Drei Jahre lang hat die TU an einem Tool gearbeitet, das Zukunftsprognosen für die städtische Infrastruktur abgeben kann.
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Wien. Die Stadtentwicklung hinkt nicht selten aktuellen Ereignissen hinterher. Wenn Gleise kaputtgehen, müssen sie repariert werden. Wenn das zufällig auch zur gleichen Zeit bei der Ausweichroute geschieht, gibt es Probleme. Wenn man schon vorher wissen würde, wann Wartungsarbeiten anstehen, könnte man sich das freilich ersparen. Doch wer kann schon in die Zukunft schauen?
"Es gibt da schon Möglichkeiten", erklärt der Vorstandsdirektor der Wiener Stadtwerke-Holding AG, Robert Grüneis, in einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Durch die Nutzung bereits vorhandener Sensorik, die zum Beispiel in der bestehenden Infrastruktur und den Verkehrsmitteln verbaut ist, können durch gekonnte Datenanalyse Auffälligkeiten erkannt werden."
Grüneis erklärt es anhand eines konkreten Beispiels: Auf dem Weg von A nach B ruckelt es stets an derselben Stelle. Man selbst bemerkt es oftmals nicht, aber die Sensoren wohl. Somit könnte man bereits im Vorfeld erkennen, wann Wartungen und Reparaturen mit hoher Wahrscheinlichkeit anfallen werden. Predictive Maintenance nennt sich das in der heutigen Fachsprache - intelligente Systeme, die eine Störung erkennen, bevor sie auftritt.
Zehn Doktoranden für das Ergebnis verantwortlich
Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Ein Tool noch viel größeren Ausmaßes wurde im Rahmen des Doktoratskollegs "Urbanes Energie- und Mobilitätssystem" (Urbem-DK) entwickelt, das auf einem 3D-Plan sichtbar machen kann, wie sich der Energiebedarf einzelner Gebäude und Stadtteile oder das gesamte Verkehrsaufkommen unter vorab definierter Szenarien entwickeln wird. Sozusagen ein topmodernes Sim-City-Spiel (ein Computerspiel, bei dem man Städte entwickeln kann, Anm.) der Stadtentwicklung. Eine große Glaskugel, mit der man in die Zukunft schauen kann.
Urbem-DK wurde im Herbst 2013 mit zehn Doktoranden der Technischen Universität Wien in Kooperation mit den Stadtwerken gestartet. Das Ziel lautete, bis 2016 innovative Energie- und Mobilitätsszenarien für die Infrastruktur der Wiener Stadtwerke zu erarbeiten und zu visualisieren. Wobei unter anderem der Energieverbrauch und das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung unter die Lupe genommen wurde sowie auch die Verkehrsmittelwahl im urbanen Raum.
Es wurden dafür "zukunftsfähige" Methoden für Bestandssanierungen und für den Neubau von Gebäuden entwickelt, thermische, stoffliche sowie elektrische gebäudeübergreifende Energiesysteme getestet und IKT-Strukturen zur Steuerung der urbanen Energieversorgung ausgearbeitet. Es gab betriebs- und volkswirtschaftliche Analysen städtischer Energie- und Mobilitätssysteme und es wurden Beteiligte in Planungs- und Entscheidungsprozesse u.a. durch virtuelle Umgebungen eingebunden. Heute, Donnerstag, werden die Ergebnisse dieses umfangreichen Projekts erstmals der Öffentlichkeit präsentiert - sie sind also eigentlich fast noch top secret.
"Für uns ist das Projekt deshalb so wichtig, weil wir heute die Entscheidungen für morgen treffen müssen", erklärt der Leiter der bei den Stadtwerken neu eingerichteten Abteilung für Innovationsmanagement, Christian Fencz. "Wenn die Stadt wächst, wenn Dekarbonisierung ein Thema wird (Umstellung der Energiewirtschaft, in Richtung eines niedrigeren Umsatzes von Kohlenstoff, Anm.) müssen wir wissen, was das für die Infrastruktur der Stadtwerke bedeutet."
