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Simpel, aber streng: So sind die Kanadier

Von Hermann Sileitsch

Wirtschaft

Debatte über effiziente Finanzaufsicht - warum manchmal weniger mehr ist.


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Wien. "Es könnte alles so einfach sein, isses aber nie", singen die Fantastischen Vier - und liefern ein gutes Motto für die Debatte über die Finanzmarktregeln. Im Jahr sechs der Krise sind zwar in vielen Weltregionen Maßnahmen auf den Weg gebracht worden: von strengeren Kapitalvorschriften für Banken über Regeln für mehr Transparenz bis hin zu Verboten und Beschränkungen von riskanten Produkten. "Es hat Fortschritte gegeben, aber sicher ist das Finanzsystem noch nicht", hat die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde jedoch vor wenigen Tagen eingeräumt. Skurrilerweise beginnt die Debatte, welche Art der Aufsicht und Regulierung am effizientesten ist, jetzt erst so richtig.

Historisch betrachtet habe es Wellenbewegungen zu mehr und weniger Regulierung gegeben, sagte Österreichs Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny am Montagabend. Tatsächlich galt bis vor wenigen Jahrzehnten der Grundsatz: Alles, was nicht explizit zugelassen ist, ist verboten. Die Aufsichtsbehörde mussten jedes einzelne Finanzprodukt überprüfen und absegnen. Das war mühsam und prohibitiv, bremste aber automatisch die Entwicklung des Finanzmarktes und verhinderte ein rasches Wachstum der Banken - damals ein gewünschter Effekt.

Greenspan lag völlig daneben

Heute ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Gegen Ende des Jahrhunderts wurde nämlich Deregulierung zum Gebot der Stunde erklärt - je weniger Vorschriften, desto besser. Diese Sichtweise kulminierte mit Alan Greenspan, 19 Jahre lang gefeierter Chef der US-Notenbank Federal Reserve. Er war der Meinung, der Markt reguliere sich selbst am besten - für Notenbanken bliebe nur die Aufgabe, nach dem Platzen einer Blase die Scherben zusammenzukehren. "Das hat sich als dramatisch falsch erwiesen", sagte Nowotny bei einer Veranstaltung zum 60-Jahr-Jubiläum der Bankwissenschaftlichen Gesellschaft in Wien: "Die Kosten sind sowohl gesamtwirtschaftlich als auch fiskalisch betrachtet dramatisch."

Jetzt schlägt das Pendel massiv in die Gegenrichtung aus - womöglich zu stark, wie Kritiker meinen? Der Blick auf das Gesamtsystem drohe verloren zu gehen, warnte etwa Andreas Dombret, Vorstand der Deutschen Bundesbank. Die einzelnen Maßnahmen könnten zu "widersprüchlichen Anreizen oder sogar gegenläufigen Effekten führen." Besonders bedrohlich wäre das Abwandern von Finanzgeschäften zu unregulierten Schattenbanken.

Keine Finanzkrise in Kanada

Je verwickelter die Finanzmarktgeschäfte wurden, umso kompliziertere Regeln und Aufsichtsstrukturen wurden entworfen. "Kann man Komplexität wirklich mit noch mehr Komplexität bekämpfen?", fragte sich Helmut Ettl, Vorstand der Finanzmarktaufsicht FMA - und wählte einen anschaulichen Vergleich. Kurz nach der Motorisierung wurden Regeln für den Straßenverkehr entwickelt: vom Führerschein über die Straßenverkehrsordnung bis hin zur Haftpflichtversicherung. "Das funktioniert sehr stabil - auch wenn es weiterhin Schnellfahrer, Unfälle und Tote gibt", so Ettl. "Warum ist das System so effektiv und generell akzeptiert? Weil die Regulierung so sehr einfach gehandhabt werden kann." Seine Folgerung: "Was zu komplex ist, um es zu regulieren, sollte man nicht zulassen."

Dabei könnten die Kanadier als Vorbild dienen, sagt Ettl: Dort hatte die Aufsicht schon vor der Krise einfache, aber strenge Regeln aufgestellt - etwa rigide Anforderungen an das Eigenkapital oder eine klare Verschuldungsgrenze. Die Folge: Obwohl die Banken eng mit jenen der USA verwoben waren, habe es dort keine Finanzmarktkrise gegeben.