Goldene Morgenröte sei zu 100 Prozent eine Nazipartei, sagt Dimitrs Psarras.
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"Wiener Zeitung": Vor einem Parteibüro der rechtsextremen Partei Goldene Morgenröte im Westen Athens ist ein Sprengsatz explodiert. Was sind die Hintergründe?Dimitris Psarras: Die Täter sind unbekannt. Aber Sie müssen wissen: Die Ausbreitung des Rechtsextremismus ist für Griechenland ein Alptraum.
Warum?
Weil es hier bis in die 1990er hinein kein Problem mit dem Rechtsextremismus wie andere Länder in Europa gab. Die Griechen hatten eine Militärdiktatur erlebt, daher war rechtsradikales oder rechtsextremes Gedankengut in ihren Augen lange völlig diskreditiert. Deshalb sage ich Alptraum. Goldene Morgenröte ist nicht einmal eine moderne rechtsradikale Partei der sogenannten dritten Welle wie die französische Front National oder die hiesige LAOS-Partei. Sie ist etwas völlig anderes.
Konkret?
Seit ihrer Gründung im Dezember 1980 ist die Goldene Morgenröte eine politische Organisation, die in Theorie und Praxis die Lehren des deutschen Nazismus, der deutschen NSDAP, zwischen den beiden Weltkriegen nachahmt. Sie ist zu 100 Prozent eine Nazi-Partei. Die offizielle Buchhandlung der Goldenen Morgenröte führt Titel wie die Reden von Hitler und die Tagebücher von Goebbels. Sie benutzt Gewalt, um politisch zunächst auf der Straße, dann in der Gesellschaft die Führerschaft zu übernehmen. Sie zerstört Läden von Missliebigen in Athener Stadtteilen, so wie die SA Geschäfte von Juden markiert und zerstört hat. Sie will mit Gewalt Plätze in städtischen Zentren erobern. Das fing schon Anfang der 90er Jahre an. Ihre Ziele waren damals Linke, Anarchisten oder einfach Jugendliche, die sie auf der Straße sahen und deren Kleidung oder Aussehen sie störte.
Vor der Krise war die Goldene Morgenröte eine Splitterpartei. 2010 zog sie erstmals ins Athener Stadtparlament ein, heuer holte sie bei den nationalen Doppelwahlen fast sieben Prozent. Laut jüngsten Umfragen hat sie ihren Zuspruch mittlerweile fast verdoppelt. Wie erklären Sie sich das?
Hellas steckt in einer ökonomischen Sackgasse. Die Griechen erleben eine kulturelle Krise. Das traditionelle Politsystem, das die Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok nach der Obristendiktatur geprägt haben, bricht zusammen. Die Goldene Morgenröte gibt den Griechen keine Hoffnung. Sie sagt den Menschen aber: "Ich reiche euch die Hand der Rache. All diejenigen, die euch das angetan haben und für eure heutige Lage verantwortlich sind, egal ob sie im Parlament sitzen oder nicht, könnt ihr nur mit meiner starken Hand schlagen." Es ist die allenthalben herrschende Verzweiflung, die zur Rache führt.
Verändert ihr Einzug ins Parlament das Vorgehen und die Taktik?
Nein. Das ist eine Fehleinschätzung. Die Ansicht "Wenn die im Parlament sitzen und Anzüge, Krawatten und Röcke anziehen, werden sie schon brav werden" ist falsch. Seit ihrem Einzug ins Parlament gibt es quasi eine Arbeitsteilung. Im Parlament wirken ihre 18 Abgeordneten sicher überzogen, laut und aggressiv in der Wortwahl, aber sie agieren innerhalb der Grenzen. Zugleich setzt die Goldene Morgenröte aber unbeirrt ihre gewalttätigen Aktionen auf der Straße fort. Ihre Opfer sind Einwanderer, vor allem aus Afghanistan, Pakistan und Bangladesch.
Was will die Goldene Morgenröte?
Angst einjagen. Ihre Strategie ist Provokation. Sie sprechen nicht nur offen von Bürgerkrieg, sie wollen ihn auch. Ihr Ziel ist, dass Teile des Staatsapparats intervenieren, namentlich die Polizei und Streitkräfte, damit ihr Traum wahr wird: die Schaffung eines wirklich griechischen Regimes nach ihrem Vorbild, wie sie sagen.
Ist ein Bürgerkrieg denn wirklich realistisch? Stößt die Goldene Morgenröte in der Polizei und bei den Streitkräften auf Zustimmung ?
Bei der Polizei ist die Lage sehr schlimm. Über 40 Prozent der Polizisten haben im Juni die Goldene Morgenröte gewählt. Jetzt bezahlen wir für die Sünden der Vergangenheit. Seit 20 Jahren hat die Polizei auch unter den Regierungen der Nea Dimokratia und Pasok-Sozialisten die Goldene Morgenröte stillschweigend bei Demos benutzt. Sie hat den Eingreiftruppen der Bereitschaftspolizei die Drecksarbeit abgenommen.
Besteht die Gefahr eines Militärputsches in Griechenland?
Das glaube ich nicht. Das Militär kann und will nicht wiederholen, was hier in den 60er Jahren passiert ist. Die Spitze der Streitkräfte wird von der Regierung bestimmt. Sie hat sich mit der Demokratie identifiziert.
Ist das Phänomen vielleicht nur eine Blase in der Griechenland-Krise, die irgendwann platzen wird?
Das ist keine Protestpartei im klassischen Sinne. Sie richtet sich gegen das ganze System. Sie will den Parlamentarismus, die Demokratie abschaffen und ein totalitäres, nationales Regime errichten. Selbst bei Stimmenverlusten bei künftigen Wahlen: Die Goldene Morgenröte wird bleiben.
Wäre ein Parteiverbot die Lösung?
Das lässt schon die griechische Verfassung nicht zu. Die Staatsanwaltschaft hätte aber längst intervenieren müssen, indem sie Anklage erhebt. Die Goldene Morgenröte ist eine kriminelle Bande.
Zur Person
Dimitris Psarras
Der 59-jährige Reporter der links-liberalen Athener Tageszeitung "Efymerida ton Syntakton" gilt als führender Rechtsextremismus-Experte. Im Oktober erschien sein "Schwarzbuch der Goldenen Morgenröte".