Das interdisziplinär erarbeitete 3D-Modell ermöglicht es demnach erstmals, die Wechselwirkungen zwischen Energieflüssen, Mobilitätsflüssen und Demographie aufzuzeigen und sei damit auch Entscheidungsgrundlage für künftige Investitionen, so Fencz. Der Prototyp wurde im Übrigen auf Basis von historischen Daten entwickelt. Ein nächster Schritt wäre dann, das Simulationsmodell mit Echtzeitdaten füttern zu können. Aber bereits jetzt sei es möglich, à la Sim City Simulationen zu erzeugen, die etwa die Konsequenzen darstellen können, wenn Wien weiterhin wächst. Oder um wie viel der Wärmebedarf im Winter aufgrund der Klimaerwärmung sinkt beziehungsweise der Kältebedarf im Sommer steigt. "Wir können auch herauslesen, wo wir künftig mehr U-Bahnen, mehr Straßenbahnen brauchen, wo die Elektrifizierung erweitert werden muss, weil die Menschen immer mehr elektronische Geräte im Haushalt haben und so weiter", sagt Grüneis.
Neue Geschäftsfelder erschließen
Wie man sieht, ist man in der Wiener Stadtwerke Holding AG gerade dabei, das Thema Innovation auf neue Beine stellen. Das betrifft aber nicht nur die Fragen künftig benötigter Infrastruktur. Auch neue Geschäftsfelder wollen erschlossen werden. Ein ambitioniertes Vorhaben für ein 16.000-Mitarbeiter-Unternehmen.
"Alleine die Lieferung von Strom, Gas, Wärme und Kälte ist es in Zukunft nicht mehr", meint Robert Grüneis. Die Welt wird intelligenter, digitaler und vernetzter. Der Kunde werde bewusster und wolle selbst etwas zu seiner Energieversorgung und seiner Umwelt beitragen. Bei der Strom- und Gaslieferung gehe es laut Fencz mehr um Kombi-Produkte, Dienstleistungen oder Gesamtpakete und individuelle Lösungen. "Es gibt aber auch Prozessinnovationen - es muss nicht immer gleich um ein neues Produkt gehen", meint Fencz.
Innovativ sei man schon immer gewesen, versichert wiederum Vorstandsdirektor Grüneis. Als Beispiel nennt er etwa - ausgerechnet - die Bestattung Wien. So kann man aus einem Teil der Asche der Verstorbenen in einem speziellen Verfahren einen Diamanten pressen lassen. Es werden Totenmasken, also Gipsabdrücke von Verstorbenen, als Andenken angeboten sowie auch sogenannter "Fingerabdruck-Schmuck".
Seit kurzem gibt es auch Urnen, aus denen eine Pflanze wächst, es wurde ein eigenes Trauerportal entwickelt, in welchem Angehörige ein Online-Kondolenzbuch oder aber eine kleine private Gedenkseite einrichten lassen können, künftig wird es auch eine Online-Blumenkranzbestellung geben. "Ein wunderbares Beispiel, wie man mit Kundenbedürfnissen umgeht und gleichzeitig sein Geschäftsfeld erweitern kann", meint Grüneis.
Das funktioniere aber immer nur dann, wenn man ein sogenanntes "Customer-Pain", also ein Kundenbedürfnis, auflösen könne. Das wiederum bedeute, dass man so nah wie möglich am Kunden sein müsse. Ein eigener Kreativraum mit bunten Sitzsäcken in jedem Unternehmen der Stadtwerke, wo man neue Ideen entwickelt, sei da allein zu wenig - zumal es dann keinen bereichsübergreifenden Austausch gibt. Innovationsmanagement ist laut Robert Grüneis mehr ein Prozess und eine wichtige Unternehmensfunktion.
