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Sieg der Atomlobby

Von WZ-Korrespondentin Sonja Blaschke

Politik

Japans Regierungschef Shinzo Abe präsentierte seinen neuen Energieplan.


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Tokio. Es klingt nach einer Aktion David gegen Goliath: Die nordjapanische Provinzstadt Hakodate in Hokkaido will es mit der Zentralregierung und dem Energiekonzern J-Power aufnehmen und den Bau des nahegelegenen Atomkraftwerks Oma stoppen. Seit der Atomkatastrophe von Fukushima wurden die Arbeiten unterbrochen. Bürgermeister Toshiki Kudo sagte, er verstehe nicht, dass sich seine Stadt, 23 Kilometer vom AKW entfernt, zwar für den nuklearen Notfall vorbereiten müsse, doch nicht beim Entscheid über den Bau involviert wurde. In Anspielung auf das Desaster vor drei Jahren sagte Kudo: "Die Lektionen, die der Unfall erteilte, wurden ignoriert."

Eben jene Regierung, über die sich die Stadt Hakodate so ärgert, verkündete am Freitag in Tokio, an der Atomenergie im Rahmen ihres neuen Energieplans festzuhalten. Damit rückt sie endgültig vom bis Ende der 2030er geplanten Ausstieg ab, den die von den Demokraten geführte Vorgängerregierung angekündigt hatte. Stattdessen soll die Atomenergie als "Grundlast-Energie" ein wichtiger Bestandteil des Energiemixes bleiben. Es ist ein Sieg für die Stromkonzerne und die alte Machtelite, das japanische "Atomdorf" - und eine Ohrfeige für die Japaner. Denn die überwiegende Mehrheit will den Ausstieg.

Energiemix

Seit der Rückkehr von Premierminister Shinzo Abe von der Liberaldemokratischen Partei (LDP) an die Regierung Ende 2012 kündigte sich an, dass Japan wieder in die Atomenergie einsteigen würde. Schließlich war es die LDP, die sie überhaupt erst - unterstützt von den USA - ins Land gebracht hatte. Abe nannte sich einmal den "Verkäufer Nummer eins" japanischer Atomtechnologie im Ausland und schloss Kooperationsvereinbarungen mit der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten ab.

Vor dem Beschluss des neuen Energieplans musste Abe den Koalitionspartner, die buddhistisch geprägte New Komeito-Partei, sowie einige der eigenen Parteimitglieder überzeugen, die die Atomenergie ablehnen. Sie schafften es, einige Ziele zu erneuerbaren Energien einzubringen. Doch am Ende setzten sich Abe, Industrieminister Toshimitsu Motegi und die alten Seilschaften durch. Der neue Grundlagenplan soll Japans Energieunabhängigkeit sichern.

Mit Details über die Anteile der jeweiligen Stromquelle am Energiemix hielten sie sich noch zurück, wohl um die Bevölkerung, die laut einer Umfrage der atomkraftfeindlichen Zeitung "Asahi Shimbun" die Atomkraft zu 80 Prozent ablehnt, nicht über die Maßen zu verprellen. Die japanischen Bürger tragen bereits jetzt mit höheren Stromrechnungen einen Teil der Kosten der Katastrophe. Der Betreiber des havarierten AKW, Tokyo Electric Power (Tepco), war später quasi verstaatlicht worden und erhielt enorme Finanzspritzen vom Staat.

Teuere Importe

Bis zur Katastrophe in Fukushima am 11. März 2011 stillte Japan 30 Prozent seines Energiebedarfs mit Atomstrom. Doch inzwischen deckt die Inselnation ihn zu rund 90 Prozent mit fossilen Energieträgern, vor allem Kohle und Gas. Denn seit September 2013 ist Japan schon zum zweiten Mal de facto atomstromfrei. Alle verbliebenen 48 kommerziellen Reaktoren sind wegen Sicherheitsbedenken vom Netz. Sie müssen aufgerüstet werden, um den neuen Sicherheitsbestimmungen der Regulierungsbehörde zu entsprechen, laut Regierungspropaganda "den strengsten der Welt".

Der neue Energieplan ebnet den Weg für ein Wiederanfahren der Reaktoren. Der Staat hofft, dadurch die Handelsbilanz zu entlasten, auf die sich die hohen Energieimporte negativ auswirken. Es ist ein Argument für die Rückkehr zur Atomkraft, aber nicht das wichtigste. Am Ende gaben die Interessen der mächtigen Atomlobby den Ausschlag.

Der Gouverneur der am stärksten betroffenen Präfektur Fukushima, Yuhei Sato, sagte in Reaktion auf den neuen Energieplan, er habe Angst, dass die Menschen bereits dabei seien zu vergessen, wie schwerwiegend der Unfall damals war. Noch immer tritt Radioaktivität aus, wird radioaktiv verstrahltes Wasser mit dem durch die Anlage fließenden Grundwasser in den Pazifik gespült.

Rentner versus Jugend

In den kommenden Tagen und Wochen dürften sich wieder mehr Japaner zu den Freitagsdemonstrationen um den Sitz des Premierministers einfinden, um gegen die Atomkraft zu demonstrieren, wie sie es seit bald zwei Jahren tun. Ob sie viel ausrichten können, ist die Frage: Denn bei den letzten drei großen Wahlen in Japan seit der Katastrophe entschieden sich Japans Rentner, die den größten Anteil der Wähler stellten, für Kontinuität und wählen wie immer schon die LDP. Wider Erwarten spielte die Einstellung zur Atomkraft keine Rolle. Junge Japaner fühlen sich von ihren Politikern weder gehört noch verstanden und geben ihre Stimme erst gar nicht ab.