Wien an Investoren.


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Alpbach. Die fortschreitende Landnahme von Stadtvierteln durch Investoren könnte zu ganzen Straßenzügen führen, die nur mehr privat nutzbar sind, sagt Saskia Sassen im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Weiters sprach sie über Gemeinsamkeiten von Transdanubien und Brooklyn und gab Tipps, wie unattraktive Bezirke, die von Abwanderung betroffen sind, wieder an Reiz gewinnen können.

"Wiener Zeitung": Frau Sassen, Wohnen in der Stadt wird immer teurer. In Wien geben Haushalte etwa 43 Prozent ihres Einkommens für Wohnen aus, in Singlehaushalten sind es bis zu 54 Prozent. Tendenz steigend. Neben der starken Zuwanderung nannten Sie in Ihrem Vortrag beim Forum Alpbach mit der Landnahme durch Investoren einen weiteren Grund für diese Entwicklung. Was meinten Sie damit?Saskia Sassen: Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind hoch. In meinem Vortrag sprach ich davon, dass urbanes Land immer häufiger von Investoren aufgekauft wird. Schauen Sie sich etwa die Innenstadt von London an. Etwa 70 Prozent gehören dort bereits Investoren aus dem Ausland. Das Problem an der Sache ist, dass die Bevölkerung die Landnahme von städtischem Boden nicht mitbekommt. Es heißt ja nicht, dass städtischer Boden verkauft wird, sondern Immobilien entwickelt werden. In Wien gibt es mit Sicherheit mehr Gebäude in Besitz von ausländischen Investoren, als die Bevölkerung realisiert.

Was für Auswirkungen wird diese Entwicklung auf die Stadt haben, außer dass die Wohnungspreise dadurch noch weiter in die Höhe getrieben werden?

Diese Entwicklung wird die Stadt langfristig deurbanisieren, denn Investoren wollen ihr Geld anlegen und kümmern sich zumeist nicht darum, ob Personen darin wohnen. Eine Vielzahl an Investoren errichtet Gated Communitys (abgeschottete Stadtteile, Anm.), in denen ganze Straßenzüge nur noch privat nutzbar sind. In zahlreichen Städten des globalen Südens ist dieses Phänomen bereits sichtbar. Es sieht zwar aus wie eine Stadt, es ist aber keine Stadt mehr. Und Wien steht als globale Stadt auch im Fokus dieser Investoren. Wir stehen hier aber erst am Anfang dieser Entwicklung.

Wie kann diese Entwicklung verhindert werden?

Wir brauchen rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Wir müssen spekulative Finanzgeschäfte zurückdrängen und wir müssen die Formulierung ändern. "Aufkaufen von urbanem Land" klingt bedrohlicher als "Immobilien entwickeln". Das schreckt mehr ab. Für die Bevölkerung wird dadurch klarer, was hier vorgeht. Die kaufen Stücke meiner Stadt weg, nicht nur ein Gebäude. Zudem müssen diese Vorgänge ernsthaft dokumentiert werden. Auch von den Medien.

Wien wächst sehr schnell. In 20 Jahren soll die 2-Millionen-Einwohner-Marke erreicht werden, früher, als noch vor kurzem prognostiziert wurde. Die Stadt alleine wird die Nachfrage nicht finanzieren können. Ohne private Finanzierung wird es also nicht funktionieren. Wie wollen Sie aber zwischen einem Investor und einem Privaten unterscheiden?

Ich bin nicht gegen Privatbesitz an sich. Ich spreche vom Häuserkauf durch ausländische Investoren, wie er im großen Stil bereits in London, New York, Monaco oder Hongkong stattfindet. Das Problem ist, dass sie nicht dort wohnen, beziehungsweise niemand in diesen Häusern wohnt. Das führt teilweise so weit, dass diese Häuser bereits verwahrlosen. Die haben das nicht gekauft, um da drinnen zu leben. Es ist ein Investment. Das Geld mit dem das Haus gekauft wird, muss aber echt sein.

Was heißt für Sie leistbares Wohnen?

Leistbares Wohnen ist in jeder großen Stadt derzeit ein Thema. Wichtiges Personal für die Sicherheit und das Funktionieren der Stadt, wie Feuerwehrmänner, Lehrer, Krankenpersonal usw., müssen in der Stadt leben können. Wir brauchen diese Leute. In New York oder London ist das nicht mehr der Fall. Um sich den Wohnungsaufwand leisten zu können, zahlen immer mehr Firmen bei den Kosten mit. Sogar ich bekomme eine finanzielle Zulage von 35.000 Dollar im Jahr, damit ich mir eine Wohnung in New York leisten kann. Und ich verdiene echt nicht schlecht.

Bei den Alpbach-Workshops war immer wieder auch die Rede von Strafen und Steuern auf leere Gebäude. Was halten Sie davon?

Ich mag das. Das Problem ist, wie man das implementieren kann. Die Investoren werden einen Weg finden, wie man diese Strafen oder Steuern umgehen kann. Wir brauchen aber ein Steuermittel in den Händen der politischen Entscheidungsträger, das auch exekutiert werden kann.

Auch in wachsenden Städten gibt es Bezirke, die von Abwanderung betroffen sind. In Wien sind das die Innere Stadt und Hietzing. Wäre es nicht ungerecht, wenn man die Hauseigentümer dafür auch noch bestraft?

Schrumpfende Bezirke sind meistens nur eine Anhäufung von Zement. Um diese Bezirke wieder zu beleben, würde ich Migranten dort ansiedeln. Die wissen, wie man ein Viertel belebt. Die polnischen Arbeiter, die nach England kamen, waren großartig, weil sie eine Menge Fertigkeiten mitbrachten und die Gegend damit aufwerteten. Auch Studenten könnte man reinbringen. Und natürlich Künstler. Nach Brooklyn wollte früher kein Mensch, obwohl es näher zu Lower Manhattan liegt als die Columbia University. Ich habe gehört, dass dies in Wien mit dem Gebiet über der Donau auch der Fall ist und dass sich das mit der Seestadt Aspern nun ebenfalls ändern soll. Was passierte in Brooklyn? Die Künstler kamen und belebten den Stadtteil.

Das Gebiet über der Donau, auch Transdanubien genannt, kann in dieser Hinsicht tatsächlich mit Brooklyn verglichen werden. Mit dem Unterschied, dass es nach heutigem Stand kaum vorstellbar ist, dass sich dort eine Menge Künstler ansiedeln werden.

Das macht nichts. Die U-Bahnverbindung nach Aspern ist doch oberirdisch. Gestaltet sie in spektakulärer Art und Weise. Zudem muss die Stadt darauf schauen, dass sie ein funktionsfähiges Viertel kreiert. Grüne Gebäude, Balkone. Man muss hier natürlich auch die Hausbesitzer miteinbinden und auf sie Druck ausüben, wenn sie sich dagegen wehren.

Zur Person

Saskia

Sassen

Die US-amerikanische Soziologin und Wirtschaftswissenschafterin, geboren 1949 in Den Haag und aufgewachsen in Buenos Aires, forscht über Globalisierung und internationale Migration. Sie ist zurzeit Professorin an der Columbia University in New York und Gastprofessorin an der London School of Economics. Sassen prägte den Begriff "Global City".