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Die Stadt Linz gehörte in der NS-Zeit zu den Kulturhauptstädten des Deutschen Reichs. Bauliche Spuren davon sind bis zum heutigen Tag sichtbar. Zurzeit befasst sich eine Linzer Ausstellung mit diesem Erbe.
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Ein weltbekanntes Bild: der GRÖFAZ ("Größter Führer Aller Zeiten"), Adolf Hitler, sitzt auf einem Sessel, in Uniform, und betrachtet konzentriert das große Modell einer Stadtanlage an einem Fluss, so, als wäre er ein Urbanist, ein Stadtplaner. Wenn die Berichte über dieses Foto stimmen, dann entstand diese späte Aufnahme von Hitlers Leben im Keller der ehemaligen "Reichskanzlei" des Nazi-Reichs, im Zentrum von Berlin. Außerhalb dieses Areals tobte die Schlacht um Berlin, die im April und Mai 1945 das Ende dieses Albtraums besiegeln sollte: Die sowjetische Rote Armee, von Polen her kommend, hatte die Stadt (oder das Land) Berlin mit mehreren Millionen Soldaten umzingelt, und war nach monatelanger Schlacht siegreich.

Hitlers Bauphantasien
Als diese Schlacht schon wochenlang währte, saß der GRÖFAZ angeblich immer noch in seinem bombensicheren Bunker und starrte auf das Stadtmodell. Augenzeugen berichteten, dass es sich um ein Modell der Stadt Linz gehandelt hat, die für den GRÖFAZ immer eine besondere Bedeutung gehabt hatte. Dabei soll er den geplanten monumentalen Ausbau entlang der Donauufer immer wieder studiert haben: Diese Entwürfe des deutschen Architekten Hermann Giesler wurden allerdings nie realisiert, und man kann der Geschichte danken, dass es zu diesem megalomanen und äußerst sterilen Ausbau eines neuen, östlichen Zentrums von Linz, das als eine "Kulturhauptstadt" des Dritten Reichs geplant war, nie gekommen ist.
Das Museum Nordico lässt sich, wenn man die Widmung betrachtet, mit dem "Wien Museum Karlsplatz" als historisches Museum vergleichen. Ein städtisches Museum, das über ein umfangreiches historisches Archiv verfügt, hat die Möglichkeit, historisch bedeutsame Themen der Stadt aufzuarbeiten und in Ausstellungen zu präsentieren. Es ist leider auch eine Tatsache, dass weltweit die "Stadtmuseen" an medialer Unterbewertung leiden, weil die öffentliche Meinung ihr Wirken eher für langweilig erachtet, im Vergleich mit den glamourösen Kunst-Museen.
NS-Wohnbau in Linz
Das betrifft auch das Linzer "Nordico". Das Gebäude, das Sammlungen, Archive und zwei Ausstellungsgeschosse beherbergt, ist ein wuchtiges, frühbarockes Palais, das ursprünglich als Stadthaus des Stifts Kremsmünster nach 1600 errichtet worden war.
Nun hatte die neue Direktorin des Nordico, die Linzerin Andrea Bina, die bemerkenswerte Idee zu einer multimedialen Ausstellung über ein kompliziertes zeithistorisches Thema. Gezeigt wird der umfassende Wohn- und Siedlungsbau, der im großen Stadtgebiet von Linz von 1938-1945 entstanden ist: "Hitlerbauten in Linz" ist der griffige Titel, der Nicht-Linzer vermutlich befremden wird.
Dieses Thema und seine Aufbereitung in der Ausstellung hat Aufsehen erregt, zumindest bei der Eröffnung am 20. September fanden sich im Nordico angeblich 600 Besucher ein.
Auffallend ist, dass kaum je eine Diskussion darüber geführt worden ist, dass in Linz während der NS-Zeit 2700 Wohnhäuser in vielen Stadtteilen errichtet worden sind. Die kritische Forschung begann erst in den 1980er Jahren.

