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Sind chinesische Eltern anders?

Von Ania Haar

Politik
Für die meisten chinesischen Eltern steht fest: Ihr Kind macht später eine Matura.
© © © Gareth Brown/Corbis

Chinesen schneiden bei Bildung gut ab, trotz schlechter sozialer Lage.


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Wien. Eigentlich wollte sie in die Hauptschule gehen, weil sie im Lernen schlecht war, erzählt eine 20-jährige Chinesin. Doch dann hat sich ihre Mama durchgesetzt und sie ins Gymnasium gesteckt: "Ich habe mir von Anfang an schwer getan." Gemeinsam mit anderen Jugendlichen wurde sie für die österreichweite qualitative Studie "Ich bin jung, ich muss noch viel machen" vom Österreichischen Institut für Familienforschung befragt. Die Lebensentwürfe von Jugendlichen aus vier Herkunftsgruppen werden darin verglichen: Türkei, Ex-Jugoslawien, China, Österreich. Befragt wurden 32 Jugendliche zwischen 15 und 26 Jahren, 18 davon waren männlich. Weiters wurde die gesamte wissenschaftliche Literatur zum Thema analysiert.

Mit einem Mythos müsse man vorweg aufräumen, betont Studienleiterin Sonja Dörfler: Eine unbeschwerte Jugend gibt es nicht. Tod, Alkoholsucht, Scheidung seien vor allem bei Jugendlichen aus einkommensschwachen türkischen und ex-jugoslawischen Familien eine große Belastung und mindern die Bildungschancen. Dennoch: "Obwohl sie viel durchgemacht haben, zeigen diese Jugendlichen eine irrsinnige Stärke", sagt die Soziologin. Chinesische Jugendliche haben als Einzige der Befragten keine Alkoholkrankheit in ihrer Familie erlebt.

Ein Handicap für alle Zuwanderergruppen sind schlechte Deutschkenntnisse der Eltern, die das Helfen beim Lernen verhindern. Auch haben beide Elternteile oft wenig Zeit, weil sie viel arbeiten müssen. Das betrifft eher Jugendliche aus Ex-Jugoslawien und China, bei türkischen Schülern sind laut Umfrage die Mütter "seltener" berufstätig und deshalb oft zu Hause, können aber wegen der Sprachprobleme nicht richtig helfen. Viele können sich auch Nachhilfeunterricht wegen des niedrigen Einkommens nicht leisten. Das betrifft allerdings österreichische Jugendliche aus schwachen sozialen Schichten ebenso.

Wenn es aber um die Leistungsansprüche geht, die Eltern an ihre Kinder stellen, heben sich die Chinesen von den restlichen drei Gruppen ab. Bei österreichischen, türkischen und ex-jugoslawischen Kindern hängt die Höhe der Bildungsvorstellungen, mit denen die Eltern an ihre Kinder herantreten, primär von der sozialen Schicht ab, der sie angehören, und nicht von der kulturellen Herkunft. Anders die chinesischen Eltern, die durchwegs hohe Leistungsansprüche an ihre Kinder stellen, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Schicht. Zwar können auch sie teils wegen mangelnder Deutschkenntnisse und prekärer finanzieller Situationen den Bildungsfortschritt ihrer Kinder nur schwer unterstützen - etwa durch gemeinsames Lernen, Erklären und Finanzieren von außerschulischen Lernhilfen ,- doch die Bildungsvorstellungen bleiben bei allen unverändert hoch.

Die meisten Chinesen peilen eine hohe Ausbildung an

"Chinesen stehen ganz woanders da", sagt Dörfler. Egal, ob das Bildungsniveau der Eltern hoch oder niedrig ist, ob Geld vorhanden ist oder nicht: Den Kindern wird schon früh nahegelegt, eine höhere Ausbildung anzustreben. Dafür werden sie gepuscht und gedrillt, schnell Deutsch zu lernen und gut in der Schule zu sein, selbst wenn die Eltern schon viele Jahre hier leben und kaum Deutsch sprechen. Die Frage der Schulwahl nach der Volksschule, ob Gymnasium oder Hauptschule, stellt sich bei den chinesischen Eltern nicht: Kinder sollen aufs Gymnasium gehen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Dieser Druck chinesischer Eltern im Hinblick auf den Bildungsweg unterscheidet sich markant von dem eher lässigen, wenig lenkenden Einfluss der österreichischen und ex-jugoslawischen Eltern. Interventionen bei der Entscheidung für das Gymnasium kommen hier eher von gebildeteren Eltern, vorausgesetzt, die Noten stimmen. Ganz anders sieht die Sache bei Jugendlichen aus bildungsfernen Familien aus Ex-Jugoslawien und der Türkei aus: Selbst bei guten Schulnoten halten einige Eltern ihre Kinder davon ab, die AHS zu besuchen.

Eltern und Lehrer können den Bildungsweg festlegen

Wenn etwa Kinder von türkischstämmigen Arbeitern einer Fabrik in die Hauptschule gehen, dann schicken die Arbeitskollegen ihre Kinder ebenfalls dorthin. Eine Unkenntnis des österreichischen Bildungssystems könne hier eine Rolle spielen, vermutet Dörfler. Wie die Studie jedoch zeigt, können Peer-Groups die Schulwahl nach der Volksschule entscheidend beeinflussen. Man soll daher darüber diskutieren, inwieweit die Haltung der Eltern zum Bildungsweg ihrer Kinder sich so ändern könne, meint Dörfler.

Bei der Schulwahl kann auch der Volksschullehrer entscheidend sein. Es gebe sehr engagierte Lehrer, betont Dörfler, aber auch vorurteilsbehaftete, die Migrantenkindern vom Gymnasium abraten, österreichischen Kindern aber zuraten, selbst bei schlechten schulischen Voraussetzungen.

Unterschiede je nach Herkunftsgruppe gibt es bei den Bildungsabschlüssen: Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund haben oft einen Pflichtschulabschluss. Jugendliche aus Ex-Jugoslawien weisen am häufigsten einen Lehrabschluss vor0. Eine Hochschulausbildung haben Jugendliche aus Ex-Jugoslawien und der Türkei selten. Anders ist das auch hier bei Jugendlichen mit chinesischen Wurzeln, die unabhängig von sozioökonomischem Status und Geschlecht besonders viele Akademiker haben.

Jugendliche aus China sind eine besonders stark wachsende Gruppe in Österreich. In der internationalen Forschung werden chinesische Migranten oft als "Modellgruppe", die ein sehr hohes Bildungsniveau erreichen, dargestellt. Nur hat der Drill auch seinen Preis. "Es steckt ein großer Leidessdruck dahinter", berichtet Dörfler. Wählen die Kinder dennoch einen anderen Weg, würden sie in der Community stigmatisiert. In der österreichischen Gesellschaft finden sie oftmals keine Verwurzelung und sehen ihre Zukunft eher im anglo-amerikanischen Raum, da sie sich mehr als Weltbürger fühlen.

Bei allen Gruppen gibt es aber auch die Jugendliche, die sich von den Wertevorstellungen ihrer Eltern distanzieren.