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Sieben Menschen bis zum Tod

Von Alexander U. Mathé

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Alexander U. Mathé

Ein Kenianer versuchte erfolglos, eine afrikanische Sprache vor dem Aussterben zu bewahren.


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Manasseh Rux Ole Matunge ist der Letzte, der versucht hat, Yakunte zu retten. Aber er ist gescheitert, sagt er. Und so wird seine Sprache schon bald tot sein; wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Gerade einmal sieben Menschen auf der Welt sprechen noch Yakunte. Alle sind älter als 70 Jahre und gehören der Volksgruppe der Yaaku in Kenia an. Yakunte gehört zu den in Nordostafrika gesprochenen kuschitischen Sprachen. Die Todesursache ist ein Dominoeffekt, bei dem der erste Stein vor mehr als einem Jahrhundert angestoßen wurde. Damals siedelten sich Europäer im Stammesgebiet der Massai im heutigen Kenia an. Diese wiederum zogen daraufhin weiter, in das Stammesgebiet der Yaaku im Mukogodo-Wald, westlich des Mount-Kenya-Massivs. Die Koexistenz verlief grundsätzlich gut. Doch die Massai als Krieger und Hirten blickten auf die Yaaku herab, die Jäger und Imker waren. Die Yaaku begannen sich daraufhin zu assimilieren und auch die Sprache der Massai zu sprechen. Ihre eigene vernachlässigten sie dabei. Bis im Jahr 2010 nur mehr eine Handvoll Yakunte-Sprecher übrig war. In diesem Jahr starb Matunges Mutter, Naruato Matunge, im Alter von 105 Jahren. Selbst Vater von fünf Kindern, sah der heute 60-jährige Priester deren kulturelles und sprachliches Erbe dahinschwinden. Also beschloss er, etwas dagegen zu tun. Gemeinsam mit seiner Frau ging er in die Schulen der Yaaku, um die Sprache der noch etwa 4000 Angehörige zählenden Volksgruppe zu bewerben. Er schrieb ein Wörterbuch, das die gängigsten Wörter und Phrasen von Maa und Swahili in Yakunte übersetzt. Er formierte Gruppen, in denen junge Yaaku auf ältere trafen. Doch alle seine Bemühungen fruchteten nicht. Die Jungen haben einfach kein Interesse an der Sprache. Mehr noch: Da die Yaaku als sozial niedrigstehender gesehen werden, versuchen sie alles zu tun, um ihre Herkunft zu verbergen und alles abzulegen, was sie damit in Verbindung bringen könnte. "Wir sind an dem Punkt angekommen, an dem wir alles versucht haben", sagte Matunge dem katarischen Nachrichtensender "Al Jazeera". "Es ist höchste Zeit zu akzeptieren, dass unsere Sprache tot ist." Matunge hat aufgegeben und ist sichtlich geknickt. Doch wer weiß, vielleicht entsteht ja noch in ein paar Jahrzehnten ein neues Bewusstsein. Denn nur, weil eine Sprache tot ist, heißt das nicht, dass sie das auch bleiben muss. Manx ist so eine Sprache, die von den Toten auferstanden ist. 1974 starb offiziell der letzte Mann, der die keltische Sprache der Insel Man als Muttersprache hatte. Doch Sprachaktivisten und Regierung taten ihr Möglichstes, die Sprache wiederzubeleben. Seit 1992 kann man in allen Schulen der Insel Manx lernen. Erst vor vier Monaten verabschiedete die Regierung der Insel in der Irischen See einen Fünfjahresplan, um Manx wieder flächendeckend in die Schulen und Heime der Insel zu bringen. Ein erster Erfolg ist bereits sichtbar: Im Jahr 2015 gaben 1800 Menschen an, Manx zu sprechen, unter ihnen sogar ein paar Dutzend Muttersprachler, von denen der älteste derzeit etwa 30 Jahre alt sein dürfte. Vielleicht sieht man ja in einer fernen Zukunft ein ähnliches Engagement für Yakunte.