Der kanadische Politologe Scott Sinclair sieht keine Notwendigkeit für spezielle Regeln zum Investitionsschutz.
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Brüssel/Ottawa. Nicht nur in Teilen Europas gehen zahlreiche Gruppen in Opposition zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Auch jenseits des Atlantiks gibt es Bedenken, ob nicht in erster Linie Unternehmen von der Vereinbarung profitieren, während die Rechte der Konsumenten und Arbeitnehmer weniger Gewicht erhalten. Der kanadische Forscher Scott Sinclair weist auf einen Aspekt im Gesundheitswesen hin, der in Europa kaum bekannt ist.
"Wiener Zeitung": In ihrer Kritik an Ceta sind die Skeptiker in Europa und Kanada einander ähnlich. Sie warnen vor der Absenkung von Qualitätsstandards in unterschiedlichen Bereichen, vor allzu großen Rechten der Konzerne, vor Investor-Staat-Schiedsgerichten. Gibt es in Ihrem Land auch spezifische Befürchtungen?Scott Sinclair: Die Skepsis gegenüber den Schiedsgerichten ist noch größer. Denn wir haben mehr Erfahrung damit, von Investoren geklagt zu werden. Während es in Europa ein relativ neues Phänomen ist, gab es in Kanada im Rahmen von Nafta (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen) schon rund 30 Klagen gegen die Regierung. Und wir haben bereits an die 200 Millionen Dollar Schadenersatz gezahlt. Erst in der Vorwoche hat ein amerikanisches Unternehmen eine Klage gewonnen, weil es einen Offshore-Windpark nicht bauen konnte. Dabei hat es nicht einmal eine endgültige Genehmigung dafür gehabt.
Haben die Kanadier von den Europäern auch viel zu befürchten?
Europäische Unternehmen können ebenfalls sehr aggressiv auftreten. Im Vorjahr waren in Investor-Staat-Streitigkeiten im Rahmen von Nafta oder bilateralen Verträgen in sieben von zehn größeren Fällen Firmen aus EU-Ländern verwickelt.
Diese umstrittene Regelung zum Investitionsschutz ist bei Ceta aber nun abgeschwächt. Die Schiedsgerichte sollen nicht privat, sondern öffentlich sein. Reicht das nicht?
Es gibt eine prozedurale Verbesserung. Der klagende Investor könnte nicht mehr - wie bisher - seinen eigenen Vermittler bestellen. Vielmehr soll es Sachverständige aus einem Personalpool geben, die von den Ländern ausgesucht werden. Doch abgesehen davon, bleiben die weitreichenden Rechte der Investoren bei solchen Abkommen erhalten. So können europäische Unternehmen kanadische Regulierungsbehörden unter Druck setzen und umgekehrt kanadische Firmen die europäischen Maßstäbe herausfordern.
Das Argument der Konzerne ist die Rechtssicherheit, die sie für Investitionen brauchen.
Dann müssen wir uns wieder die fundamentale Frage stellen: Was ist denn schlecht an den Rechtssystemen in Europa oder Kanada? Auf beiden Seiten haben Unternehmen den gleichen Zugang zu Gerichten, sie haben alle Möglichkeiten, sich und ihre Rechte zu verteidigen. Es ist nicht notwendig, dass Investor-Staats-Gerichte unbedingt Teil eines Handelsabkommens zwischen Partnern mit entwickelter Demokratie sein müssen.
Ohne sie wäre Ceta für Sie also akzeptabel?
Es wäre zumindest nicht so angreifbar. Dennoch würden Einwände bleiben. Es gibt beispielsweise einen sehr wichtigen Aspekt, der die Europäer weniger trifft als uns. Ceta würde Kanada dazu zwingen, seine Patentschutz-Regeln für Pharmazeutika zu ändern. Das würde die kanadischen Konsumenten an die 850 Millionen Dollar jährlich kosten.
Wie kommen Sie auf diese hohe Summe?
Im Prinzip geht es darum, dass der Markenschutz um zwei Jahre ausgeweitet wird. Das erlaubt europäischen Pharma-Unternehmen, ihre Produkte unter dem Firmennamen länger zu schützen. Das wiederum kann die Zulassung anderer Medikamente wie Generika, die billiger sein können, verzögern. Dabei argumentieren die Befürworter des Freihandelsabkommens nicht zuletzt mit dem Zugang zu günstigeren Produkten für Konsumenten. Die Kosten von 850 Millionen Dollar lassen sich aber nur schwer wieder wettmachen.
Sehen Sie noch eine Chance, dass das unterschriftsreife Abkommen neu verhandelt werden kann? Oder dass der Investitionsschutz rausgenommen wird? Wäre die kanadische Regierung bereit dazu?
Sie wäre es gewesen, wenn beispielsweise Österreich den Vertrag abgelehnt hätte und einige andere Spitzenpolitiker ebenfalls den Mut gehabt hätten, zu ihren Überzeugungen zu stehen. Dieses Abkommen hatte für Kanada die vorige Regierung verhandelt, die eine der konservativsten Kabinette der jüngeren Vergangenheit war. Die Regierung hat gewechselt, doch der Vertrag ist gleich geblieben. Wenn die Europäer aber mehr Druck gemacht hätten, hätten die Kanadier wohl keine andere Wahl gehabt, als sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen.
Doch auch der vorliegende Vertrag setze Standards, die weltweit Vorbildwirkung haben können, betont etwa die EU-Kommission. Entweder wir geben die Richtung vor oder andere, beispielsweise China...
Ceta ist kein gutes Modell dafür. Ja, es ist ein umfassenderes Abkommen als andere zuvor, aber nur deswegen, weil der Schutz der Konzerne weiter reicht. Daran rütteln weder Zusatzerklärungen noch vorangestellte Deklarationen. Das sind bloß Worthülsen, die am Inhalt nichts ändern.
Gibt es trotzdem etwas, was Ihnen an Ceta gefällt?
Mir gefällt, dass es einen Dialog zwischen den Europäern und Kanadiern eingeleitet hat. Das Resultat in Form des Abkommens ist aber leider enttäuschend.
Zur Person
Scott
Sinclair
Der Politikwissenschafter arbeitet am Kanadischen Zentrum für Politische Alternativen, wo er die Abteilung für Handel- und Investitionsforschung leitet. Zahlreiche Publikationen hat er ebenfalls zur Reform des kanadischen Gesundheitssystems verfasst.