Zur Klärung: Linz ist nicht die einzige Stadt, die über Wohnbauten aus der NS-Zeit verfügt. Solche Bauten wurden in jeder größeren Stadt des NS-Reichs errichtet, genauso wie Industrieanlagen, militärische Komplexe wie Kasernen und Rüstungsbetriebe, und genauso wie das umfassende System von Straflagern, KZs etc. Sofern diese Bauten noch bestehen, sind sie für jemanden, der mit den architektonischen Stilmerkmalen dieser Zeit vertraut ist, leicht zu erkennen.
Die Stadt Linz ist jedoch insofern ein Sonderfall, als der Umfang der urbanistischen Veränderungen, soweit sie den Bau von Siedlungen betrafen, anscheinend zu den größten im gesamten NS-Reich zählte. Die Ausstellung und das Begleitbuch dazu versuchen, sich diesen historischen Fakten von mehreren Seiten her zu nähern, und es mit multi-medialen Mitteln im Rahmen der Ausstellung darzustellen.
Ausbau zur Großstadt
Aber wie kam es eigentlich dazu, dass Linz gleich nach dem Anschluss den zweifelhaften Rang erhielt, eine der Kulturhauptstädte des Deutschen Reichs zu werden? (Neben Berlin, Hamburg, Nürnberg und München.) Wien wurde bewusst weggelassen, da Hitler für Wien wenig Sympathie hatte. Zu Linz hatte er bis zu seinem Tod eine sentimentale Beziehung, die von seiner Schulzeit und Jugend in Leonding und Linz bis 1908 positiv geprägt war.
In den megalomanen Plänen wurde auch der "Alterssitz" des Führers berücksichtigt, der möglicherweise im Linzer Schloss (das Kaiser Rudolf II. erbauen ließ) geplant gewesen war.
Folgende Planungen waren für Linz ab dem Frühjahr 1938, als die Stadt zur Hauptstadt des "Gaus Oberdonau" wurde, vorgesehen: Die Stadt wurde der wichtigste Standort der Schwerindustrie, nachdem sehr schnell das Stahlwerk, die "Hermann-Göring-Werke", gegründet und bis zum Jahr 1939 errichtet wurde. Generell bestand die Idee, Linz zu einer Großstadt mit 350.000 bis 420.000 Einwohnern zu entwickeln.

Dazu ist zu bemerken, dass im Jahr 1938 die Stadt etwa 112.000 Einwohner hatte, ihre Fläche seit 1919 ca. 40 Quadratkilometer betrug. 1938/39 wurde die Gesamtfläche der Stadt auf 96 Quadratkilometer erweitert, was dazu führte, dass die Gesamtfläche der Stadt Linz bis heute extrem groß ist, verglichen mit der Dichte der Bebauung und der heutigen Zahl der Wohnungen.
Zum Vergleich: Das Bundesland Wien, das mehr Flächen umfasst als nur städtische verbaute Gebiete, hat eine Ausdehnung von 400 Quadratkilometern. Anhand dieser Vergleiche lässt sich vorstellen, welche enorme Größe Linz nach Hitlers Plänen um 1950 hätte erreichen müssen.
Zu Kriegsende im Mai 1945 hatte sich die Bevölkerungszahl auf rund 195.000 entwickelt, damit seit 1938 fast verdoppelt. Wer waren diese neuen Bewohner? Es waren Flüchtlinge aus den deutschsprachigen Gebieten in Mittel- und Osteuropa, Zwangsarbeiter aus vielen Nationen, die in unzähligen Barackenlagern im Stadtgebiet lebten. Das KZ Mauthausen hatte im Bereich des Linzer Stadtgebiets drei Nebenlager eingerichtet (Linz I, II, III).
Barock und Baracke
Mit Kriegsende wurde der Sozialist Ernst Koref von der US-Verwaltung als Bürgermeister bestimmt, ein Amt, das Koref bis 1962 betreute. Vom ihm stammt der denkwürdige Satz, Linz sei durch die NS-Zeit "von einer Barockstadt zu einer Barackenstadt" geworden.
