Der Frage, ob unser Pensionssystem auch in Zukunft finanzierbar sei oder eine neuerliche, umfassende Pensionsreform demnächst ins Haus steht, geht der Vorsitzende der Gewerkschaft der | Privatangestellten und Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Hans Sallmutter, in diesem Beitrag nach. Im zweiten Teil, der morgen, Dienstag, erscheint, geht Sallmutter näher auf | den Generationenvertrag ein, der unserem Pensionssystem zugrunde liegt.
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In den letzten Wochen zeichnet sich in der innenpolitischen Diskussion eine Neuauflage der vermeintlichen "Pensionslücke" ab, wohl aufbereitet als Wahlkampfthema. Die Pensionen seien nicht mehr
sicher heißt es da wieder einmal und es müsse zu einer "Pensionsreform" kommen, und zwar bereits rasch nach den Wahlen. Und immer wieder gelingt es in dieser Diskussion, das Prinzip "Pensionsreform"
als etwas Schreckliches, aber Notwendiges zu transportieren, als die bittere Pille, die rasch genommen werden müsse, weil es sonst keine Aussicht auf Genesung gäbe.
Ist der Wohlfahrtsstaat durch die "demographische Bedrohung" tatsächlich an seine Grenze gestoßen?
Denn, so die Argumentation, nicht erst seit der "demographischen Bedrohung" sei der Wohlfahrtsstaat nach 50 Jahren an seine Grenzen gestoßen, werde der Generationenvertrag brüchig. Die Menschen
wollen angeblich die durch den Staat vermittelte soziale Sicherheit gar nicht mehr, sie würden ihre Sicherheit viel lieber selbst in die Hand nehmen, wären die Angebote bloß ausreichend genug.
Die folgenden Überlegungen sollen versuchen, diese verunsichernden Argumentationen zu demystifizieren. Was ist wirklich dran an der Argumentation, das Pensionssystem sei nicht mehr sicher? Steht
tatsächlich eine neue Pensionsreform bevor?
Schreckensbild "Pensionsreform"
Das österreichische Pensionssystem, das 1955 für Unselbständige im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) geregelt worden war, ist seitdem durch etwa 130 bundesgesetzliche Änderungen, davon
55 ASVG-Novellen, verändert und gestaltet worden. 130 Veränderungen in 44 Jahren, das wären durchschnittlich 3 "Reformen" pro Jahr. Über die Absurdität dieser Betrachtungsweise im Lichte der oben
charakterisierten "Reformdiskussion" brauche ich mich nicht weiter auszulassen.
Das österreichische Pensionsrecht ist ein lebendiges System, das stetig veränderten Gegebenheiten angepasst wird.
Hier wird deutlich: Das österreichische Pensionsrecht ist ein lebendiges System, das stetig veränderten Gegebenheiten angepasst wird. Das bringt immer wieder Verbesserungen, Veränderungen im
Verwaltungsablauf, Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen oder an sich verändernde Rechtsbestimmungen in anderen Bereichen, aber auch die Abschaffung überlebter Leistungen und fallweise auch
Verschlechterungen · eine insgesamt komplexe Entwicklung also.
Auch wenn man nur die · mittlerweile 57 · ASVG-Novellen betrachtet, stellt sich die Situation differenziert dar. Das Sozialrechtsänderungsgesetz 1978 kann als erste "Pensionsreform" mit dem Anspruch,
den Bundesbeitrag zur gesetzlichen Pensionsversicherung zu senken, gelten.
Dem folgten bereits 1984 mit der 40. und 1987 mit der 44. ASVG-Novelle zwei weitere breit diskutierte "Pensionsreformen". Sie brachten unter anderem die Ausdehnung des Berechnungszeitraums für die
Pension von ursprünglich 5 auf 15 Jahre, eine Neuregelung der Pensionsanpassung und eine Reduktion der Ausfallshaftung des Bundes. Darüberhinaus fanden 1984 und 1987 (wie bereits 1978) Umschichtungen
von anderen Sozialversicherungsträgern zur Pensionsversicherung statt.
Die Nettoanpassung, die mit der 51. ASVG-Novelle beschlossen wurde, sichert die Pensionen langfristig. Ihre Wirkung wird sich erst in den kommenden Jahren entfalten.
Die nächste "Pensionsreform" wurde 1993 mit der 51. ASVG-Novelle beschlossen. Sie leitete (insbesondere durch die Nettoanpassung, die ihre eigentliche Wirkung erst in den kommenden Jahrzehnten
entfalten wird) eine langfristige Absicherung der Pensionsfinanzierung auch bei einer sich weiter verschlechternden "Pensionslastquote" durch automatisch gedämpfte Pensionsanpassung ein.
Die Pensionsreform 1997 bringt einen Anstieg des faktischen Pensionsanfallsalters ab dem Jahr 2000.
Noch allen in Erinnerung ist schließlich die letzte große "Pensionsreform" 1997, die durch arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Entspannung der Beschäftigungssituation Älterer und verschiedene
beitragsrechtliche Schritte bei vorzeitigen Pensionen (Ausdehnung der Bemessungsgrundlage, niedrigerer Steigerungsbetrag) einen Anstieg des faktischen Pensionsanfallsalters ab dem Jahr 2000 (und
damit eine Entspannung des Bundesbeitrages) zum Ziel hatte.
