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Ungeachtet der Warnung Deutschlands und Italiens vom Wochenende, den Entwurf für die neue EU-Verfassung wieder aufzuschnüren, wollen sich die Mitgliedstaaten mit ihren Änderungswünschen nicht zurückhalten.
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Was zu erwarten war, scheint einzutreffen: So arbeitet Großbritannien an der Errichtung einer militärischen Planungszelle der EU - innerhalb der NATO. "The Times" berichtete, die Pläne sollen der EU zu einer "eigenen Identität" innerhalb des Militärbündnisses verhelfen. London läuft damit den zuvorderst von Paris betriebenen Bestrebungen zuwider, eine EU-Verteidigungseinheit außerhalb des Nordatlantikpaktes auf die Beine zu stellen. Frankreich, Deutschland, Belgien und Luxemburg hatten unter dem Eindruck des Irak-Krieges die Gründung eines EU-Planungsstabs vorgeschlagen, der unabhängig von der NATO militärische Einsätze planen und führen soll. London rechnet mit Unterstützung in Irland, Spanien und Italien. Die Pläne wurden an alle Mitgliedstaaten und die zehn Beitrittsländer geschickt, sie firmieren unter dem Titel "Nachdenkfutter".
So wie London möchte sich auch die Regierung in Dublin die Veto-Möglichkeit in Steuerfragen bewahren. Klauseln, die hier in der EU-Verfassung von der Einstimmigkeit in die Mehrstimmigkeit übergehen, werden daher abgelehnt. Weitere Änderungswünsche hat Polen vorgebracht. Staatspräsident Aleksander Kwasniewski lehnt Vorschläge im Verfassungsentwurf ab, wo der Einfluss der kleineren Länder beschnitten würde. Polen möchte die (gewichteten) Stimmen im EU-Ministerrat wieder auf den - günstigeren - Stand des Nizza-Vertrags zurückgeführt haben. Außerdem solle jedes EU-Land einen Kommissar stellen dürfen - eine Forderung, auf der auch Österreich in den Regierungsverhandlungen beharren wird.
Schweden möchte seine Standpunkte zur Verfassung erst Mitte November der italienischen EU-Ratspräsidentschaft übermitteln. Dagegen war von Italien Anfang September als Deadline genannt worden. Daneben machen sich auch Deutschland, Spanien und Großbritannien für ein zügiges Ende des verfassungsgebenden Prozesses stark. Umso bemerkenswerter sind daher die Äußerungen des deutschen Verfassungsrichters Siegfried Broß. Die neue Verfassung sei so ein "außergewöhnlicher Vertrag", und die EU sei so eine komplexe Organisation, dass er den Zeitdruck nicht verstehen könne. Broß fordert ein eigenes "Kompetenz-Konflikt-Gericht" ein und ist außerdem für ein Referendum über die EU-Verfassung.