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"Sie wollen sich der Realität nicht stellen"

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv
John Monks. Foto: etuc

Enttäuscht über Abwertung des Sozialgipfels. | "EU-Länder agieren nationalistisch." | Brüssel. Statt allen 27 Staats- und Regierungschefs beraten heute, Donnerstag, nur jene aus dem gegenwärtigen Vorsitzland Tschechien und seinen Nachfolgern Schweden und Spanien mit Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso sowie Vertretern der europäischen Sozialpartner über Auswege aus der drohenden sozialen Katastrophe. Für den Europäischen Verband der Gewerkschaften ETUC nimmt sein Generalsekretär John Monks teil.


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"Wiener Zeitung": Nach einem Reigen von Sondergipfeln zur Wirtschaftskrise wurde just jener zur Arbeitslosigkeit heruntergestuft. Heißt das, dass die EU wenig vom sozialen Europa hält? John Monks: Die Beteiligung - oder besser die Nicht-Beteiligung - sagt doch wohl alles. Es ist sehr enttäuschend das Deutschland, Frankreich und andere die Veranstaltung so abgewertet haben. Dafür werden sie die Kritik ernten, dass sie sich nicht genug in der Schlacht gegen die Arbeitslosigkeit engagieren. Denn manche Staats- und Regierungschefs scheinen zu glauben, dass sie ohnehin schon genug tun. Andere wollen sich der Realität nicht stellen. Doch die Arbeitslosigkeit in Europa schießt extrem in die Höhe, bis Jahresende werden mehr als zehn Prozent ohne Beschäftigung sein.

Was sollte man gegen die grassierende Arbeitslosigkeit unternehmen?

Das Schlüsselproblem ist, dass die Größe der Konjunkturpakete in Europa nicht ausreicht. Die Rezession wird daher länger dauern, als es sein müsste. Wichtig wäre auch mehr Entschlossenheit, um auf den Finanzmärkten nicht zur Tagesordnung zurückzukehren. Die dritte Sache ist, mehr auf vorhandene gute Strategien auf den Arbeitsmärkten zu setzen - etwa die aktive Arbeitsmarktpolitik der Skandinavier oder die Kurzarbeit könnten EU-weit angewandt werden und mit EU-Mitteln gefördert werden.

Woher soll den noch mehr Geld für Konjunkturpakete kommen? Schon jetzt explodieren die Haushaltsdefizite.

Die steigen zwar, sind aber nicht außer Kontrolle. Und in einigen Ländern geschieht einfach zu wenig. Deutschland, die Niederlande und Frankreich könnten mehr tun. Italien sollte mehr tun. Zu wenig sondiert wird aber vor allem, was Europa mehr machen könnte. Wir haben eine sehr starke Währung und eine sehr starke Zentralbank in der Eurozone (EZB). Wir könnte auf europäischer Ebene Geld am Markt beschaffen. Europäische Anleihen, die die EZB oder die Europäische Investitionsbank herausgeben könnte, wären eine sehr bedeutende Unterstützung.

Aber solche Lösungen in der EU sehr schwierig zu verwirklichen. Sehen Sie wirklich den Willen, Ihre Ideen umzusetzen?

Nein, das ist ein Teil des Problems. Derzeit beschränkt sich die EU bloß auf die Koordination und etwas Extrageld für einige Bereiche wie Notkredite für östliche Volkswirtschaften oder den Globalisierungsfonds. Das ist sehr wenig im Vergleich zu den massiven Problemen. Einige Länder agieren ziemlich nationalistisch.

Gibt es also eine Chance auf ein soziales Europa? Was ist das überhaupt?

Europa ist sozial im Vergleich zu anderen Teilen der Welt. Schauen Sie in die USA und sie werden keine allgemeine medizinische Versorgung finden. Von Ländern wie China und anderen asiatischen Ländern wollen wir gar nicht reden. Außer vielleicht in Japan, Australien, Neuseeland und Kanada gibt es keine Wohlfahrtsstaaten mit einem maßgeblichen öffentlichen Sektor. Es gibt keine effektiven Gewerkschaften mit Tarifverhandlungen oder Arbeitnehmerbeteiligung. Das alles gibt es bei uns und das ist für mich das soziale Europa.

Wir haben das soziale Europa also bereits?

Wir haben einige Elemente des sozialen Europas erreicht, aber die werden angegriffen. Vor fünf Jahren wollten alle in dieselbe Richtung gehen wie die USA und Europa amerikanisieren. Jetzt sehen wir die Schwächen dieses Systems und im Gegensatz dazu die Kraft des Wohlfahrtsstaates und eines belastbaren öffentlichen Sektors, welche nicht von kurzfristigen Marktschwankungen abhängig sind.