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Sind kleine Kinder legitime Terrorziele?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Nett, wenn Österreichs Politiker an der Klagemauer tote Juden beklagen. Davon haben nur leider die lebenden Juden nichts.


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In der "Göttlichen Komödie" des Dichters Dante Alighieri (1265-1321) beginnt hinter dem Tor zur Hölle die sogenannte Vorhölle, ein ganz besonders unwirtlicher Ort, an dem die Lauen und die Feigen ihrer gerechten Strafe zugeführt werden, Mitläufer und Gleichgültige, die sich weder den Himmel noch die richtige Hölle verdient haben. Sie müssen, von riesigen Insekten zerbissen, einer Fahne folgen, die dauernd ihre Richtung wechselt.

Die sehr zurückhaltende Art und Weise, in der Österreichs talentierter junger Außenminister Sebastian Kurz und sein erfahrener deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier auf die Raketenangriffe der Hamas auf israelische Schulen und Kindergärten reagiert haben, deutet nicht wirklich auf eine profunde Kenntnis der Qualen hin, die in Dantes Vorhölle auf die Lauen wartet. Denn nicht anders als lau kann man die blutleeren Warnungen der beiden vor "einer Eskalation der Gewalt" nennen, selbst dann, wenn genauso pflichtgemäß auch auf "das Selbstverteidigungsrecht Israels unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit" verwiesen wird.

Sie spiegeln damit freilich bloß diplomatisch wider, was in Deutschland wie in Österreich vermutlich die Meinung der großen Mehrheit ist: dass an der jüngsten "Eskalation der Gewalt" Israelis und Palästinenser irgendwie gleich schuldig seien.

So verbreitet diese Haltung ist, so falsch ist sie: Die Gewalt begann ja mit dem Mord an drei israelischen Jugendlichen und Raketenangriffen auf Israel.

Es stünde der österreichischen wie der deutschen Außenpolitik gut zu Gesicht, dies auch einmal beim Namen zu nennen. Laue Äquidistanz zwischen Hamas-Tätern und israelischen Opfern ist keine würdevolle Haltung. So nett es ist, wenn deutsche und österreichische Außenminister an der Klagemauer ihre "Nie wieder"-Bekenntnisse ablegen - von der rituellen Beschwörung der jüdischen Toten der Nazizeit haben jene lebenden Juden herzlich wenig, deren Kinder von der Hamas aus Gaza mit Raketen beschossen werden. Manchmal könnte man fast den Eindruck gewinnen, dass tote Juden den Spitzen der deutschsprachigen politischen Klasse ein dringlicheres Anliegen sind als die lebenden Juden.

Die wären vielleicht ganz erfreut, würden Kurz oder Steinmeier auch klar aussprechen, dass Israel einzelne israelische Gewalttäter wie etwa jenen rachsüchtigen Mörder eines jungen Palästinensers vor Gericht stellt, während in Gaza die Gewalttäter an der Macht sind und den Terror preisen. "Die Hände derer", welche die drei jungen Israelis getötet hatten, "sind gesegnet", hat kurz nach dem Massaker Hamas-Chef Khaled Maschall höchst einfühlsam formuliert, was ganz sicher als Beitrag zur Deeskalation der Lage zu verstehen war; ebenso wie die Erklärung der Hamas, alle Israelis, also auch Alte, Frauen und Kinder, seien "legitime Ziele" von Raketenattacken.

Und vielleicht wäre es auch an der Zeit für die österreichische und die deutsche Außenpolitik, laut zu benennen, was das Fundament der jüngsten Auseinandersetzung ist: dass die Hamas keinen Frieden will, sondern Israel und die Israelis auslöschen und damit endlich zu einem erfolgreichen Ende führen will, woran Adolf Hitler knapp gescheitert ist.