Ungarn zieht seine Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 zurück - auf Druck einer Bürgerbewegung.
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Budapest. Selten ist eine Nachricht so gut und so schlecht zugleich: Ungarn zieht seine Bewerbung für die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2024 zurück, auf Druck einer Bürgerbewegung. Das ist gut für Ungarns Staatsfinanzen, aber schlecht für Ministerpräsident Viktor Orbán, der nun auf ein Prestigeprojekt verzichtet, das gut zu einem Image als Sportförderer gepasst hätte.
Ist das aber gut für den Verein Momentum, der diesen Plan mit einer sehr erfolgreichen Unterschriftensammlung für ein Referendum gegen Olympia gestoppt hat? Momentum wurde erst 2016 von jungen Budapester Akademikern gegründet und wollte sich über die Anti-Olympia-Bewegung als neue politische Kraft profilieren - mit großen Ambitionen: die Ablösung der rechtsnationalen Regierung bei der nächsten Parlamentswahl 2018. Nun hat aber Orbán seinen neuen potenziellen Herausforderern durch die Absage der Olympia-Bewerbung erst einmal den Wind aus den Segeln genommen. Mit einem ähnlichen Rückzieher hatte Orbán vor Jahren schon eine Massen-Protestbewegung gegen die Internetsteuer zum Erliegen gebracht.
Referendum fällt ins Wasser
Die Strategie von Momentum war es, sich anfangs nicht thematisch zu verzetteln, sondern sich zunächst einmal auf ein einziges, griffiges Projekt zu konzentrieren: Reden über Sinn und Unsinn von Olympia - doch das Referendum wird nun wohl nicht mehr stattfinden. Entsprechend trotzig klang am Donnerstag die Reaktion von Momentum auf das Nein zu Olympia: "Viktor Orbán und die ungarische Regierung sind vor dem Willen von 266.000 oder noch mehr Menschen feige davongelaufen." Der Vorsitzende András Fekete-Györ fügte hinzu: "Ein Auge freut sich, das andere weint." Rund 266.000 Unterschriften gegen Olympia hatten seine Aktivsten binnen weniger Wochen in Budapest gesammelt. Es waren doppelt so viele, wie für die Organisation einer Volksbefragung nötig gewesen wären.
Es droht ein Richtungsstreit
Nur 145 Mitglieder hat Momentum derzeit. Bis März herrscht Aufnahmestopp. Das ideologische Profil dieser Gruppe, die noch heuer eine politische Partei werden will, ist vage und nimmt vorerst fast nur in ihrem Vorsitzenden Gestalt an, dem 28-jährigen Fekete-Györ: Er hat Jus studiert, seine Eltern wählen Orbáns Partei Fidesz. Noch 2010 hat Fekete-Györ selbst für Fidesz gestimmt. Er war begeistert von der Propaganda dieser Partei nach der berüchtigten Lügen-Rede des damaligen sozialistischen Premier Ferenc Gyurcsány von 2006. Dieser hatte parteiintern eingeräumt, die Wähler belogen zu haben. Seine Rede sickerte durch und löste zum Teil gewaltsame Straßenproteste aus, von denen Orbáns Fidesz und die damals neue radikal rechte Partei Jobbik politisch profitierten.
Von Fidesz war Fekete-Györ nach 2010 aber schnell enttäuscht, weil Orbán sich anschickte, über eine neue Verfassung den Rechtsstaat auszuhöhlen. Aber auch die schwächelnde und teils kompromittierte links-liberale Opposition gegen Orbán konnte ihn nicht begeistern. Nach verschiedenen Praktika bei der EU-Kommission und im deutschen Bundestag - unter anderem im Büro des stellvertretenden CDU-CSU-Fraktionsvorsitzenden Hans-Peter Friedrich - entschloss sich Fekete-Györ zusammen mit Freunden, selbst etwas zur Erneuerung der Politik zu tun. Man traf sich zu Diskussionsrunden - oft auch im Budapester Bíbó-Studentenheim, das berühmt ist, weil Viktor Orbán dort als Jus-Student führendes Mitglied der oppositionellen Debattierzirkel der Vorwende-Zeit war. Vergleiche mit Orbán hört Fekete-Györ aber gar nicht gern. Orbán habe "den Systemwechsel verraten. Seine Politik ist zum Selbstzweck und zur Heuchelei geworden", sagte er dem Internetportal "index.hu".
Wofür steht also Momentum? Die Mitglieder kämen sowohl aus den Kreisen des Fidesz als auch der linken Parteien und sogar aus den Reihen der Jobbik. Ideologien seien ohnehin nicht wichtig, denn "ihre Zeit ist abgelaufen", sagt der Momentum-Chef der Zeitschrift "Magyar Narancs". Er hält Orbáns restriktive Flüchtlingspolitik für inhaltlich richtig, verurteilt aber die damit verbundene Hetzkampagne gegen Fremde. Zugleich bewundert Fekete-Györ Orbáns Gegenspielerin in Flüchtlingsfragen, Angela Merkel.
Momentum dürften noch viele Richtungsstreitigkeiten bevorstehen. Bisher hat man sich intern vor allem um Technisches gekümmert: Es gab intensive Generalproben, bei denen es darum ging, wer das meiste Talent für öffentliche Auftritte hat. Diesen Wettbewerb hat Fekete-Györ gewonnen - und vorerst einen Teilsieg gegen Orbán errungen.