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Silvio Berlusconi geht, sobald sein Konjunkturpaket durch ist

Von Rainer Mayerhofer

Europaarchiv

Italiens Ministerpräsident schließt Notstandsregierung aus.


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Rom. Seit Dienstagabend sind Silvio Berlusconis Tage als italienischer Regierungschef wirklich gezählt. Erst drängte ihn sein Koalitionspartner Umberto Bossi von der Lega Nord zum Rücktritt, dann kündigte ihn der Premier nach einer desaströsen Abstimmung über das Budget 2010 und einem Krisengespräch mit Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano selbst an. Allerdings will Berlusconi mit seinem Rücktritt warten, bis sein Konjunkturpaket mit Spar- und Liberalisierungsmaßnahmen, zu dem er sich vergangene Woche mit Brüssel verpflichtet hat, im Parlament verabschiedet worden ist.

Berlusconi schloss am Dienstagabend aus, dass nach seinem Rücktritt eine Notstandsregierung Italien bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2013 weiterführen könnte. "Nach mir gibt es nur vorgezogene Parlamentswahlen", stellte der Premier in einem Interview mit dem TV-Sender Canale 5 klar. Der Premier, der selbst eingestand, keine Mehrheit mehr zu haben, appellierte an die Oppositionsparteien zur Zusammenarbeit, um das Maßnahmenpaket zur Schuldeneindämmung so rasch wie möglich im Parlament durchzusetzen. Berlusconi beschwor noch einmal den Geist der Enigkeit: "Wir werden den Finanzmärkten beweisen, dass wir es ernst meinen."

Es wird also erwartet, dass Berlusconi noch bis Dezember im Amt bleibt, da die Verabschiedung des Maßnahmenpakets in Abgeordnetenkammer und Senat noch einige Wochen in Anspruch nehmen dürfte. Die Abstimmung darüber könnte der Regierungschef mit einer Vertrauensabstimmung verknüpfen.

Berlusconis "rechte Hand" Alfano als Reserve-Premier

Geht es hingegen nach der Lega Nord und deren Parteichef Bossi, sollte Berlusconi den Weg für eine neue Mitte-Rechts-Regierung unter der Führung seiner "rechten Hand" freimachen: Angelino Alfano, der seit Juli Chef von Berlusconis Regierungspartei Popolo della Liberta (PdL - Volk der Freiheit) ist. Im Gespräch sind aber auch andere Kandidaten, darunter der ehemalige EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti als Chef einer Übergangsregierung aus Technokraten. Berlusconi könnte auch sein enger Vertrauter, Kabinettsminister Gianni Letta, als Regierungschef beerben.

Bossis unverhohlene Rücktrittsaufforderung erreichte Berlusconi ausgerechnet in der heißen Phase vor der Abstimmung über den Rechenschaftsbericht zum italienischen Haushalt 2010. Verzweifelt versuchte der Premier, abtrünnige Abgeordnete in seiner eigenen Partei wieder auf Kurs zu bringen. Selbst Finanzminister Giulio Tremonti musste seine Teilnahme am EU-Finanzministertreffen in Brüssel absagen und vorzeitig nach Rom zurückkehren, um an der Abstimmung im Abgeordnetenhaus teilzunehmen.

Die Oppositionsparteien einigten sich kurz vor der Abstimmung darauf, zwar im Sitzungssaal anwesend zu sein, aber geschlossen nicht mitzustimmen. Auch die beiden Abgeordneten der Südtiroler Volkspartei (SVP) und fünf Parlamentarier, die in den vergangenen Tagen das Regierungslager verlassen hatten, kündigten Stimmenthaltung an. Das bewog offensichtlich auch den einen oder anderen Abgeordneten aus dem Regierungslager, der vielleicht mit Bauchweh doch noch einmal für Berlusconi gestimmt hätte, sich in die Stimmenthaltung zu flüchten.

Regierung ohne Mehrheit im Abgeordnetenhaus

Und so kam es sogar noch schlimmer, als Politbeobachter erwartet hatten: Von den 630 Mandataren in der Abgeordnetenkammer gaben nur 309 ihre Stimmen ab - davon waren nur 308 für den Rechenschaftsbericht, ein Votum war eine Enthaltung. Damit liegt das Regierungslager erstmals deutlich unter der absoluten Mehrheit von 316 Stimmen. Die übrigen 321 Abgeordneten im Plenarsaal stimmten nicht ab. Damit steht fest, dass auch elf Abgeordnete aus dem Regierungslager nicht an der Abstimmung teilgenommen haben.

Oppositionschef Pierluigi Bersani sagte in einer Wortmeldung nach der Abstimmung, dass damit klar sei, dass die Regierung im Abgeordnetenhaus über keine Mehrheit mehr verfüge. Bersani forderte Berlusconi auf, seinen Rücktritt einzureichen und sein Mandat an den Staatspräsidenten zurückzugeben. Wenn Berlusconi nicht zu diesem Schritt bereit sei, würde sich die Opposition weitere Initiativen überlegen, denn so wie in den letzten Tagen könne es nicht weitergehen.

Berlusconi selbst verlangte sofort nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses das offizielle Verzeichnis, um persönlich die Namen der "Verräter" kontrollieren zu können. In einer ersten Reaktion sagte der Premierminister zu Personen seines engsten Kreises: "Sie haben mich verraten, aber worauf wollen sie hinaus? Ragazzi, versammeln wir uns und entscheiden wir sofort, was zu tun ist." Einen Momentspäter gab er aber bereits seine Absicht zu erkennen, dass er sich nicht geschlagen gebe und weitermachen wolle.

Unmittelbar nach dem für ihn enttäuschenden Ergebnis zog sich Berlusconi zu Beratungen mit seinen engsten Mitarbeitern, darunter Lega-Nord-Chef Bossi, Staatssekretär Letta, Innenminister Roberto Maroni, Finanzminister Tremonti, Verteidigungsminister Ignazio La Russa und Parteichef Alfano zurück. Kurz darauf folgte das Krisengespräch mit Staatspräsident Napolitano, das etwa eine Dreiviertelstunde dauerte. Berlusconi berichtete dem Staatschef über die jüngsten Entwicklungen in seiner bröckelnden Koalition. Im Anschluss erklärte er seinen Rücktritt, sobald das Konjunkturpaket durch sei.

Opposition feiert, Aktienkurse steigen

Die Opposition feierte diese Ankündigung. "Seine Rücktrittspläne sind eine Wende, jetzt kann eine neue politische Phase im Land beginnen", kommentierte Oppositionschef Bersani. Die Opposition werde im Parlament das sogenannte Stabilitätsgesetz mit Reformen zur Schuldeneindämmung genau überprüfen. "Obwohl wir grundsätzlich dagegen sind, werden wir für eine rasche Verabschiedung des Stabilitätsgesetzes sorgen, um eine politische Wende in Italien zu ermöglichen", so Bersani.

Die Ereignisse am Dienstag beflügelten auch die Aktien an der Mailänder Börse. Die Kurse legten am Dienstagnachmittag um fast drei Prozent zu. "In dem Moment, in dem Berlusconi geht, werden die Märkte um zehn Prozent zulegen", sagte ein Händler.