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Sind 30 Stunden pro Woche genug?

Von Cathren Landsgesell

Wirtschaft

Reicht das Geld, möchten viele Arbeitnehmer nicht Vollzeit arbeiten, ist das Fazit einer Tagung zu zeitgemäßen Arbeitszeiten.


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Wien. Beim Stichwort "Freitag-Frühschluss" müssen alle Anwesenden lachen. Vielleicht deshalb, weil das wie ein Relikt der Welt von gestern klingt. Der "Normalarbeitstag" von rund acht Stunden, erkämpft in den 1970er Jahren, wird immer seltener. Wenn er überhaupt so je existiert hat. Eine 30-Stundenwoche, so das Fazit einer Tagung von Soznet, einem neuen Forschungsnetzwerk der Universität Wien, wäre wesentlich zeitgemäßer. Große Teile der Beschäftigten und der Unternehmer wünschen sich eine Verkürzung. Weniger arbeiten ist möglicherweise gut gegen die Krise und den Klimawandel.

Hohe Produktivität

"Normale" Arbeitszeiten gibt es in Österreich eigentlich nicht. 38,8 Stunden in der Woche sind üblicherweise vereinbart, normalerweise leisten die Österreicher aber gute 42 Arbeitsstunden in der Woche. Unter den 28 EU-Staaten liegen die Österreicher damit sogar auf Platz zwei. Nur die Briten arbeiten etwa zwanzig Minuten in der Woche mehr. Das geht aus Berechnungen von Carina Altreiter und Theresa Fibich hervor. Die beiden Sozialwissenschafterinnen weisen auch auf die ungleiche Verteilung der Arbeit hin: Selbständige in der Land- und Forstwirtschaft haben mit 57 Stunden die längsten Arbeitswochen. Die Zahl der Überstunden ist aber mit 270 Millionen pro Jahr in ganz Österreich erschreckend hoch. Zwanzig Prozent davon sind unbezahlt, erklären Altreiter und Fibich.

Nun müssen die Österreicher nicht deshalb so lange arbeiten, weil sie einfach langsam sind: Berechnungen der Statistikbehörde Eurostat zeigen, dass die Arbeitsproduktivität in Österreich im EU-Vergleich sehr hoch ist.

Weniger wäre tatsächlich mehr

Könnte es also auch etwas weniger sein? Wenn es nach denjenigen geht, die 40 Stunden und mehr in der Woche arbeiten, auf jeden Fall ja. 20 bis 35 Stunden Erwerbsarbeit in der Woche sind das Ideal vieler. Für die Erwerbstätigen sind 30 Stunden in der Woche also genug. Vorausgesetzt allerdings, das Geld reicht. Wer gebildet ist und (vermutlich) eher viel verdient, ist auch eher bereit, zugunsten kürzerer Arbeitszeiten auf Geld zu verzichten. Geringverdiener können das nicht, auch wenn sie ebenfalls verkürzen möchten. Allerdings sind 22 Prozent der Pflichtschulabsolventen ebenso bereit, für kürzere Arbeitszeiten auf Einkommen zu verzichten. Das zeigte Hubert Eichmann, Sozialwissenschafter am Wiener Institut Forba, in seinem Vortrag.

Auch für die Unternehmen scheinen 30 Stunden in der Woche völlig in Ordnung zu sein. Etwas mehr als ein Viertel aller Arbeitsplätze in Österreich sind heute bereits Teilzeitstellen. Dies allerdings oft nicht im Sinne der Verbesserung der Lebensqualität der Beschäftigten. Gerade teilzeitbeschäftigte Frauen wünschen sich oft mehr Stunden und eine Arbeit, die ihren Qualifikationen entspricht.

Die Tagung zeigt auch, dass die Flexibilisierung der Arbeitszeit der letzten Jahre (u.a. Zunahme von Leiharbeit, freien Dienstverträgen und geringfügiger Beschäftigung) oft zulasten der "freien" Zeit geht. Unter den abhängig Beschäftigten sind die "Ein-Personen-Unternehmen" und die freien Dienstnehmer diejenigen mit den längsten Arbeitszeiten.

Rolle des Sozialstaats

Neben den Erfordernissen der Unternehmen hat die Arbeitszeitflexibilisierung auch mit der politischen Neugestaltung der sozialen Sicherungssysteme zu tun. Roland Atzmüller und Fabienne Décieux von der Johannes Kepler Universität Linz fassen diese Veränderungen als "Ab-, Um- und Nichtausbau" zusammen. Diese Umgestaltungen bringen auch Veränderungen für die mit Erwerbsarbeit verbrachte Zeit mit sich. Die beiden Wissenschafter machen vier Tendenzen aus: Der "neue" Sozialstaat bewirkt erstens eine Verlängerung der Erwerbsarbeitszeit (man muss zum Beispiel länger arbeiten, bis man Anspruch auf Arbeitslosengeld hat), er tendiert zweitens zur Ökonomisierung der Freizeit (indem zum Beispiel Bildung zunehmend vermarktlicht wird), er "re-familiarisiert" drittens die Reproduktionsarbeit (indem Karenzzeiten ausgeweitet werden) und "ethnisiert" viertens die Pflegearbeit. Das Beispiel von Atzmüller und Décieux ist hier die 2007 beschlossene Regelung zur 24-Stunden-Pflege. Die heutigen Sozialstaaten, so das Fazit, nehmen Errungenschaften der alten Wohlfahrtsstaaten zurück.

Auch im Sinne des Klimawandels hätte eine 30-Stunden-Woche Vorteile, worauf Hubert Eichmann vom Forba hinweist. Wenn weniger gearbeitet wird, wird auch weniger produziert, weniger verbraucht und weniger CO2 emittiert. Kürzere Arbeitszeiten könnten helfen, das (geringere) Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.

Reduktion unwahrscheinlich

Auch wenn sich kürzere Arbeitszeiten in Krisensituationen bewähren (Stichwort Kurzarbeit) und auch fürs Klima besser wären, hält Eichmann eine baldige Reduzierung der gesetzlichen Normal-Arbeitszeit für unwahrscheinlich. Nicht zuletzt deshalb, weil die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter langsam schwindet. Apropos Pensionsantrittsalter: Den langen Ausbildungen, der Zunahme von Teilzeitarbeit und dem Trend zur Frühpensionierung zum Trotz ist die Lebensarbeitszeit wie überall in Europa auch in Österreich 2010 um 2,8 Jahre länger als noch 2001.