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Ja, sagen viele überzeugte Linke. Und die Gegenseite hält es genau umgekehrt.
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Politik muss die Menschen moralisch ansprechen. Das geht wohl gar nicht anders. Aber folgt aus dem politischen Meinungsstreit auch zwingend ein moralisches Werturteil über den Gegner, den Andersdenkenden? Oder ganz konkret gefragt: Sind rechte Wähler und Politiker in den Augen ihrer politischen Kontrahenten Menschen mit einem moralischen Makel und umgekehrt?
Ganz eindeutig ja, wenn man die Abneigung, Aggression und Verachtung verfolgt, mit der sich die Gegner wechselseitig bedenken, die politischen wie intellektuellen Eliten der Republik mit eingeschlossen. Das hat natürlich Folgen, denn dadurch verwandelt sich die Politik von einer Auseinandersetzung zwischen Ideen zu einem Konflikt um die Moral.
Die Krux ist: Nach menschlichem Gefühl kann es nur eine Moral geben: die eigene. Das, woran die anderen glauben, kann deshalb keine Moral sein, jedenfalls keine richtige.
Das ist kein wirklich neues Problem. Die Religionen müssen sich damit schon seit dem Aufkommen der Aufklärung herumschlagen. An ihre Stelle sind die säkularen Glaubensbekenntnisse getreten, die politischen Religionen. Auch diese wurde jedoch spätestens mit der Zäsur des Jahres 1989 und dem anschließenden Siegeszug der Globalisierung hinweggefegt.
Jetzt, wo im Himmel weder Gott noch Götter wohnen und auch die politischen Ersatzreligionen von der Weltbühne gespült wurden, gibt es hier auf Erden keine verbindliche Wahrheit mehr, die uns alle verbindet. "Wir Menschen sind mit uns allein", beschreibt der Philosoph Rudolf Burger die Lage.
Am Bedürfnis von uns Menschen nach Wahrheit und Gerechtigkeit hat sich jedoch nichts geändert. Es gibt nur niemanden mehr, der für uns festlegt, worin genau diese Wahrheit und Gerechtigkeit inhaltlich besteht. Also müssen wir darüber streiten, und das geschieht in der Politik mit Leidenschaft. Nicht primär über Themen und Inhalte, sondern über moralische Fragen. Letztere haben jedoch den Nachteil, dass jeder Kompromiss in den Augen der Anhänger der Selbstaufgabe gleichkommt. Und das wiederum ist Gift für die Demokratie.
Je leerer also die Hände sind, mit denen die Parteien inhaltlich vor die Bürger treten, desto stärker suchen sie Schutz im heimeligen Mantel ihrer Moral. An diesem Schutzschild, der sich auch für die Abteilung Attacke eignet, prallt schließlich jede sachliche Kritik ab.
Seltsam, nachdem wir mehr als zweihundert Jahre lang darum gerungen und gekämpft haben, sämtliche allein seligmachenden und von oben oktroyierten Wahrheiten abzuschütteln, ertragen es immer mehr Bürger nicht, dass es neben ihren eigenen ganz persönlichen Vorstellungen von Gerechtigkeit noch andere Versionen gibt, die den ihren widersprechen. Offensichtlich ist auch der angeblich aufgeklärte Mensch nicht in der Lage, Pluralität auszuhalten. Die einen ethnisch, die anderen ethisch.
Deshalb betrachten gerade die gläubigsten Linken rechte Wähler als moralisch minderwertig, und genau das Gleiche denken die eifrigsten Rechten von Wählern linker Parteien. Und beide Seiten sind sich ihrer Sache todsicher.