Jedes Jahr unternehmen rund 1500 Muslime aus Österreich die Pilgerfahrt nach Mekka, die am Samstag startet. Der Reiseführer Ishak Ahmetovic begleitet sie dabei.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. In der bosnischen Gazi Husrev Beg Moschee in der Arndtstraße im 12. Bezirk riecht es nach Burek und Baklava. In Minutentempo trudeln Menschen ein, manche von ihnen haben Backbleche mit Haupt- oder Nachspeisen mit, die sie auf einem Tisch im Eingangsbereich stapeln. Die Temperatur im Raum steigt exponenziell zur wachsenden Zahl der Besucher, etwa 400 Personen sind gekommen. In einer Ecke im vorderen Teil des Gebetraumes sitzen ein Dutzend Menschen, für die diese Veranstaltung organisiert wird. Es sind die Pilger, Hadzije auf Bosnisch, die es zu verabschieden gilt, denn bald reisen sie nach Saudi-Arabien, um dort die für jeden fähigen Muslim verpflichtende Pilgerfahrt zu machen.
Die Hadsch nach Mekka gehört mit den täglichen Gebeten, der Gabe von Almosen, dem Glaubensbekenntnis sowie dem Fasten im Monat Ramadan zu den fünf Säulen des Islam. Die mehrtägige Wallfahrt zum Geburtsort des Propheten Mohammed ist eine der religiösen Pflichten, die jeder Muslim einmal in seinem Leben erfüllen sollte - wenn er gesundheitlich und finanziell dazu in der Lage ist. Am Samstag, den 10. September, ist der Startschuss der fünftägigen Wallfahrt.
Wo finde ich einenrichtigen Friseur in Mekka?
In der Moschee in der Arndtstraße hat man sich ein paar Tage zuvor zum Abschied versammelt. Drei große Kameras sind auf die Pilger und die Gastredner gerichtet. Der Veranstalter, Ishak Ahmetovic schreitet durch den Raum, gibt Anweisungen, wo sich wer setzen und welche Kamera wohin gerichtet werden soll. Der Imam hat einen dichten, in Form gebrachten Bart, Hemd und Gebetskappe. Er macht Witze mit Besuchern und beruhigt Familienmitglieder, die sich Sorgen machen um ihre Pilger. Ahmetovic ist der Reiseführer dieser Gruppe Menschen. Er kennt Mekka und Medina besser als Wien. Er kennt alle Seitengassen, die besten Restaurants und den günstigsten, aber auch gleichzeitig professionellsten Friseur vor Ort. Der ist wichtig für männliche Pilger, weil sie sich vor der Hadsch die Haare entweder kürzen oder ganz abrasieren müssen.
65 Männer und Frauen aus Österreich, Frankreich, Deutschland, Kroatien, Schweden, Finnland, Slowenien und den Niederlanden werden dieses Jahr mit Ahmetovic als Reiseleiter, die Pilgerfahrt nach Saudi-Arabien antreten. Sie werden zum ersten Mal die Kaaba, das quaderförmiges Gebäude im Innenhof der Heiligen Moschee in Mekka, sieben Mal umkreisen und als Höhepunkt den Berg Arafat aufsuchen sowie im Tal Mina in klimatisierten Zelten nächtigen. Ahmetovic ist für das Wohl der Pilger auf der Reise verantwortlich.
Der 43-jährige Bosnier veranstaltet seit mehr als 20 Jahren Pilgerreisen. Seit 2012 kooperiert er mit dem Mobarak KEG Reisebüro im 17. Wiener Bezirk. Damals, 1993, hatte er gerade sein theologisches Studium in Saudi-Arabien abgeschlossen, als ihm Bekannte dazu rieten, Pilgerreisen nach Mekka zu veranstalten. Während seines Aufenthaltes habe er so einiges über die Geschichte der Orte, die Bedeutung der Pilgerfahrt, aber auch die Landessprache Arabisch nahezu perfekt gelernt. "Menschen, die wussten, dass ich in Saudi-Arabien studiert habe, kamen auf mich zu und meinten, dass ich bosnisch-sprachige Reisen nach Mekka organisieren sollte", sagt der Imam. Zu dieser Zeit boten nur türkische oder arabische Veranstalter Pilgerfahrten an, sodass bosnische Gläubige während der Pilgerfahrt sprachlich im Nachteil waren. Er füllte damit eine lang übersehene Marktlücke. Der Selfmade-Reiseführer ließ sich beim saudischen Konsulat registrieren und zertifizieren. Seit 2012 ist er auch der offizielle Pilgerreiseleiter des "Islamischen Zentrums Wien".
