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"Sieg für die Pressefreiheit"

Von Ina Weber

Wirtschaft

Alle ORF-Bänder laut OGH geschützt. | Medien als "Watchdog". | Wien. Ein lautes "Morgen!" unterbrach am Donnerstagvormittag die öffentliche Verhandlung im Wiener Justizpalast. Philipp R. und Kevin M., die Protagonisten der "Am Schauplatz"-Reportage zur rechten Szene in Österreich standen plötzlich in der Tür. "Sie sind zu spät", ärgerte sich Senatsvorsitzender Eckart Ratz und sprach den beiden Skinheads gegenüber mehrmals eine Warnung aus, sich ordentlich zu verhalten. | Kommentar: Innere und äußere Presse-Freiheit


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Und Ratz sorgte auch an jenem Morgen mit seinem nach 45 Minuten gefällten Urteilsspruch eines Fünf-Richter-Senats für Klarheit: Alle Mitteilungen, die an einen Journalisten oder an ein Medienunternehmen herangetragen werden, sind geschützt. "Es gibt keine Abwägung." Der ORF brauche die von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt geforderten Bänder nicht herauszugeben.

Der OGH hob damit das vorangegangene Urteil des Oberlandesgerichts Wien (OLG) auf, welches der Forderung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, sämtliche Bänder der vom ORF gedrehten Skinhead-Reportage herauszugeben, stattgegeben hatte. Zum Hintergrund: Die FPÖ warf dem zuständigen ORF-Redakteur Ed Moschitz vor, die beiden Skinheads bei einer FPÖ-Veranstaltung zur Wiederbetätigung aufgefordert zu haben. Das Wiederbetätigungsverfahren gegen die drei Beschuldigten läuft laut Staatsanwaltschaft trotz des nun gefällten OGH-Urteils weiter. "Die Ermittlungen werden dadurch nicht einfacher", sagte Staatsanwalt Johann Fuchs nach der Urteilsverkündung. Als nächste Schritte seien die ersten gerichtlichen Befragungen der Verdächtigen geplant. Ebenfalls noch ausständig sei die Einvernahme von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, dem aufgrund einer Anzeige von "Am Schauplatz"-Chef Christian Schüller falsche Zeugenaussage und Verleumdung vorgeworfen wird.

Warum der OGH nun eine dem OLG gegensätzliche Entscheidung getroffen hat, begründet Ratz damit, dass "alle Instanzen bisher eines übersehen" haben: Das Redaktionsgeheimnis könne nur aufgrund eines "dringenden Tatverdachts" umgangen werden. Es sei jedoch höchst unwahrscheinlich, dass ORF-Redakteur Moschitz Nazi-Propaganda machen wollte, so Ratz. Der Beschluss des OLG wurde daher "auf Luft" gebaut.

Für ORF-Anwalt Gottfried Korn ist der OGH-Beschluss richtungsweisend: "Ein klarer Sieg der Pressefreiheit", sagte er nach der Verhandlung. Der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt rät er, das Verfahren gegen Moschitz einzustellen.

Für ORF-Chef Alexander Wrabetz hat der Spruch des Höchstgerichtes eine Bedeutung, die weit über den Anlassfall hinausgehe. Er habe unmissverständlich klargestellt, dass das Redaktionsgeheimnis ein wesentliches Element funktionierender Demokratie ist. Erfreut reagierte auch Medienstaatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ): "Die Bedeutung des Redaktionsgeheimnisses in Österreich wurde endgültig klargestellt und die Rolle der Medien als ,Public Watchdog gestärkt". FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky sprach hingegen von einem "Justizskandal".

Chronologie "Am Schauplatz"-Reportage12. März: FPÖ-Chef Strache wirft ORF-Redakteur Moschitz bei einer Veranstaltung vor, zwei Skinheads zu Nazi-Sagern angestiftet zu haben.

13. März: Die Polizei beschlagnahmt die Original-Kassette.

18. März: Der ORF veröffentlicht die betroffene Passage im Internet. "Sieg Heil", "Heil Hitler" ist nicht zu vernehmen.

19. März: FPÖ-Chef Strache vermutet ein manipuliertes Band.

25. März: Die Staatsanwaltschaft fordert weiteres Material.

8. April: Der ORF weigert sich.

19. September: Ein gerichtliches Gutachten kann keine Manipulation feststellen.

22. September: Eine Entscheidung des OLG gibt der Anklagebehörde Wr. Neustadt recht.

11. November: Die Generalprokuratur bringt eine Nichtigkeitsbeschwerde wegen Befangenheit einer OLG-Richterin ein.

16. Dezember: Der OGH hebt den OLG-Beschluss auf. Der ORF wurde in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.