Im Personalpoker der Wiener Stadtregierung steht die Qualifikation der Beteiligten nicht zur Diskussion. Bleiben die Besten der Besten hier Utopie?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Jeder will sie haben. Die Besten der Besten. Jede Schule, jede Universität, jedes Unternehmen. Um sie aus der Masse zu sieben, werden spezielle Auswahlverfahren konzipiert, Assessmentcenter aus dem Boden gestampft, Rekrutierungsakademien gegründet. An allen Ecken lechzt man nach der handverlesenen Mannschaft der leistungswilligen Alleskönner mit Führungskompetenz, Empathie und einem Hang zur kameratauglichen Selbstvermarktung. Und wenn die Auserwählten dann auch noch die eine oder andere Quote bedienen - Frau, schwarz, behindert -, ist der Traum eines jeden Personalleiters erfüllt.
In der Politik gelten andere Regeln. Da ist die Wahl der Besten der Besten eine Floskel. Nicht umsonst steht in der aktuellen Debatte rund um die personellen Rochaden in der Wiener Stadtregierung die fachliche Qualifikation oder Kompetenz der amtierenden oder potenziellen Kandidaten der SPÖ-Stadträte nicht zur Diskussion. Relevant sind andere Fragen. Welcher Flügel kann mit der Ernennung von A oder B befriedet werden? Welche Seilschaft kann mit der Entmachtung von C gestärkt werden? Wem gönnt man einen gesichtswahrenden Abgang? Und wer ist der Nächste in der Rangordnung, der bald gefüttert werden muss, weil er schon so lange loyal auf seinen Platz in der Sonne gewartet hat und nicht mehr stillhalten will?
Florens Eblinger lacht. Würde er sich jedes Mal mit solchen Überlegungen herumschlagen, hätte er sehr viele schlaflose Nächte. Eblinger ist Headhunter. Er versorgt die Elite mit ihresgleichen. Bis zu 200 Aufträge betreut seine Agentur im Jahr. Die meisten Kunden stammen aus der Pharmabranche und der Industrie. Maximal zwei Monate brauchen er und seine Kollegen, bis sie ihren Auftraggebern mindestens fünf adäquate Männer und Frauen für ihre Spitzenposten präsentieren können. Die fachliche Qualifikation ist dabei kein Kriterium. Sie ist ein Muss.
"Die wichtigsten Kriterien arbeiten wir mit unseren Kunden heraus, wobei die Ausbildung ein No-na-ned-Faktor ist", sagt Eblinger. Er weiß, dass die Spielregeln in der Politik andere sind. Dass man kein Experte sein muss, solange man sich mit Experten umgibt. Und dass in der Politik eine gewisse Kulanz in Sachen Eingewöhnungsphase herrscht. Nur hier haben Spitzenkräfte den Luxus des "Learning by doing". Den gibt es in der Wirtschaft nicht. "Wir suchen nach den besten Köpfen, deswegen heißt es Headhunting. Der beste Kopf ist nicht jemand, bei dem es heißt: Das wird schon noch", erklärt Eblinger.
Wer nach dem Besten verlangt, will kein Potenzial, er will das fertige Optimum. Auch in der Politik. Elite rules. Auch wenn es hierzulande niemand so aussprechen will. Das E-Wort ist verpönt unter Volksvertretern. Es gilt ja volksnah zu sein. Bescheiden. Durchschnittlich. Auf gar keinen Fall darf sich ein politischer Kronprinz zu viel akademische Exzellenz oder gar souveräne Weltgewandtheit anmerken lassen.
Diese Elite definiert sich nach anderen Maßstäben. Gerne wird ihr Anforderungsprofil auch als ein Atout der Politik begriffen. Anders als in anderen Branchen, hält man hier die Mär nach der sozialen Durchlässigkeit hoch, wobei nicht die soziale Herkunft entscheidend ist, sondern der politische Stammbaum. Jeder kann das Volk vertreten. Solange er in der Sandkiste nur mit den richtigen Leuten gespielt hat und das konsequent bis in sein Erwachsenenalter durchgehalten hat, ohne daran zugrunde zu gehen.
Die Stärken des Fachtrottels
"Es ist ein bisschen naiv zu glauben, dass man die Positionen in der Politik so besetzen kann wie in der Wirtschaft", kritisiert der Politikwissenschafter Wolfgang C. Müller, Vorstand des Instituts für Staatswissenschaft an der Universität Wien. In der Politik gelten nun einmal andere Parameter. Der Beste muss kein Experte sein. Er muss sich durchsetzen können, sowohl gegenüber den eigenen Leuten als auch gegenüber dem Gegner und der Öffentlichkeit. Er muss ein innovativer Netzwerker sein, ein geschickter Verhandler und am Ende ein begnadeter Verkäufer. "Letztlich braucht man das Vertrauen der eigenen Leuten und in bestimmten Positionen, das direkte Vertrauen der Wähler. Entweder man hat es oder nicht. Das kann kein Assessmentcenter beurteilen", gibt Müller zu Bedenken.
Dennoch gibt es selbst in der Politik Ideen, die den Experten nicht als Fachtrottel mit Scheuklappenblick verunglimpfen, sondern seine Stärken als Macher auch durchaus würdigen, nämlich dann, wenn das Ergebnis im Vordergrund steht und nicht die Person und die Fraktion, von der es intendiert oder opponiert war. "Es gibt schon Modelle, die besagen, dass die Politik sich nicht über den Input, sondern über den Output legitimiert. Und den erzielt man am besten, wenn man klare Vorstellungen hat, was das sein soll und wie man das optimiert", erklärt Müller. Durchzuführen seien jene Modelle laut Müller hingegen nur dann, wenn es ein konkretes Ziel gibt. Tauchen mehrere auf, stellt sich die Frage: Welches Ziel erledigen wir zuerst? Und da würde die Technokratie an ihre Grenzen stoßen.
Bleiben die Besten der Besten in der Politik also eine Utopie? Schon in der Antike plagte Platon die Frage nach dem geeigneten Führungspersonal im Staat. In seiner Vorstellung sollten weise und moralisch unfehlbare "Philosophenkönige" über das Wohl aller Bürger entscheiden. Weder Reichtum und interne Machtgerangel noch die Zustimmung einer leicht zu manipulierenden Masse wären für ihren Status relevant. Lediglich ihre Qualifikation, die sich bereits in ihrer Kindheit abzeichnet, würde sie für diese Position bestimmen.
Intellektuelle Kompetenz
Es ist ein utopisches Staatskonzept. Das sah Platon selbst ein und revidierte es. Später sahen Kritiker in Platons Idee die philosophische Blaupause für totalitäre Staaten. Vielleicht sollte man es mit realistischeren Interpretationen der intellektuellen Kapazität der Mächtigen versuchen, wie jene des österreichisch-britischen Philosophen Sir Karl Raimund Popper, wenn er in seinem Lebenswerk "Die offene Gesellschaft und ihre Feinde" dafür plädiert, Institutionen zu schaffen, die schlechte Herrscher davon abhalten, zu großen Schaden anzurichten. Denn in der Regel seien sie "moralisch oder intellektuell selten über und oft unter dem Durchschnitt".
Seit sieben Jahrzehnten hat die SPÖ in Wien das Sagen. Wie hält sie sich an der Macht?