Eine Muezzin-Stimme leitet das Nachmittagsgebet und damit auch den Beginn der Veranstaltung ein. Es wird still im Raum. Nach dem Gebet ergreift der hauseigene Imam das Mikrofon und beginnt mit der Begrüßung und der Erklärung des heutigen Programmes. Das Ikrar-Bittgebet ist keine religiöse Verpflichtung und es kann von jedem und nahezu überall ausgesprochen werden. Es geht im Bittgebet darum, dass man dem Pilger seine Fehltritte verzeiht, sodass er rein vor Gott treten kann. Das Bittgebet ist eine bosnische, autochthone Tradition, die "seit der Gründung des Islam auf bosnischen Boden existiert", erklärt Ahmetovic. Bei den türkischen oder arabischen Gemeinden sind solche Pilger-Verabschiedungen nicht üblich. Die Veranstaltungen sind immer mit kurzen Vorträgen und Chor-Gesangseinlagen geschmückt. Auch heute ist es nicht anders. Auf einer Rede folgt eine Ilahija, eine musiklose Lobpreisung Gottes, vergleichbar mit Gospel-Gesang.
Keine Angstvor der Massenpanik
Jasmin Kadric sitzt zur gleichen Zeit auf seiner gemütlichen Couch in seiner Wohnung in Wien Liesing. Um ihn herum seine Familie. Er ist einer von vielen Pilgern, die lieber zu Hause eine kleine Verabschiedung im engsten Familienkreis machen. Auch er wird am nächsten Tag mit Ahmetovic nach Mekka pilgern, eine Reise, auf die er sich "seit seiner frühesten Kindheit geistig vorbereitet", wie er sagt. Mehrere Monate hat er für den Hadsch gespart, denn die Reise kostet bis zu 4500 Euro. Nicht inkludiert sind Geschenke und Souvenirs, die man dort kaufen muss. Um sich nicht nur geistig, sondern auch tatsächlich vorzubereiten, besorgte er sich Bücher und Flugblätter zum Thema Hadsch und schaute sich Videos auf YouTube an. Er musste den Ablauf der sechstägigen Pilgerreise und die dazugehörigen Bittgebete erlernen. "Ich bin immer noch nicht sehr gut vorbereitet", sagt er am Abend vor der Abreise. Es gab in den vergangenen 12 Monaten einige negative Schlagzeilen betreffend der Pilgerreise. Da gab es die Massenpanik vergangenes Jahr, die mehr als 1000 Menschen das Leben kostete. Dann gab es auch den Kranabsturz, der einige hundert Pilger in den Tod riss. Und vor wenige Monaten explodierten Bomben in Medina und Dschidda. Doch diese Meldungen machen dem 37-jährigen Schichtleiter bei McDonalds überhaupt keine Sorgen. Er sieht es gelassen. "Man sollte immer gut auf sich aufpassen", sagt er dazu furchtlos.
Jährlich absolvieren zwei bis drei Millionen Menschen aus der ganzen Welt die Pilgerfahrt. In Österreich gibt es insgesamt sieben Wallfahrt-Organisationen. Drei aus der türkischen, zwei aus der arabischen und zwei aus der bosnischen Community. Wie viele Personen die Pilgerfahrt machen dürfen, wird vom Hadsch-Ministerium in Saudi-Arabien geregelt. Ein Prozent der Bevölkerung eines Landes, in der es ein saudi-arabisches Konsulat gibt, dürfen jährlich die Hadsch absolvieren. Theoretisch dürfen jährlich 80.000 Menschen aus Österreich die Pilgerfahrt machen. "In der Praxis sind es etwa 1500 Personen. Zwischen 600 und 700 aus der türkischen, 400 und 500 aus der arabischen, 120 aus der mazedonischen und bis zu 150 aus der bosnischen Community", listet Ahmetovic die Herkunftsländer der Teilnehmer auf. Für dieses Jahr stehen die Teilnehmer bereits fest. Vielleicht sind es nächstes Jahr mehr.