Beim Kunden auf dem Schoß sitzen
Mit der Einführung eines ganzheitlichen Innovationsmanagements wurde das nun geändert: Früher hat jedes einzelne Stadtwerke-Unternehmen Ideen für Innovationen ausgearbeitet, die dann umgesetzt wurden oder auch nicht. Und oftmals wusste man nicht genau, ob der Kunde diese Innovationen akzeptiert oder nicht. "Jetzt gibt es strategische Zukunftsthemen, innerhalb derer Kundenbedürfnisse abgeleitet werden sollen. "Wir müssen sozusagen beim Kunden am Schoß sitzen", ergänzt Grüneis.
Als Beispiel nennt er die Waschmittelindustrie, wo Firmen Hausbesuche machen würden, um genau zu beobachten, wie mit der Wäsche umgegangen wird. "Will der Kunde zu seinem Tarif-Angebot gleich eine Alarmanlage oder nicht? Das müssen wir erst alles herausfinden", erklärt Fencz. Dann erst starte die Ideenfindungsphase über möglichst viele Kanäle - intern, extern, online. Es folgen Bewertung und das Pitching im Board of Innovation als Entscheidungsgremium und dann geht es in die Umsetzung", führt Fencz weiter aus.
Laut Grüneis und Fencz soll intern gemeinsam, vernetzt und bereichsübergreifend an einem Strang gezogen werden, um Innovation voranzutreiben. "Es soll eine neue, lebendige Innovationskultur entstehen, die von kooperativen Denken und Handeln geprägt ist."
Bis Jahresende wollen die Stadtwerke die drängendsten "Customer Pains" erhoben haben und dann soll es "ruckzuck" gehen, wie betont wird. Die Umsetzungen sollen dabei in erster Linie intern erfolgen, um die Organisation zukunftsfit zu machen und Know-how aufzubauen. "Und wenn wir es selber nicht können, arbeiten wir mit Start-ups und Partnern zusammen", so Robert Grüneis.
Erfolgsbeispiele gibt es laut Grüneis viele, so wie das Innovationsprojekt Brake Energy der Wiener Linien, bei dem die Bremsenergie der U-Bahnen gleich wieder in die eigene Energieversorgung eingespeist wird - die "Wiener Zeitung" hat berichtet. Oder das Urban-Mining-Projekt, bei dem seltene Erden beim Abbruch von Gebäuden und Infrastruktur erfasst und später wieder verwertet werden.
Weiters gibt es das Betriebliche Mobilitätsmanagement "JÖ - bin schon da" - eine IT-Infrastruktur, die Betriebsflotten mit Öffis, Taxis und Carsharing vernetzt. Die Idee: Während Firmenautos zu Bürozeiten genutzt werden, stehen sie abends ungenutzt herum. Umgekehrt verhält es sich bei Carsharing-Autos, die abends und am Wochenende ausgelastet sind. JÖ soll das Potenzial dieser vielen geparkten Autos nützen und damit das betriebliche Mobilitätsmanagement optimieren. Alle Mobilitätsformen werden hier in einer App vergleichbar, reservierbar, buchbar und zentral abrechenbar.
Smart Meter für Echtzeitbetrieb von Urbem-DK
Es gibt weiters auch die Idee, öffentliche Plätze mit Energie-Hot-Spots auszustatten. Aber nicht mit großen Solarzellen, sondern mit vielen, kleinen Punkten - wie etwa auf Parkbänken, damit man zum Beispiel jederzeit sein Handy aufladen kann.
Eine neuartige Betriebsüberwachungssoftware analysiert bereits in vernetzter Form die Betriebszustände und Effizienz erneuerbarer Energieerzeugungsanlagen, wie etwa Windparks oder Photovoltaik.
Die gerade laufende Umstellung von herkömmlichen Strom- und Gaszählern durch Smart Meter sollen die Verbrauchsdaten laufend an den Netzbetreiber übertragen, wodurch sich laut Wien Energie Einspar- und Effizienz-Potenziale leichter und schneller bestimmen lassen. Außerdem werden die Smart Meter wohl auch Voraussetzung für den Echtzeitbetrieb des vorher beschriebenen Urbem-Prototyps sein. Die Glaskugel, mit der man in die Zukunft schauen kann.