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Siegespose nach Fiasko

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Das Flüchtlingsreferendum ist ungültig, Ungarns Premier spricht trotzdem von einem "großartigen Ergebnis".


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Budapest. Was ändert sich ab morgen in Ungarn, nach dem für Viktor Orbán gescheiterten Flüchtlingsreferendum? "Das Wetter schlägt um. Es wird schlecht." Derjenige, der diesen Satz mit typischem ironischen Understatement sagt, ist Gerö Kovács, Chef der Satire-Partei Zweischwänziger Hund. Er könnte ruhig viel stolzer sein, als er es in dem Facebook-Video inmitten weniger feiernder Freunde zeigt. Denn ihm ist in hohem Maße das überraschendste Ergebnis dieses Urnengangs zu verdanken: Mehr als 200.000 Ungarn - also etwa sechs Prozent - gingen einzig und allein zur Abstimmung, um die Stimmzettel mit zwei Kreuzen ungültig zu machen - und damit klarzumachen, dass sie Orbáns Volksabstimmung nicht etwa aus Faulheit oder allgemeinem Desinteresse boykottieren, sondern weil sie diese absurd, gegenstandslos und überflüssig finden.

Nach Auszählung fast aller Wahlzettel errechnete das zentrale Wahlbüro 3,3 Millionen - also 40,03 Prozent - gültige Stimmen. Für die Gültigkeit des Referendums wären 50 Prozent notwendig gewesen. 3,2 Millionen (98,32 Prozent) stimmten mit Nein, gut 55.000 mit Ja (1,68 Prozent). 223.193 Stimmzettel (6,3 Prozent) waren ungültig, weil die Bürger sowohl Ja als auch Nein angekreuzt hatten.

Ironie tut weh und wirkt motivierend

Fast alle anderen links-liberalen Oppositionsparteien hatten dazu aufgerufen, nicht zur Wahl zu gehen. Einzig die Menschenrechtsorganisationen und Kovács’ Satirikertruppe hatte für das demonstrative Doppel-Kreuz plädiert. Landauf, landab hatten die Zweischwänzigen Hunde in Straßenplakaten, kleinen Aufklebern auf Pfählen und Mistkisten sowie im Internet die Regierungskampagne persifliert - mit bescheidenen Finanzmitteln. Sie waren weder aggressiv noch überwältigend präsent wie etwa die Propagandamaschinerie der Regierung.

Ihr Fall zeigt: Ironie tut weh und wirkt motivierend. Weniger überraschend, aber doch bestürzend wirkte Orbáns Siegerpose nach dem Fiasko. "Wir haben ein großartiges Ergebnis erzielt", sagte er nach Bekanntgabe der Ergebnisse am Sonntagabend in Budapest. Mehr noch, die mehr als 90-prozentigen Ja-Stimmen seien für ihn eine "Waffe", die "auch in Brüssel ziemlich scharf sein" werde. Dass die Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung gescheitert ist, erwähnte er mit keinem Wort. Stattdessen lieferte er einen abenteuerlichen rhetorischen Cocktail von Aggression und Verdrehung der Realitäten. "Wir haben das Brüsseler Quotensystem angegriffen", tönte er am Montag im Parlament. "Der Angriff kann unangenehme Folgen haben: Die Europäische Kommission erpresst und attackiert."

Brüssel wiederum reagierte kühl und sachlich. Die Abstimmung, bei der die nötige Wahlbeteiligung nicht erreicht wurde, sei rechtlich ungültig, erklärte ein Sprecher der EU-Kommission. "Wir respektieren den demokratischen Willen des ungarischen Volkes - sowohl jener, die abgestimmt haben, als auch jener, die das nicht getan haben." Auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn gab sich vergleichsweise zahm: "Das ist kein guter Tag für Herrn Orbán und kein so schlechter Tag für Ungarn und die EU", sagte er.

Wenige Wochen zuvor hatte Asselborn noch den Ausschluss Ungarns aus der EU verlangt, wegen Orbáns Politik. Kritiker hatten Asselborn damals vorgeworfen, mit derart unrealisierbaren Plänen unfreiwillig Sympathien für Orbán zu wecken. Dieser hätte sich längst souverän zurücklehnen können, zufrieden damit, dass er der Vorreiter einer nun restriktiveren Flüchtlingspolitik in Europa war. Die EU-Kommission ist gerade dabei, den Quoten-Plan aufzugeben. Auch andere EU-Länder bauen Zäune gegen Flüchtlinge. Einzige Anspielung auf den für ihn unrühmlichen Ausgang des Referendums war der relativierende Satz: "Das Ziel war, reinen Wein einzuschenken."

Er tat so, als ob er und sein Apparat nicht eine Woche vorher das Referendum als "wichtiger als die Parlamentswahl" bezeichnet und gerade die Teilnahme zur nationalen Überlebensfrage hochstilisiert hätte. Dabei hat Orbán in dreifacher Hinsicht auf das falsche Pferd gesetzt: Seine eigene Partei hatte 2012 die Referendumsregeln verschärft. Bis dahin war eine Beteiligung von nur 25 Prozent für die Gültigkeit notwendig, jetzt sind es 50 Prozent. Zweitens hat er darauf vertraut, dass es ihm nütze, das Flüchtlingsthema propagandistisch warm zu halten und damit von brennenden sozialen Problemen abzulenken - möglichst bis zur Parlamentswahl 2018.

