Elmar Brok, mächtiger Chef des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, im Interview.
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"Wiener Zeitung": Die EU droht dem Regime in Kiew mit Sanktionen. Ehrlicher und mutiger wäre es, Russland mit Sanktionen zu drohen, auf dessen Druck hin die Ukraine das Assoziierungsabkommen mit der Union platzen ließ. Der Schlüssel für eine Lösung der Krise in Kiew liegt also in Moskau, aber Russland ist eben eine Nummer zu mächtig für die EU.
Elmar Brok: Es stimmt, dass ein Gutteil des Schlüssels für eine Lösung in Moskau liegt. Den Verantwortlichen der Union ist klar, dass sie ohne gemeinsame Sprache und Strategie gegenüber Russland keinen Eindruck im Kreml hinterlassen werden. Wladimir Putin versteht keine andere Sprache. Und diese Notwendigkeit beschränkt sich nicht auf die aktuelle Situation, sondern betrifft auch andere Bereiche, vor allem die Energiepolitik. Das ist nicht gegen Russland gerichtet, aber so lange so viele EU-Staaten um Moskaus Gunst wetteifern, so lange ist Uneinigkeit unsere große Schwäche. Was die Sanktionsdrohungen angeht, so ist der Einfluss des Kremls auf Kiew kein Naturgesetz, die ukrainischen Politiker müssten sich anders verhalten.
Ist die Ukraine wirklich frei, sich zu entscheiden? Immerhin ist die wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber Russland enorm.
Natürlich, das Assoziierungsabkommen mit der EU lag fertig auf dem Tisch, ein Hilfspaket über 18, 19 Milliarden Dollar stand bereit - natürlich verbunden mit Bedingungen. Dabei geht es darum, dass das Land wettbewerbsfähig wird, das aber wollte Präsident Wiktor Janukowitsch nicht, weil er befürchtete, die notwendigen, aber natürlich schmerzhaften Strukturreformen könnten seine Wiederwahl gefährden. Nur: Ohne Reformen wird das Land nie aus den Schwierigkeiten herauskommen, ob jetzt mit oder ohne EU. Der Unterschied ist, dass wir dem Land einen stabilen Rahmen für die wirtschaftliche Entwicklung bieten, Russland hat nichts außer billiger Energie. Das wissen die Menschen in der Ukraine.
Was versprechen Sie sich von Sanktionen gegen das Regime?
Wenn wir Sanktionen androhen, dann fordern wir nicht, dass diese sofort eingesetzt werden. Solange verhandelt wird, ist kein Platz für Sanktionen. Wir wollen, dass diejenigen, die für Verbrechen verantwortlich sind, die gefoltert, verhaftet, getötet und entführt haben, wissen, dass wir alles beobachten. Einreiseverbote gegen einzelne Personen können hier sehr wirksam sein. Und ich kann mir auch gut vorstellen, in einige Bankkonten hineinzuschauen. Angesichts der Summen, die da verschoben werden, ist es eigentlich nach den EU-Geldwäschebestimmungen die Pflicht der Banken, sich zu vergewissern, dass alles korrekt ist. Unser Signal an das Regime in Kiew ist klar: Es lohnt, sich anständig gegenüber den eigenen Leuten zu verhalten. Wir sehen alles, was vor sich geht - und dann sollen mir bitte nicht die Bedenkenträger aus den Auswärtigen Ämtern kommen und sagen, dass dies nicht gehe. Es geht nämlich.
Seit zwanzig Jahren wird in Europa über eine fehlende Russland-Strategie geklagt. Woran scheitert diese?
Es gibt Fortschritte, aber nicht schnell genug. Wenn es um so große Staaten wie China und Russland geht, dann ist der Ehrgeiz einzelner europäischer Staaten groß, am Hofe der Großen vorgelassen zu werden.
Wen sprechen Sie damit an?
Das Bewusstsein in allen nationalen Hauptstädten, da sind sich kleinere und größere EU-Staaten ziemlich ähnlich. Ich würde da keinen positiv ausnehmen. London ist allerdings der Hauptbremser bei einer einheitlichen europäischen Außenpolitik. Dabei ist die Summe des Ganzen machtvoller als jeder Einzelne, nur ist diese Erkenntnis in manchen EU-Hauptstädten noch nicht gereift.
Die EU, vor allem aber Berlin, hat sich sehr frühzeitig auf Ex-Boxweltmeister Witali Klitschko als Ansprechpartner in Kiew festgelegt. Von den Menschen, die auf dem Maidan seit Monaten demonstrieren, hört man allerdings, dass sie Klitschko nicht als ihren Anführer betrachten. Hat die EU auf das falsche Pferd gesetzt?