In der Nachkriegszeit wurde das Wohnbauprogramm der NS-Planungen weitergeführt, sofern es sich um die Behebung von Schäden handelte, oder um die Fertigstellung von Siedlungen, die durch die Kriegswirren nicht abgeschlossen waren. Das hatte vor allem pragmatische Gründe, weniger ideologische, es ging nicht darum, insgeheim an NS-Ideen weiterzubauen. Ab den 1950er Jahren entstanden andere Bauformen im Siedlungsbau, die sich wiederum in den 1960er Jahren, mit dem sich entwickelnden Wirtschaftswunder, veränderten. Die großen Stadtteile, die in der NS-Zeit zum Teil erst urbanisiert worden waren, wurden mit städtebaulichen Konzepten und Bauwerken unterschiedlicher Qualität ausgebaut und verdichtet.
Die Stadt Linz, die zurzeit etwa 190.000 Einwohner zählt, verfügt weiterhin über ca. 11.000 Wohnungen aus der NS-Zeit, in denen ca. 24.000 Bewohner leben. Im Ausstellungskatalog "Hitlerbauten in Linz" wird formuliert, dass jeder achte Linzer (oder jede achte Linzerin) in diesen Wohnbauten leben. Auffallend ist auch, dass die Wohnqualität bis heute als sehr hoch empfunden wird.
Die Kuratorinnen der Ausstellung, die Zeithistorikerin Sylvia Necker aus Hamburg und die Linzer Künstlerin Elisabeth Kramer verfolgen unterschiedliche Betrachtungsweisen. Der Katalog enthält Beiträge mehrerer Autorinnen, eines deutschen Autors über die norddeutsche Stadt Salzgitter, umfangreiche historische Abbildungen und Materialien sowie aktuelle dokumentarische Fotografien aus vielen Siedlungen von Petra Moser und Gregor Graf. Diese zurückhaltenden, genauen Fotos vermitteln einen präzisen Einblick in den gegenwärtigen Zustand dieser Wohnbauten. Der Großteil der Bauten ist in sehr gutem Zustand, wurde über die Jahrzehnte immer wieder saniert, wobei das größte Problem zur Zeit die Sanierung mit Wärmedämmplatten darstellt. Dadaurch verändern sich die Proportionen der Fassaden und die Wirkung der unterschiedlichen Materialien und Baudetails.
Die aktuelle Forschung
Je genauer man das Buch liest, das gelungene Layout, die Genauigkeit der Beschriftungen betrachtet, desto mehr Zweifel erweckt die Auswahl der Texte. Die einzigen beiden Autorinnen, deren Beiträge auf genauer Kenntnis des Themas beruhen, sind Linzer Wissenschafterinnen: "Linzer Stadtgeschichte(n) vor und nach der Wendemarke von 1938" der Historikerin Brigitte Kirchmayr ist eine gelungene Einführung in das zeitlich so belastete Thema. Die Kunsthistorikerin Ulrike Knall-Brskovsky (Vertreterin des Bundes-Denkmalamts) schreibt als einzige über Probleme der Architektur, des Denkmalschutzes, des Städtebaus mit genauen Gedanken. Sie erwähnt, wiederum als Einzige, dass Linz in den NS-Planungen eine Verdopplung seiner Einwohner hätte erfahren sollen, und dass dieses Programm die Grundlage für die enorme Größe des Stadtgebiets bildete. Sie verwendet den Begriff der "Trabantenstädte" für so große neugebaute Stadtteile wie Spallerhof, Bindermichl und Neue Heimat, und beschreibt, dass diese recht unterschiedlichen Viertel eigentlich wie eigene Kleinstädte "wirken".