Nun hat sich erwiesen, dass die Ungarn dieses Themas überdrüssig sind. Noch dazu waren sie für die überheizte Kampagne - Orbáns dritter Fehler - weniger empfänglich als gedacht. Vielen ging auf die Nerven, dass sogar die Olympia-Übertragungen im regierungstreuen Staatsfernsehen in diesem Sommer im Halbstundentakt von Hetz-Spots gegen Flüchtlinge unterbrochen wurden. Hierzu konstatierte bündig sogar der sonst politisch zurückhaltende Bischof und Benediktiner-Abt des altehrwürdigen Klosters Pannonhalma, Asztrik Várszegi, kurz vor dem Referendum: "Der Mensch neigt zum Trotz: Jetzt erst recht nicht", sagte er dem Portal index.hu über Orbáns Kampagne.

Kurz stärktOrbán den Rücken

Politologen sahen das ähnlich. Bemerkenswerteste ausländische Fanfare in Orbáns Triumphorchester war Österreichs Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Er mokierte sich in der ARD-Sendung "Anne Will" darüber, dass nun "ganz Europa" darüber diskutiere, wie viele Menschen sich an dem ungarischen Referendum beteiligt hätten, anstatt zu fragen, "wie viel Prozent eigentlich für was gestimmt haben". Die niedrige Beteiligung sei undramatisch, zumal sich an der letzten Wahl zum Europaparlament nur 29 Prozent der ungarischen Stimmbürger beteiligt hätten. Zudem hätten jetzt mehr Ungarn gegen die EU-Flüchtlingsquoten gestimmt als im Jahr 2003 für einen EU-Beitritt ihres Landes. Überhaupt solle man "nicht den Fehler machen, es so zu interpretieren, dass man sagt, die Ungarn wollen mehr Migranten aufnehmen".

Der FPÖ-Generalsekretär und Europaabgeordnete Harald Vilimsky sekundierte erwartungsgemäß: "Auch wenn das Referendum formal nicht gültig ist, so haben die Ungarn doch beeindruckend klar gegen die Zwangsverteilungspolitik von Zuwanderern in der EU votiert", schrieb Vilimsky in einer Aussendung. In Kürze werde er auf Grundlage des "erfolgreichen" Referendums eine Verfassungsänderung beantragen, kündigte Orbán an.

Zu den Inhalten sagte er aber nichts. Man darf vermuten, dass er den totalen Aufnahmestopp für Flüchtlinge im Grundgesetz verankern will. Indes: Dafür hätte Orbán kein Referendum gebraucht, für dessen Kampagne er auch noch mehr als 30 Millionen Euro ausgegeben hat. Verfassungsänderungen sind in Ungarn mit Zweidrittelmehrheit des Parlaments möglich. Über diese Mehrheit verfügt Orbáns Parteienbund Fidesz-KDNP nicht, doch dürfte ihm der Beistand der rechtsextremen Oppositionspartei Jobbik sicher sein.

Zwar verlangt Jobbik jetzt wegen des Fiaskos beim Referendum Orbáns Rücktritt, würde aber wohl nicht so weit gehen, ihm die parlamentarische Unterstützung zu verweigern. Schließlich war Jobbik von Anfang an Motor der flüchtlingsfeindlichen Politik Orbáns und ein Konkurrent, den Fidesz am liebsten rechts überholen würde. Man darf gespannt sein, was Orbán von der reichen Liste rechtspopulistischer Themen für die Parlamentswahl 2018 mobilisieren wird. Die Flüchtlinge sind jedenfalls erst einmal vom Tisch.

Opposition ist hoffnungslos zerstritten

Spannend ist auch die Frage, ob die hoffnungslos zerstrittene linke Opposition von Orbáns Referendumsfiasko profitieren kann. Ob sie den Impuls nutzt, um endlich eine gemeinsame Front zu bilden. Die einst mächtige sozialistische MSZP liegt mit weniger als zehn Prozent in den Umfragen auf Platz drei und war in der Kampagne gegen das Referendum wenig aktiv. Sie will nun mit dem bisher eher verhassten Konkurrenten, dem Ex-Premier und Ex-MSZP-Vorsitzenden Ferenc Gyurcsány und dessen Partei Demokratische Koalition (DK) über eine Zusammenarbeit verhandeln.

Gyurcsany hat sehr aktiv gegen das Referendum gekämpft, ebenso wie drei weitere links-liberale Kleinstparteien, die allerdings mit MSZP und Gyurcsány geradezu verfeindet sind. Die Protestbewegungen der Lehrer und Krankenpfleger, die in den letzten Monaten die Bühne betreten hatten, versuchen hartnäckig, Nähe zu den Parteien zu vermeiden. Manchmal scheint es, als könne da nur noch eine Prise Humor Marke Zweischwänziger Hund als Kitt helfen.