Aber wir müssen bedenken: Jede dieser Novellen brachte nicht nur Verschlechterungen, sondern (wie viele andere ASVG-Novellen der letzten Jahre) auch zahlreiche Verbesserungen. So hat die 40. Novelle
die "ewige Anwartschaft" eingeführt und damit zahlreichen Frauen mit langen Berufsunterbrechungen überhaupt erst zu einer Pension verholfen. Die 51. Novelle hat die Gleitpension geschaffen und die
höchstmögliche Pension von 79,5 auf 80 Prozent der Beitragsgrundlage erhöht. Damals wurde auch die beitragsfreie Anrechnung der Kindererziehungszeiten eingeführt. Die "Pensionsreform" 1997 brachte
eine deutliche Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die Monate der Kindererziehung, überdies wurde eine begünstigte Weiterversicherung für jene Personen geschaffen, die wegen der Pflege eines
Angehörigen (ab Pflegestufe 5) ihren Beruf aufgeben müssen.
Der Bundesbeitrag zu den ASVG-Pensionen konnte in den vergangenen 20 Jahren um zehn Prozentpunkte gesenkt werden.
Wenn man die Entwicklung der Pensionsversicherung in den letzten 20 Jahren Revue passieren lässt, entsteht daher ein insgesamt positives Bild, wie ich am Beispiel der Pensionsversicherungen der
Unselbständigen (ASVG-Versicherungen) verdeutlichen möchte:
1. In den letzten 20 Jahren gab es etliche Leistungsverbesserungen. Die Pensionen wurden mehrmals außertourlich (über der Inflationsrate) angehoben, der Ausgleichszulagenrichtsatz wurde einige Male
deutlich stärker angehoben als die durchschnittlichen Pensionen (eine wesentliche Ursache dafür, dass es in Österreich heute fast keine Altersarmut mehr gibt), eine eigenständige Witwerpension wurde
eingeführt. In den Neunzigerjahren wurde die beitragsfreie Anrechnung von Kindererziehungszeiten (bis zu vier Jahre pro Kind) geschaffen, 1993 wurde das Pflegegeld eingeführt, etc.
2. Die "Pensionslastquote" (das ist das Zahlenverhältnis von Beitragszahlern zu Pensionen) ist in diesen zwanzig Jahren deutlich gestiegen. Sie lag im Jahr 1978 noch bei 469 Pensionen auf je 1.000
BeitragszahlerInnen (ASVG) und ist bis 1998 auf 592 angewachsen.
3. Gleichzeitig konnte aber die Eigenfinanzierungsquote der ASVG-Pensionsversicherungen deutlich angehoben werden. Denn 1978 machte der Bundesbeitrag noch 25 Prozent der Pensionskosten im ASVG aus,
heute liegt er hier nur mehr bei 15,8 Prozent. Für die kommenden Jahre ist nicht zuletzt auf Grund der bereits gesetzten Maßnahmen mit einer Stabilisierung bzw. einem weiteren Rückgang des
Bundesbeitrags zu rechnen.
Dieses System krankzureden, ist eine besondere Kunst, die nur gelingt, weil die wenigsten Menschen mit den Details vertraut sind.
Ich meine daher: Unserem Pensionssystem ist es in den letzten zwanzig Jahren trotz deutlicher Leistungsausweitungen und einer steigenden "Pensionslastquote" gelungen, eine Verbesserung des
Eigenfinanzierungsgrades um ein Drittel zu erreichen. Dieses System krankzureden und als unmittelbar reformbedürftig hinzustellen, ist eine besondere Kunst, die offensichtlich nur deswegen gelingen
kann, weil die wenigsten Menschen mit Details des österreichischen Pensionssystems vertraut sind.
Ein wesentlicher Grund für diese aus meiner Sicht verzerrte Wahrnehmung der tatsächlichen Entwicklung unseres Pensionssystems in der Öffentlichkeit liegt darin begründet, dass es der österreichischen
Sozialpolitik in den letzten beiden Jahrzehnten offensichtlich weder gelungen ist, die zahlreichen Verbesserungen entsprechend zu kommunizieren, noch die durch Veränderungen bzw. Verschlechterungen
im System entstandene öffentliche Diskussion zu versachlichen.
Schon Machiavelli lehrt den "guten" Fürsten, notwendige harte Maßnahmen mit einem Schlag durchzusetzen, damit sie in der Öffentlichkeit rasch wieder vergessen werden, gute Taten hingegen
tröpfchenweise und über lange Zeit verteilt zu vergeben, damit die Öffentlichkeit noch lange darüber spreche.
Offensichtlich ist der österreichischen Sozialpolitik in der Vergangenheit das Gegenteil gelungen: Verbesserungen werden rasch gewährt und kaum kommuniziert, Verschlechterungen hingegen erfolgen Jahr
für Jahr in kleinen Häppchen und mit großer medialer Präsenz.
So vermag es nicht wirklich zu verwundern, dass die beiden vergangenen Jahrzehnte zwar tatsächlich große sozialpolitische Verbesserung gebracht hatten, im Bewusstsein der Öffentlichkeit aber als
kontinuierlicher Sozialabbau in Erinnerung geblieben sind.