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Siegestaumel auf dem Grünen Platz

Von Ronald Schönhuber

Politik

Rebellen wollen Tripolis bis Dienstag vollständig unter Kontrolle haben. | Panzer leisten vor Gaddafis Palast heftige Gegenwehr.


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Tripolis. Für Walid Ahmed war es das Ende einer langen Reise gewesen. Vor drei Monaten hatte er Tripolis verlassen, um sich den Rebellen in den westlich der libyischen Hauptstadt gelegenen Nafusa-Bergen anzuschließen. Nun ist er einer der hunderten Kämpfer, die auf einem mit Raketenwerfern bestückten Pickup in Richtung Grüner Platz fahren. Jenem symbolbeladenen Platz im Herzen von Tripolis, auf dem das Regime von Muammar Gaddafi bis vor kurzem noch Demonstrationen abhalten ließ, um die eigene Ungebrochenheit und Mobilisierungskraft unter Beweis zu stellen. "Nun bin ich zurück", sagt Walid Ahmed. "Und mit Gaddafi ist es zu Ende."

Dass es - nach 42 Jahren Gaddafi-Herrschaft und sechs Monaten Bürgerkrieg - nun tatsächlich zu Ende sein soll, will aber nicht nur Walid Ahmed glauben, auch viele seiner Landsleute sehen das Joch schon abgeschüttelt. Nachdem starke Rebellenverbände am Sonntag in Rahmen einer sorgfältig koordinierten Attacke bis nach Tripolis vorgedrungen waren, hatte es in den darauffolgenden Nachtstunden auf dem Grünen Platz erste ausgelassene Siegesfeiern gegeben. Überall auf dem Gelände, das künftig einmal "Platz der Märtyrer" heißen soll, wurde die dreifärbige Flagge der Aufständischen geschwenkt, Freudenschüsse hallten minutenlang durch die Stadt. In der Rebellenhochburg Bengasi gab es wie auch in anderen Städten ein riesiges Feuerwerk.

Am frühen Montagmorgen verkündeten die Aufständischen schließlich offiziell den Sieg über das Regime. "Wir gratulieren dem libyschen Volk zum Sturz von Muammar al-Gaddafi und rufen das Volk auf, auf die Straßen zu gehen und das öffentliche Eigentum zu beschützen. Lang lebe das freie Libyen", heißt es in der Erklärung des Nationalen Übergangsrates der Rebellen (NTC). Einen ähnlichen Text haben viele Libyer am Montagmorgen auch per SMS empfangen.

Gaddafi-Söhne verhaftet

Kurz zuvor waren mit Mohammed und dem stets als Nachfolger seines Vaters gehandelten Saif-al-Islam zwei Gaddafi-Söhne von den Rebellen verhaftet worden. Auch die Leibgarde des Diktators soll laut dem arabischen TV-Sender Al-Jazeera bereits am Morgen die Waffen niedergelegt haben. Gaddafi selbst hatte man zuletzt Mitte Juni in der Öffentlichkeit gesehen, und auch am Montag blieb er unauffindbar.

Diplomaten zufolge hielt sich der 69-Jährige, der schon mehrmals erklärt hatte, bis zum Tod kämpfen zu wollen, bis zum Schluss in seiner Residenz Bab-al-Asisiya in Tripolis auf. Von dort aus hatten Regierungstruppen zu Mittag auch einen Gegenschlag mit Panzern und MG-bestückten Pickups gestartet. Immer wieder war danach in der Gegend um den Palastkomplex schweres Gewehrfeuer zu hören gewesen. Auch im Hafengebiet und einigen anderen Vierteln von Tripolis leisteten Gaddafi-treue Truppen heftigen Widerstand. "Die Lage ist nicht stabil. Hier gibt es überall Gewehrfeuer", berichtete ein Rebellenvertreter namens Abdulrahman.

Erst in den späten Nachmittagstunden schien sich die Lage in der Innenstadt ein wenig zu beruhigen. Probleme bereiteten den Rebellen aber nach wie vor noch die auf Dächern und Balkonen postierten Scharfschützen. Die Truppen der Aufständischen mussten sich daher in manchen Straßenzügen mühsam von Häuserblock zu Häuserblock vorankämpfen. "Es gibt eine große Zahl von Märtyrern unter den Scharfschützen", sagte Abdulrahman. Ersten Erkenntnissen zufolge dürften die Kämpfe aber schon bisher einen hohen Blutzoll gefordert haben. Einem Regierungsvertreter zufolge hat es bis Montag auf beiden Seiten zumindest 376 Tote und mehr als tausend Verwundete geben.

Die Rebellen, die am Montag nach eigenen Angaben bereits vier Fünftel von Tripolis kontrollieren, rechnen aber damit, die verbleibenden Stadtteile bis Dienstag eingenommen zu haben. Am Montagabend war es ihnen bereits gelungen, das Gebäude des Staatsfernsehens zu erobern, und den Gaddafi-Clan damit seines wichtigsten Propagandakanals zu berauben.

Baldige Auslieferung?

Sobald sich die Lage beruhigt hat, wollen die Rebellen schon mit einer ersten Aufarbeitung der Gaddafi-Ära beginnen. Betroffen davon dürfte vor allem Saif-al-Islam sein, der ebenso wie sein Vater vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit per internationalem Haftbefehl gesucht wird. Bereits in der Nacht hatte der argentinische Chefankläger des Strafgerichtshofes, Luis Moreno-Ocampo, die Festnahme des 39-jährigen als "sehr wichtig" gewürdigt und auf eine rasche Auslieferung gedrängt.