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Silberzigarre in Flammen

Von Michael Ossenkopp und Ulrich Zander

Wissen
Der Augenblick der Katastrophe: 200.000 Kubikmeter Wasserstoff gehen in Flammen auf.
© Foto: US Navy

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"Da kommt es, meine Damen und Herren, und was für ein Anblick ist das, ein aufregender, ein wunderbarer Anblick."

Mit ruhiger Stimme schildert Herbert Morrison das routinemäßige Anlegemanöver des größten Luftschiffes aller Zeiten, der LZ 129 "Hindenburg". "Die Seile sind ausgeworfen und die Männer am Boden haben sie aufgefangen. Die Heckmotoren des Schiffes halten es gerade in ausreichender Höhe, damit. . ." Plötzlich kippt die Stimme des Rundfunkreporters: "Es steht in Flammen, es steht in Flammen, es fällt, es stürzt ab. Achtung Leute, weg da, weg da. Es stürzt ab, furchtbar. Oh Gott, haut ab da, bitte. Es brennt, ist in Flammen aufgegangen, . . . und fällt auf den Ankermast . . . das ist furchtbar . . . eine der schlimmsten Katastrophen der Welt. Die Flammen schlagen 150 Meter in den Himmel, jetzt steht alles in Rauch und Flammen . . ."

"Herb" schluchzt, unterbricht immer wieder, ringt um Fassung. "Oh, die Menschheit und all die Passagiere", stammelt er, "die Passagiere. . ."

Obwohl Radiohörer die Reportage erst mit einem Tag Verzögerung zu hören bekamen, blieb sie der einzige Live-Augenzeugenbericht von der Jahrhundertkatas- trophe. Und sie dient bis heute dazu, die Wochenschau-Filmaufnahmen authentisch zu vertonen.

37 Sekunden Inferno

Das für undenkbar Gehaltene geschah am 6. Mai 1937, um 19.25 Uhr Ortszeit in Lakehurst nahe New York. Eine Explosion lässt Landungshelfer und Schaulustige erstarren. Der Bug des Luftschiffes richtet sich auf und innerhalb von 37 Sekunden ist der Zeppelin mit den Hakenkreuzen am Heck verbrannt, einzig das Aluminiumgerippe bleibt übrig. Das Bodenpersonal rennt um sein Leben; Sekunden zuvor hatten verzweifelte Passagiere noch versucht, aus der Gondel zu springen. "Ich dachte nur noch ,raus hier‘ und bin dann gesprungen. Vielleicht aus sechs oder acht Metern", erinnerte sich Albert Stöffler, einer der Bordköche.

Nicht alle hatten so viel Glück. Sie fielen in den Tod, weil sich das Schiff noch in zu großer Höhe befand. Wer den Sprung aber nicht wagte, lief Gefahr, im Inferno unterzugehen. Brennende Menschen taumeln aus der Flammenhölle, einige tragen nur noch ihre Schuhe. Die Schmerzensschreie der Verletzten hallen über das Flugfeld.

"Die ganze Luft war plötzlich ein Feuer", berichtete Werner Döhner, damals acht Jahre alt. Er überlebte mit schweren Verbrennungen. Seine Mutter hatte ihn und den Bruder kurzerhand aus dem Fenster geworfen. Mutter und Bruder überlebten, die Schwester und der Vater kamen um.

Das Unglück forderte 36 Menschenleben: 13 Passagiere, 22 Crewmitglieder und ein Arbeiter der Landemannschaft. Wie durch ein Wunder überlebten 23 Passagiere und 39 Mann Besatzung.

Die "Hindenburg" sollte ursprünglich "Deutschland" oder "Adolf Hitler" heißen. Der Diktator verbot den Namen, wohl um lästerliche Kommentare der Auslandspresse zu vermeiden, würde doch einmal etwas schief gehen. Denn trotz aller Sicherheitsvorkehrungen war ein Unfall des 247 Meter langen, 44 Meter hohen und 130 Tonnen "leichten" Giganten der Lüfte niemals ganz auszuschließen. Denn er war mit 200.000 Kubikmetern Wasserstoff gefüllt. Der ist brennbar und explosiv - die Crew bewegte sich daher auf Filzstiefeln über die Aluminiumstreben des Schiffes, um nur ja keine Funken auszulösen. Die Laufstege waren mit Gummi überzogen. Der Luftdruck im Fahrgastbereich war genügend hoch, um eindringenden Wasserstoff zu verdrängen. Vor jeder "Fahrt" wurden Streichhölzer und Feuerzeuge eingesammelt.

