Heimkehr aus dem Militärgefängnis - ein Lokalaugenschein. | Beten mit Jordaniern. | Logar. Die Helikopterblätter rotieren und wirbeln Luft auf, es gibt ein hektisches Hin und Her im Militärcamp in Kabul. Plötzlich sind die beiden Gefangenen da. Sie sehen nicht gerade aus wie furchterregende Taliban-Kämpfer. Dawood geht auf Krücken. Der kleine Mann um die Mitte 40 humpelt und trägt braune Prothesenschuhe aus Leder. Seine schwarzen Haare und sein Bart sind ordentlich geschnitten. Er wirkt froh und entspannt.
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Ahmed, neben ihm, ist um die 50, mit weißen Haaren und weißem Bart und einem mildem Lächeln auf seinem Gesicht. Beide sind um die zehn Monate im Militärgefängnis auf dem US-Stützpunkt Bagram in der afghanischen Hauptstadt Kabul eingesessen. In Bagram leben um die 1100 Gefangene. Rund 220 sind in diesem Jahr freigelassen worden. Dawood und Ahmed sind zwei davon.
"Wir sind froh, dass wir gehen können", sagen sie. Der Helikopter soll sie in ihrer Heimatprovinz Logar zurückbringen. Dort hat das amerikanische Militär eine Shura, eine Versammlung von Stammesältesten und Honoratioren, organisiert. "Sie stellen keine Bedrohung mehr dar", betont Pamela Kunze, Captain der US-Navy, die die Gefangenen nach Logar begleitet. Die Häftlinge, so erklärt sie, müssten vor der Dorfgemeinschaft eine Erklärung unterschreiben, in der sie der Gewalt abschwören und seien dann offiziell entlassen. Man erhofft sich dadurch, dass die Gemeinschaft künftig auch ein wachsames Auge auf die Ex-Häftlinge hat.
Gefährliche Idylle
Logar liegt in einem idyllischen Tal, nur etwa 60 Kilometer von Kabul entfernt, umgeben von schroffen, ockergelben Bergen mit Getreidefelder, Obstgärten und Bienenstöcken. Doch Logar ist ein gefährlicher Ort. Die aufständischen Taliban haben hier inzwischen das Sagen. Vor vier Jahren haben die radikal-islamischen Kämpfer damit begonnen, das Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen. Der letzte Governeur der Provinz starb 2008 bei einem Bombenanschlag vor seinem Haus. Im vergangenen Monat wurden zwei Soldaten einer US-Spezialeinheit von den Taliban erschossen.
Neben den Amerikanern sind hier auch jordanische Truppen stationiert. Die Amerikaner haben den Jordaniern für die feierliche Freilassung der Gefangenen offenbar die Bühne überlassen. Ihr kettenrauchender Kommandeur empfängt die beiden Männer in seiner Baracke, plaudert mit ihnen über das Ende der Fastenzeit und die Hadsch, die Wallfahrt ins heilige Mekka. Jordanien ist - neben den Vereinigten Arabischen Emiraten - das einzige islamische Land, das am Afghanistan-Krieg der Nato beteiligt. Doch selbst in Jordanien wissen das nur wenige, denn die Regierung hat Angst, dass ihr Schulterschluss mit dem Westen bei der eigenen Bevölkerung schlecht ankommt. 500 jordanische Soldaten sollen in Logar stationiert sein. Die Isaf gibt ihre Zahl offiziell mit sechs an.
"Der falsche Islam"
"Das ist hier der zweitgefährlichste Ort in Afghanistan nach Helmand", erklärt ein junger Soldat aus Jordanien. Als muslimisches Land habe Jordanien einen Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung. Und er erklärt, was seiner Ansicht nach in Logar falsch läuft: "Sie bringen ihnen hier den falschen Islam bei, der aus Pakistan kommt. Unser Imam versucht das zu ändern."
Auch der Imam, der Militärgeistliche der Jordanier, empfängt die Entlassenen. Der Koran wird geküsst, es wird gebetet. "Wir wurden wegen nichts eingesperrt", beteuern Dawood und Ahmed. Provinzgoverneur Attiqullah Ludin umarmt die beiden: "Dies ist ein Geschenk an die Menschen in Logar", verkündet er weihevoll. "Das Gefängnis ist ein schlechter Ort. Wir wollen, dass alle anderen auch heimkommen."
"Es ist ziemlich schwierig zu glauben, dass die beiden unschuldig sind", sagt Captain Kunze. Doch was die beiden gemacht haben, verrät die amerikanische Offizierin nicht. Nur so viel will sie sagen: "Die meisten Festnahmen haben mit Sprengfallen zu tun." Die billig herzustellenden Minen, mit denen die Taliban tagtäglich Soldaten und Zivilisten in Afghanistan töten und verletzen, sind die erfolgreichste Waffe der Aufständischen.
Der Kampf gegen die Taliban und ihre Helfer ist wie in jedem Guerillakrieg schwierig. Vor kurzem wurde ein britischer Soldat auf Patrouille in Helmand von einer Handgranate getötet, nachdem ein Kind dem Täter mit einem Taschenspiegel ein Zeichen gegeben hatte. "Wir haben legitime Gründe, wenn wir Leute festnehmen", versichert Kunze: "Wir verlassen uns nie allein auf eine einzige Quelle."
"Wie bei den Russen"
Assadullah Fallah sieht das anders: Der frühere Mudschahedin-Kommandeur, der gegen die Sowjetunion gekämpft hat, lebt in Logar. Einer der Gefangenen stammt aus seiner Nachbarschaft. Fallah ist wenig überzeugt von der Arbeit der westlichen Truppen in Logar: "Es ist wie vor vielen Jahren mit den Russen. Sie haben schlechte Informanten und Übersetzer." Die Verhaftungen hätten die Einstellung der Menschen zu den ausländischen Truppen verändert, erzählt er. "Die Leute haben Angst vor ihnen." "Diese Shura machen sie nur, weil sie um die schlechten Gefühle der Menschen wissen." Es sei mehr eine Show-Veranstaltung als eine richtige Shura.
Auch den Einsatz der jordanischen Truppen hält Fallah für wenig zielführend: "Die meisten in Logar können die Jordanier doch gar nicht von den Amerikaners unterscheiden", winkt der frühere Kommandeur lachend ab. "Die haben doch gleichen Waffen, die gleichen Uniformen. Manche hier wissen, dass sie Muslime sind, manche nicht." Und er stellt klar fest: "Generell sind alle gegen fremde Soldaten."