Kursrekord nach drei Jahrzehnten. | Knappe Reserven pushen den Preis. | Industrie duelliert sich mit Investoren. | Der Goldpreis steigt und steigt - am Montag erstmals über 1300 Dollar für eine Feinunze. Dazu trugen nicht nur verunsicherte Anleger bei - auch Europas Zentralbanken suchen Sicherheit: In den vergangenen 12 Monaten warfen sie so wenig Gold auf den Markt wie seit 1999 nicht - nur 6,2 Tonnen (verglichen mit dem Rekord von 497 Tonnen 2004/2005).
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Eine noch spektakulärere Kursrally wird gern übersehen: Der Silberpreis kletterte auf 21,60 Dollar, den höchsten Kurs seit dreißig Jahren. Das Edelmetall, stets im Schatten des 60-mal so teuren Goldes, legte allein im September um fast 11 Prozent zu. Gold stieg nur um rund 4 Prozent.
Experten wie Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank, sind längst der Meinung, Silber werde dem Gold den Rang ablaufen. Die Rekordmarke von 50 Dollar im Jänner 1980 ist zwar in weiter Ferne, aber etliche Fakten sprechen für einen Silber-Boom. Die Sorge um die Konjunktur insbesondere in den USA, die Niedrigzinspolitik der Notenbanken und die Angst vor einer Geldentwertung sowie die weltweite Schuldenkrise lassen Anleger Höhenflüge erwarten. Wie Gold gilt Silber für alle, die ihr Vermögen schützen oder erhalten wollen, als sicherer Hafen in riskanten Zeiten.
Die Flucht in börsenotierte Rohstofffonds ist evident: Der weltweit größte Silberfonds, der Ishares Silver Trust, verzeichnete in den letzten Tagen gewaltige Zuwächse und verwaltet bereits ein Volumen von 9600 Tonnen. Auch an den Terminbörsen macht sich Euphorie breit. Silber, bislang weltweit an 4000 Fundorten nachgewiesen, hat den Vorteil, dass es - im Gegensatz zu Gold, das de facto nur als Währungsersatz dient - auch als wichtiges Industriemetall mit vielfältigen Einsatzbereichen stark nachgefragt wird.
Viele einschlägige Experten erwarten eine Knappheit: Seit dem Zweiten Weltkrieg wird mehr Silber verbraucht, als im Bergbau und durch Recycling gewonnen wird. Alles in allem gingen die oberirdischen Lagerbestände von 10 auf ungefähr 1,2 Milliarden Unzen zurück. Obendrein schätzt die amerikanische Statistik-Behörde US Geological Survey, die 8700 Mitarbeiter beschäftigt, dass die weltweiten Silber-Reserven Mitte der Zwanzigerjahre erschöpft sein werden.
Der Aufholbedarf ist laut Edelmetall-Profi Thorsten Schulte jedenfalls gewaltig: Während auf jeden Weltbürger fast 13.000 Dollar an Staats-, Unternehmens- und Bankanleihen oder 6800 Dollar an Aktien entfallen, beträgt der Pro-Kopf-Wert bei Silberlagern lediglich drei Dollar. Die jahrzehntelange Lethargie rund um das chemische Element Ag hat mit seiner Vergangenheit zu tun - vor allem mit einem weltweit bekannt gewordenen Spekulanten: Nelson Bunker Hunt.
Eine Mega-Spekulation machte Markt kaputt
Der Sohn eines texanischen Öl-Milliardärs war gemeinsam mit seinem Bruder William Herbert (und in der Folge auch mit saudiarabischen Scheichs) Anfang der Siebzigerjahre groß ins Silbergeschäft eingestiegen. US-Bürgern war damals der Besitz von Gold verboten.
Die beiden wollten den überschaubaren Markt unter Kontrolle bringen und die Preise manipulieren, was mit gezielt gestreuten Gerüchten über eine baldige Verknappung gelang: Eine Unze Silber stieg von 3,30 Dollar innerhalb einiger Jahre auf mehr als 50 Dollar. Die Hunts kauften, zunehmend mit Fremdkapital, tonnenweise Silber, das sie in gecharterten Fracht-Flugzeugen nach Zürich und London bringen ließen.
Und sie hatten es auf Terminkontrakte abgesehen. Alles in allem versilberten sie fünf Milliarden Dollar und horteten 15 Prozent der weltweiten Silbervorräte.
Doch Mitte Jänner 1980 wurden die Spielregeln an der New Yorker Commodities Exchange (Comex) schlagartig geändert, um die Spekulation einzudämmen. Damit war die Rally zu Ende: Der Silberpreis stürzte binnen kürzester Zeit auf 10,80 Dollar ab. Nelson und William Hunt konnten die Gewinne nicht rechtzeitig realisieren und sollen fast zwei Milliarden Dollar verloren haben. Gerüchte, dass sich Comex-Direktoren goldene Nasen verdient haben, konnten nie verifiziert werden. Das Trauma der Hunt-Brüder, die mit Prozessen und Schadenersatzforderungen überhäuft wurden und Anfang 1989 Privatkonkurs anmeldeten, brachte den Silbermarkt bei Finanzprofis und Privatanlegern nachhaltig in Verruf. Der Kollaps war Auftakt einer gut zwei Jahrzehnte dauernden Baisse mit fallenden oder stagnierenden Preisen. Der Tiefpunkt war 2001 erreicht, als Silber bei 4 Dollar pro Unze notierte und Rohstoffinvestoren belächelt wurden.