Die bessere Füllmasse für den Zeppelin wäre das nicht brennbare Helium. Doch das ist in den Dreißigerjahren fast ausschließlich im Besitz der USA. Da Wasserstoff billiger ist und auch auftriebsstärker, so dass mehr Passagiere untergebracht werden können, wählt man die profitabelste Lösung. Eine Entscheidung gegen die Sicherheit.

Schon beim Jungfernflug hatte das Luftschiff, benannt nach dem verstorbenen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, den Transatlantik-Weltrekord errungen. Die schnellste Fahrt von Lakehurst nach Frankfurt dauerte im August 1936 lediglich 43 Stunden. Angetrieben von vier je tausend PS starken Dieselmotoren, ging die Reise allein im Jahre 1936 zehnmal an die US-Ostküste und siebenmal nach Rio de Janeiro.

Deutschlands Stolz der Lüfte bot den Fahrgästen allen nur erdenklichen Luxus. Fünf Köche kümmerten sich um das leibliche Wohl, serviert wurden Menüs, die den Vergleich mit den besten Gourmettempeln nicht zu scheuen brauchten. Die kolossale "Fliegende Zigarre", beinahe so lang wie die Titanic, fuhr - für die Ohren der Passagiere nahezu lautlos - "auf Bodensicht", so dass man sich bei schönem Wetter am Anblick von Walen und Delfinfamilien erfreuen konnte. All das hatte seinen Preis. Die Überfahrt kostete rund 400 US-Dollar - und war für Otto Normalverbraucher unerschwinglich. Berühmtester Fluggast war Schwergewichtsboxer Max Schmeling, der nach seinem K.-o.-Sieg über den Amerikaner Joe Louis am 19. Juni 1936 in die Heimat zurückschwebte.

Aufziehendes Gewitter

Auf ihrer letzten Reise hat die LZ 129 zehn Stunden Verspätung. Gegenwind. Bereits über Manhattan erreicht den Kommandanten, Kapitänleutnant Max Pruss (der das Desaster mit schweren Verbrennungen überlebte), über Funk die Nachricht, dass über der Marinebasis Lakehurst, dem New Yorker Luftschiffankerplatz im benachbarten Bundesstaat New Jersey, ein Gewitter aufzieht. Blitze und Windböen sind besonders beim Landemanöver potenziell gefährlich für "leichte", mit Wasserstoff gefüllte Luftschiffe. Pruss verschiebt das Andockmanöver. Und zieht eineinhalb Stunden lang Kreise in der Luft. Dann kommt die Landegenehmigung: Gewitterwolken verzogen, Gefahr vorbei. Am Boden stehen unzählige Schaulustige und 100 kräftige Männer, bereit, die Hindenburg sicher zu vertäuen.

Sekunden später hat sich das Luftschiff in einen Haufen glühenden Schrott verwandelt. Durch die qualmende Trümmerlandschaft taumelt Ernst Lehmann. "Ich kann das nicht begreifen, ich kann das nicht begreifen", stammelt der Erste Offizier. Lehmann lebte noch zwei Tage. Nach der Ursache des Unglücks befragt, antwortete er kaum vernehmbar: "Blitz".

Die Meinungen über die Unfallursache gehen bis heute auseinander. Als Hauptschuldige galt tatsächlich die gewittrige Atmosphäre, Sachverständige beiderseits des Atlantik gingen von einer Entladung statischer Elektrizität - nach dem Gewitter - aus. Diese entzündete "irgendwie" den Wasserstoff und der den restlichen Diesel.

