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Sind Kinder rechtlich ausreichend geschützt?

Von Verena Hirtler

Wirtschaft

Ruf nach Reform des Schadenersatzes. | Wofür haftet Kind? | Wien. Jedes Jahr verunglücken in Österreich rund 20.000 Kinder und Jugendliche im Straßenverkehr. Zu einem großen Teil ist dafür die Ablenkung der Kindern verantwortlich. Dennoch qualifizieren Richter das unangepasste Verhalten jüngerer Kinder bei einem Unfall als vorwerfbares Mitverschulden. Hinter dem Autofahrer steht zwar dessen Haftpflichtversicherung - vor dem schwerverletzten Kind liegt aber ein langer Leidensweg, der durch entsprechendes Schmerzengeld zumindest ein wenig erleichtert werden könnte.


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In Österreich könnte eine Gesetzesänderung, die ein Mitverschulden eines Kindes nicht möglich macht, den Stein zur lange geplanten Reform des österreichischen Schadenersatzrechtes ins Rollen bringen.

Das Kind als Täter

Minderjährige bis 14 Jahre haften grundsätzlich nicht für den von ihnen verursachten Schaden, da ihnen die nötige Einsicht fehlt und ihnen daher kein Verschulden zur Last gelegt werden kann. Aus Sicht der Kinderpsychologie ist eine zivilrechtliche Haftungsgrenze erst von 14 Jahren sinnvoll: Aufmerksamkeit, Konzentration und Reaktionsfähigkeit sind erst dann voll funktionsfähig. Bis zum Alter von zwölf Jahren lassen sich Kinder noch leicht ablenken und vergessen dann den Straßenverkehr und seine Gefahren. Altersbedingte Defizite lassen sich durch spezielle Erziehung kaum kompensieren.

Da ein Kind bis 14 Jahre grundsätzlich nicht zurechnungsfähig (verschuldensfähig) ist, sind unter Umständen die Aufsichtpersonen (zumeist die Eltern) für den Schaden verantwortlich - jedoch nur dann, wenn der Schaden auf die Unterlassung der nötigen Obsorgepflicht zurückzuführen ist (§ 1309 ABGB). Für die Obsorgepflicht ist entscheidend, was Eltern nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall unternehmen müssen, um die Schädigung Dritter durch ihre Kinder zu verhindern - etwa zu verhindern, dass Kleinkinder auf der Straße spielen. Die Aufsichtspflicht darf jedoch nicht überspannt werden. Man kann von Eltern nicht verlangen, dass sie ein Kind ständig unter Kontrolle halten.

Eine (untergeordnete) Billigkeitshaftung existiert für den Fall vor, dass der Geschädigte von den Aufsichtspersonen keinen Ersatz bekommt (etwa weil sie kein Verschulden trifft oder weil sie zahlungsunfähig sind). Hier kann dem Kind ausnahmsweise eine Schadenersatzpflicht auferlegt werden, wenn es über ein gewisses Vermögen verfügt. Die Billigkeitshaftung hat enorme Bedeutung in der Privathaftpflichtversicherung, die meist in der Haushaltsversicherung inkludiert ist. Sie gilt für alle im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen, somit auch für Kinder.

Das Kind als Opfer

Die Schadenersatzansprüche eines bei einem Unfall verletzten Kindes werden nach dem Ausmaß seines Mitverschuldens am Unfall bemessen. Dabei verfolgt die Judikatur eine Spruchpraxis, die im Hinblick auf die entwicklungspsychologischen Erkenntnisse kritisch erscheint und die einem kinderfeindlichen Trend folgt:

 Mitverschulden (3:1) eines siebenjährigen Kindes, das mit einem Tretroller auf der Fahrbahn einer öffentlichen Straße spielt.

 Kein Schadenersatz für ein sechsjähriges Kind, wenn der Verkehrsunfall durch ein Fehlverhalten des Kindes und bei vorschriftgemäßem Fahrverhalten des Autofahrers geschieht.

 Mitverschulden (Schadensteilung 1:1) eines achtjährigen Schulkindes durch Fehlverhalten als Fußgänger. Obwohl die unteren Instanzen das Alleinverschulden dem Unfallgegner (Motorradfahrer) zugesprochen haben, hat der OGH befunden, dass von einem achtjährigen Schulkind sehr wohl erwartet werden kann, dass es eine Fahrbahn nicht überraschend betritt. Das Kind erlitt schwerste Verletzungen mit Dauerfolgenseine Schmerzengeldleistungen wurden durch dieses Urteil jedoch halbiert.

Die Autorin ist Juristin beim ÖAMTC. Die ausführliche Fassung erscheint in der Familienzeitschrift (FamZ) im Linde-Verlag.