Jeder, der zwei Monate mitten im Winter protestiert, ist enttäuscht, wenn sich nichts getan hat. Diesen Menschen ein Angebot zu machen, wird für die gesamte politische Klasse sehr schwierig. Kommt es nicht in angemessener Zeit zu Lösungen, dann besteht stets die Gefahr, dass Situationen aus dem Ruder laufen. Was nun Ihren Vorwurf einer voreiligen Festlegung auf Klitschko angeht, so ist er in der Sache falsch. Das stimmt vielleicht für die Medien, insbesondere in Deutschland; Klitschko ist ungemein populär, seine Familie lebt hier . . . Doch politisch haben wird in Kiew zwei gleichberechtigte Partner: Klitschko und Arseni Jazenjuk, den Stellvertreter der inhaftierten Julia Timoschenko. Beide sind assoziierte Mitglieder der Europäischen Volkspartei.
Es geht auch nur im Team: Eine Kombination der beiden wäre die Ideallösung. Auf Grundlage einer stärker parlamentarisch orientierten Verfassung, über die derzeit verhandelt, wird, wäre Klitschko der geeignete Staatspräsident, weil er repräsentieren und integrieren kann; Jazenjuk wäre der ideale Ministerpräsident; er ist aktiver und verfügt über die größere politische Erfahrung.
Victoria Nuland, die Europabeauftragte der US-Regierung, ist über Nacht mit dem Satz "Fuck the EU" bekannt geworden . . .
. . . Nuland ist eine sehr gute Bekannte von mir . . .
In einem offensichtlich abgehörten Gespräch mit einem hohen US-Diplomaten kritisiert Nuland die Rolle der EU in der Ukraine, insbesondere die Fixierung auf Klitschko.
Victoria Nuland versteht offensichtlich die Rollenverteilung nicht, denn sie ist so, wie ich sie Ihnen dargestellt habe. Wir setzen sehr stark auf Jazenjuk, der im Übrigen sofort zur Seite treten würde, wenn Julia Timoschenko aus dem Gefängnis käme. Nuland ist keine Gegnerin Europas, man kann mit ihr ein offenes, wenn notwendig auch deutliches Wort sprechen, deshalb tut sie mir jetzt ein bisschen leid, dass sie in diese Situation geraten ist.
Kommen wir zur EU-Wahl, die Ende Mai ansteht: Ab welcher Wahlbeteiligung verliert ein Parlament seine demokratische Legitimation? 2009 lag diese bei 43 Prozent.
Mitunter geht auch bei nationalen Wahlen nur jeder Zweite zur Urne, etwa bei den US-Präsidentschaftswahlen. Entscheidend ist, dass die Bürger wissen, was das EU-Parlament zu sagen hat. Wir bestimmen zu 95 Prozent die Gesetzgebung der EU, die wiederum 30 bis 40 der nationalen Gesetzgebung bestimmt. Alle Drittlandsverträge wie das Handelsabkommen mit den USA können nur in Kraft treten, wenn das EU-Parlament zustimmt. Und jetzt wählen die Abgeordneten zum ersten Mal den neuen Präsidenten der EU-Kommission.
Dass das Parlament wichtiger geworden ist, wissen die Eliten, nur die Bürger zeigen sich davon unbeeindruckt.
Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen erfahren, wie wichtig es ist, dass sie dabei mitwirken, wie sich das Parlament politisch zusammensetzt. Soll Europa sozialer werden oder lieber wettbewerbsfähiger oder doch liberaler? Es liegt an den Bürgern, das durch ihre Stimme zu entscheiden. Genau so wichtig ist aber, dass sich die Regierungen zu ihrer Verantwortung bekennen, sie bestimmen nämlich im Rat alles mit. Die viel zitierte Glühbirnenregelung hatte auch den Segen des Rats. Deshalb soll der Europäische Rat zu einer zweiten Kammer werden, sodass die Entscheidungen transparenter fallen und sich die Regierungen der Kritik ihrer Bürger stellen. Schließlich, das ist ein Appell an uns Abgeordnete selbst, müssen wir dafür sorgen, dass sich die Union wieder stärker auf das Wesentliche konzentriert. Dazu braucht es keine Kompetenzänderungen, es reicht die Bereitschaft, nicht alles bis ins letzte Detail zu regeln, obwohl man es könnte.
Es wäre das erste Mal, dass sich eine Bürokratie selbst Zügel auferlegt.
Die Bürokratie kann nichts allein entscheiden, das ist Sache des Europäischen Rats und des Parlaments.
Was lässt Sie hoffen, dass die EU-Wahlen nicht wie in der Vergangenheit als Denkzettelwahl für die eigene Regierung herhalten müssen?
Die Krise hat das Bewusstsein der Bürger für europäische Zusammenhänge verändert, davon bin ich wirklich überzeugt. Und dass jetzt erstmals EU-weite Spitzenkandidaten antreten, wird den Wahlkampf grundlegend verändern, weil jetzt Personen mit Programmen identifiziert werden können.
Zur Person
Elmar Brok, geboren 1946, ist Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des EU-Parlaments. Der deutsche CDU-Politiker und Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel ist seit 1980 Mitglied des EU-Parlaments. Brok ist außenpolitischer Koordinator der EVP und war bis 2011 Senior Vice President Media Development der Bertelsmann AG.