Sylvia Necker, Kuratorin und Historikerin, betritt in ihrem Beitrag, der monumentale NS-Planungen für Hamburg mit denen von Linz zu vergleichen versucht, ein unsicheres Terrain. Ich vertrete die Ansicht, dass sich Städte jeweils nur mit anderen ähnlicher Größe (Einwohnerzahl) vergleichen lassen. Eine Stadt wie Hamburg, größer als 1 Million Einwohner, hat andere Bedingungen als eine Mittelstadt wie Linz, trotz ihrer Ausdehnung und häufigen grünen Leere. Außerdem begeht Frau Necker eine Ungenauigkeit, die sich am Thema der "Hitlerbauten" schon klären sollte: Es geht bei dieser Ausstellung um den Wohn- und Siedlungsbau der NS-Zeit in Linz, und nicht um den äußerst sterilen Architektur-Pomp des Architekten Hermann Giesler (1898-1987), der mit seinem extremen Klassizismus auf Hitlers Megalomanie antwortete.
Übrigens wurde 2008/09 dieses Thema der geplanten Donauverbauung von Linz in der Ausstellung "Linz, Patenstadt des Führers" im Linzer Schlossmuseum ausführlich dargestellt. Dieses Thema nach drei Jahren zu wiederholen ist unnötig. Wenn ein Vergleich von Hamburg mit einer österreichischen Stadt sinnstiftend sein könnte, dann müsste das Wien sein, und zwar aus einem triftigen Grund: Angeblich wurde nur in drei Metropolen des NS-Reichs ein System von gewaltigen "Flak-Türmen" an strategischen Punkten der Städte errichtet: Berlin, Hamburg und Wien. Planender Architekt der Wiener Monstren war Friedrich Tamms, der auch die Linzer "Nibelungenbrücke" entwarf.
Ein guter Beitrag von Lioba Schmitt-Inkamp (TU München) beschreibt das Verhältnis des "Reichbaurats" Roderich Fick zu Linz. Das Büro dieses Münchner Professors hat vermutlich die Gartenstadt-Anlage "Keferfeld" geplant. Bei dieser Siedlung ist eine merkwürdige Entwicklung im Lauf der letzten siebzig Jahre zu beobachten. Ursprünglich wurde das Keferfeld als sehr einfache Siedlung für die bäuerliche Bevölkerung der schon 1938 zerstörten Dörfer St. Peter und Zizlau als Ersatz errichtet. Die Dörfer mussten der Schwerindustrie Platz machen. Die Häuser am Keferfeld waren kleine Einfamilienhäuser (etwa 40 Quadratmeter im Erdgeschoß), aber mit großen Gärten, die der Selbstversorgung dienen sollten. Also eine Form von Subsistenzwirtschaft.
Linz und Salzgitter
Im Verlauf der letzten Jahrzehnte hat sich das Keferfeld von einem ursprünglich sehr einfachen Siedlungskonzept zu einem Viertel entwickelt, das immer noch den Gartenstadt-Charakter aufweist, mittlerweile aber ein begehrtes Wohngebiet im Linzer Westen ist.
Ein Beitrag lässt den Leser mit leeren Gedanken allein: Lars Amenda, Historiker in Osnabrück, beschreibt die Auswirkungen der NS-Planungen in der Region der Stadt Salzgitter in Niedersachsen Das wäre eventuell die Stadt gewesen, die aufgrund ihrer Größe mit der Entwicklung von Linz vergleichbar wäre. Aber dieser Beitrag enthält keine einzige "lesbare" Abbildung, die ähnliche Bauformen zeigen würde. Das wäre sehr interessant, denn einige der deutschen Planungsbüros wirkten in Linz und in Salzgitter.
",Hitlerbauten’ in Linz. Wohnsiedlungen zwischen Alltag und Geschichte. 1938 bis zur Gegenwart." Die Ausstellung im NORDICO Stadtmuseen Linz Dametzstraße 23, ist noch bis 20. Jänner 2013 zu sehen. Der Katalog ist im Verlag Anton Pustet, Salzburg erschienen.
Bernhard Widder, geboren 1955 in Linz, lebt in Wien und arbeitet als Lyriker, Essayist, Übersetzer, Architekt und Architekturkritiker.