Die LZ 129 hatte möglicherweise mit einem Leck im Gastank zum Landeanflug angesetzt, so dass Wasserstoff in den Raum zwischen Zelle und Hülle gelangt sein könnte. Ein Funke hätte genügt . . .

Oder ließ die Crew Wasserstoff ab, um den Auftrieb zu verringern und leichter landen zu können? Glaubt man Hubert Kubis, stand das außerhalb jeder Diskussion. Der Chefsteward hatte einem ängstlichen Passagier versichert: "Wir Deutschen machen keinen Unsinn mit Wasserstoff." Männer vom Bodenpersonal wollen starken Funkenschlag aus einem der Motoren bemerkt, Besatzungsmitglieder im Inneren des Luftschiffs einen Schuss gehört haben.

Wilde Sabotage-Fantasien machten die Runde. So sollte das Schiff von US-Dunkelmännern mittels Strahlenkanone abgeschossen worden sein, um den USA nach dem dann vorauszusehenden Ende der "Starrluftschifffahrt" die Vorherrschaft im Personenflugverkehr zu sichern. Oder hatte ein Besatzungsmitglied die Hindenburg im Auftrag seiner Anti-Nazi-Geliebten mit einer Brandbombe zerstört?

Tatsächlich hatte der deutsche Botschafter in Washington Bombendrohungen gegen das fliegende Symbol des NS-Regimes erhalten. Und ein Hellseher hatte gar einem Bordoffizier den Tod im brennenden Luftschiff prophezeit.

Beschichtung schuld?

Weniger spirituell veranlagte Fachleute glaubten hingegen, die Aluminiumhülle könnte sich elektrostatisch aufgeladen haben. Und die regennassen Haltetaue seien0 zu Stromleitern mutiert. Dagegen spricht, dass die Seile bereits am Boden verankert waren, bevor das Feuer ausbrach. Eine abgewandelte Hypothese sieht die Unglücksursache im silberfarbenen Lack der Außenhülle. Der bestand aus Cellon, einem schwer brennbaren Gemisch aus Celluloseacetat und Campher, über dessen negative Eigenschaften wenig bekannt war.

Nach dem Unglück hatte der Physiker und Begründer der Hochfrequenztechnik, Max Dieckmann die Umweltbedingungen, wie sie am Unglücksabend über Lakehurst herrschten, im Labor simuliert. Und tatsächlich, die Beschichtung "explodierte". Auf die Frage, ob die Hindenburg auch ohne den Cellon-Anstrich in Flammen aufgegangen wäre, antwortete der Physiker unmissverständlich: "Nein". Nur durch Cellon konnte sich die starke statische Aufladung der Zeppelinhülle aufrechterhalten und wurde nicht über die Hanfseile abgeleitet. So sei es zur verhängnisvollen Spannungsdifferenz gekommen, und diese war letztendlich Auslöser des zündenden Funkens.

Keine der Theorien ist zweifelsfrei belegt. Die internationale Luftschifffahrt verlor an jenem 6. Mai 1937 ihre Unschuld, ihren Reiz und ihren Zauber, obwohl der Crash der Hindenburg nicht das schwerste Unglück seiner Art war - beim Absturz der USS Akron im April 1933 waren 72 Menschen ums Leben gekommen.

Reichsluftwaffenchef Hermann Göring, im Ersten Weltkrieg Pilot kleiner, beweglicher Jagdflugzeuge, mochte Zeppeline nicht, er nannte sie "fliegende Würste". Absolut untauglich für den Kriegseinsatz. 1940 wurden die verbliebenen deutschen Luftschiffe demontiert und ausgeschlachtet. Das Aluminium ging in die Kriegsindustrie. Die Hangars wurden gesprengt.

Eine Ära war zu Ende. Erst seit 1995 werden in Friedrichshafen am Bodensee, der alten Heimat der großen Luftschiffe, wieder Zeppeline gebaut. Hochmodern und viel kleiner als die "Fliegenden Zigarren", sind sie mit Helium gefüllt.

Michael Ossenkopp und Ulrich Zander leben als freie Journalisten in Berlin und sind auf historische Themen spezialisiert.