Erst seit 2004 ist dank des Wirtschaftsbooms in Asien wachsende Nachfrage zu verzeichnen. Die Rekordmarke von 21,38 Dollar Anfang 2008 sackte allerdings innerhalb weniger Monate auf 8,40 Dollar ab, um sich im Krisenjahr 2009 bei 14,67 Dollar einzupendeln.
Silber, das "Gold des kleinen Mannes", ist zwar als industrieller Rohstoff für die Fotoindustrie weniger gefragt als früher, dennoch stieg die Nachfrage an. Grund: Die Produktion von Münzen und Medaillen nahm ein Fünftel zu, die Schmuckindustrie stoppte ihren rückläufigen Trend, und das Edelmetall landete häufiger in Tresoren und Bankschließfächern.
Anleger entdecken die Silberminen-Aktien
Mehr als die Hälfte der Silbermenge landet normalerweise in den an niedrigen Preisen interessierten Industrien (siehe Kasten). Zwar wurde die Nachfrage im Vorjahr nur zu vier Fünftel von dem in den Minen geförderten Output gedeckt. Angebot und Nachfrage waren dennoch ausgeglichen: Dafür sorgt das (tendenziell aber rückläufige) Recycling von Altsilber. Ein winziger Teil kommt aus staatlichen Silberverkäufen, etwa Russlands.
2009 stieg die Silberproduktion um vier Prozent auf 710 Millionen Unzen, was 21.500 Tonnen entspricht. Nicht einmal ein Drittel kommt aus reinrassigen Silberminen, großteils aus Südamerika. Das Gros stammt von Bergbauunternehmen, für die Silber nur ein Beiprodukt ist: Etwa 34 Prozent fallen als Nebenprodukt der Zink- und Blei-Förderung an, Kupferminen stellen 23 Prozent, der Rest wird bei der Goldproduktion ans Tageslicht gefördert. Das Problem in der Rezession war die Finanzierung des teuren Abbaus - immerhin machen die Produktionskosten im Schnitt 5,23 Dollar je Unze aus: Viele Stollen mussten eingemottet werden, weil Geld zur Förderung fehlte und die Banken den Bergbaufirmen die kalte Schulter zeigten.
Das ändert sich nun. Der Schweizer Rohstoffexperte Andreas Lambrou, Portfolio-Manager bei Jud & Partner, prophezeit, dass der Silber-Kurs bald bei 50 bis 100 Dollar liegen könnte. Die letzten Quartalsergebnisse liefern den Nachweis, dass führende Silberproduzenten gut unterwegs sind.
Silberminenaktien geraten wieder ins Blickfeld der Anleger. Bestes Beispiel: Die Aktien des mexikanischen Silber-Spezialisten Fresnillo (Börsenwert rund 10 Milliarden Euro) schafften im Vorjahr 244 Prozent Plus. Fresnillo liegt nach dem australischen Allround-Bergbaukonzern BHP Billiton und der polnischen KGHM Polska Miedz an dritter Position der Weltrangliste (siehe Tabelle).
Die kanadische Silver Wheaton betreibt keine eigenen Minen, hat aber mit anderen langfristige Abnahmeverträge geschlossen. Noch spekulativer, dafür jedoch mit einem größeren Hebel versehen, sind Investments in Silber-Explorationsunternehmen wie Orko Silver oder Paramount Gold & Silver.
Wer solche indirekten Investments über Aktien oder die breite Fonds-Palette (etwa über "Exchange Traded Funds") als zu riskant oder zu kompliziert einschätzt, der könnte mit Silbermünzen oder -barren einsteigen. Beim Kauf fallen in Österreich allerdings (anders als bei Gold) 20 Prozent Mehrwertsteuer an.
Wissen
Silber ist nicht nur Material für Schmuck, Essbesteck und Barren oder Münzen. Das weißglänzende Edelmetall ist seit jeher auch ein unersetzbarer Industrierohstoff: Da es die höchste elektrische Leitfähigkeit aller Metalle, eine hohe Wärmeleitfähigkeit und eine ausgeprägte optische Reflexionskraft besitzt, ist es für Anwendungen in Elektrik, Elektronik und Optik prädestiniert - etwa bei TV-Geräten, Computern, Platinen oder Sicherungen. In jedem Handy sind 250 Milligramm Silber enthalten, in jedem Pkw ungefähr zwei Unzen. Obendrein wird es für Stahlkugellager, Silber-Oxid-Batterien, Lötmittel, silberbeschichtete Spiegel, die Solarenergie auf Kollektoren bündeln, oder für Fenster-Beschichtungen benötigt. Es wird überdies zur Kontrolle von Mikroben eingesetzt und ist wegen der antibakteriellen Wirkung aus der Medizin (etwa für Wundauflagen und Arzneimittel) nicht wegzudenken.