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Prozess um versuchten Mord ging am Donnerstag in zweite Runde. Das nicht rechtskräftige Urteil: Fünfzehn Jahre Haft für den Angeklagten.
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Wien. Zurück an den Start hieß es am Donnerstag bei einer Prozesswiederholung wegen versuchten Mordes am Wiener Straflandesgericht. Ein 61-jähriger Mann soll am 10. April 2016 in Wien-Meidling versucht haben, seine Ehefrau zu erstechen. Die Frau erlitt acht Stiche, sie überlebte dank einer Notoperation. Nach der inkriminierten Tat rammte er sich das Messer drei Mal in den Bauch, wobei seine Verletzungen weniger schwerwiegend waren.
Beim ersten Prozess im September 2016 wurde er von den Geschworenen nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen absichtlich schwerer Körperverletzung verurteilt. Ein Irrtum, befanden die Richter und hoben den Wahrspruch der Geschworenen auf. Der Prozess musste daher vor einem neu zusammengesetzten Schwurgerichtshof (Vorsitz: Richter Ulrich Nachtlberger) nochmals verhandelt werden.
"Die Geschworenen haben damals gesagt: Was der Mann sagt, kann stimmen", hielt Verteidiger Rudolf Mayer in seinem Eröffnungsplädoyer fest. "Wenn es Zweifel gibt, muss man die für den Angeklagten günstigere Variante nehmen", sagte er in Richtung der Geschworenen, denen er auch den Lebensweg seines Mandanten schilderte. Der 61-Jährige sei ein "ganz einfacher Bauarbeiter", ein Migrant der ersten Generation. "Die haben wir gebraucht, die haben gearbeitet und sich fünfzehn Mal vor der Polizei verneigt", sagte Mayer.
Vernunft oder Liebe
Der Angeklagte kam 1984 erstmals aus der Türkei nach Österreich, seit 1990 lebt er permanent hier. Mit seiner ersten Frau bekam er sieben Kinder, 2012 verstarb sie. Fünfzehn Tage nach dem Begräbnis entschloss er sich, wieder zu heiraten. Bekannte vermittelten ihm eine in der Türkei lebende, 28-jährige Kurdin. Sie hatte bereits ein Kind aus ihrer ersten Ehe. Die Frau willigte in die Vernunftehe ein und zog mit Kind und Mann nach Wien.
In Wien angekommen, soll es alsbald zu Konflikten zwischen dem frisch vermählten Ehepaar gekommen sein. Seine Frau habe ein Verhältnis mit einem im selben Haus lebenden Bosnier angefangen, behauptete der Angeklagte. Beweise dafür konnte er keine vorlegen. "Der Staat soll das aufdecken", forderte er mehrmals.
Ständig haben ihn seine Frau und der Mann provoziert, sagte er. "Der Mann hat von oben Klopfzeichen gegeben. Das hat bedeutet, dass sie kommen soll." Der Angeklagte präsentierte sich als Opfer seiner Frau. Ständig habe sie ihn beschimpft: "Sie hat mich Alter und Hund genannt." Zudem habe sie gesagt, dass sie ihn umbringen und vergiften wolle, sagte er. Depressiv sei er deswegen gewesen, er habe nicht mehr schlafen können. Die Version der Frau konnte am Donnerstag nicht gehört werden: Sie wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen.
"Vielleicht! Vielleicht!"
Auf Fragen gab der Angeklagte meist unklare Antworten, oftmals wiederholte er sich. Das strapazierte die Geduld der drei Berufsrichter, die die Version des Angeklagten hinterfragten. Teils wurden sie sehr laut und brüllten den Angeklagten regelrecht an. "Vielleicht! Vielleicht! Vielleicht!", beschwerte sich ein beisitzender Richter über die ungenauen Angaben. "Sie sprechen wie ein Politiker", sagte Richter Nachtlberger zum Angeklagten.
Am Tag der Tat sei zuerst seine Frau mit einem Messer auf ihn losgegangen, behauptete der Angeklagte. Er habe ihr das Messer weggenommen. Was dann geschehen sei, wisse er nicht. Er habe seine Frau gestochen, habe aber nicht den Vorsatz gehabt, sie zu töten. Die Frage nach dem Vorsatz war der rechtliche Knackpunkt des Prozesses. Bei einem Mord genügt Eventualvorsatz: Der Täter muss es ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, jemand anderen zu töten. Der Strafrahmen beträgt zehn bis zwanzig Jahre oder lebenslange Haft.
Bei einer absichtlich schweren Körperverletzung muss es dem Täter hingegen gerade darauf ankommen, jemandem eine schwere Körperverletzung zuzufügen. Tötungsvorsatz darf er keinen haben. Eine absichtlich schwere Körperverletzung wird mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft.
Die Geschworenen - sie entscheiden alleine über die Schuldfrage - glaubten dem Angeklagten nicht und verurteilten ihn einstimmig wegen versuchten Mordes. Die Strafe: Fünfzehn Jahre Haft. Der Frau, die sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen hatte, wurden 7390 Euro zugesprochen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Mayer meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.